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27

I TIZIAN- BILD

1. VASARI UND DIE FOLGEN:

DIE REZEPTION TIZIANS IN DER
KUNSTTHEORIE DER FRÜHEN NEUZEIT

]. 1. «II suo perfetto giuditio»: Tizians Zeitgenossen

Kunstwerke lösen vielfältige Wahrnehmungsvorgänge aus. Die Rezepti-
onsästhetik beruht daher auf dem Axiom, daß der Betrachter eines Kunst-
werks «keine passive Instanz, sondern einen aktiven Faktor darstellt, der
das geschichtliche Leben von Werken in entscheidendem Maße beein-
flußt».1 Die einzelnen Rezeptionsvorgänge sind für uns greifbar, wenn sie
sich in Produktion niederschlagen, und zwar entweder durch einen Künst-
ler, der sich also des Mediums der Kunstwerke bedient, oder durch einen
Kritiker, der sich im Medium der Sprache artikuliert. An diesem Punkt
wird der Rezeptionsprozeß vielschichtig, denn diese Äußerungen haben
wiederum eine Rezeptionsgeschichte, die fortan zu derjenigen des Kunst-
werks parallel und von ihr weitgehend untrennbar verläuft. Nicht das
Kunstwerk allein hinterläßt nun eine bestimmte Wirkung auf seinen
Betrachter, sondern auch die von ihm bereits ausgegangene, schriftlich
fixierte Wahrnehmung.2 Für die kunsthistorische Forschung hat diese
Vervielfältigung der Rezeptionsleistungen durch den Medienwechsel
wohl weitreichendere Folgen als für die Literaturwissenschaft. Denn der
Betrachter eines Kunstwerks hat immer zwei Medien, die seinen Blick for-

1 Tizian, Pala Nicoiao, Vatikanstadt, Pinacoteca Vaticana
 
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