FÜNFTE SERIE.
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eine Prophezeihung die unglücklichsten Folgen knüpfte1). Am Fusse der
Säule sitzt ein Greis in einem langen Gewände, das Haupt in die reehte
Hand gestützt, wie leidend oder nachdenkend unter einem grossen Baume.
Seitwärts hinter der Säule ragen einige Cypressen empor und hinter ihnen
ein tempelähnliches Gebäude. Vor diesem steht auf porphyrnem, mit einer
roth und blau schillernden Draperie behangenen Fussgestelle erhöht eine
Bildsäule der Pallas von gelbem Erz, mit Helm, Lanze und Schild. Vor ihr
knieet eine Figur mit flehend erhobenen Händen; daneben steht ein weiss-
gekleideter Greis, dessen Haar ihm auf die Schultern herabfällt und der einen
unkenntlichen Gegenstand in Händen hat. Nach hinten verläuft die gebirgige
Landschaft sich in den blauen Himmel. Auf einer weiter vor und hinter
dem Tempel gelegenen Höhe steht ein Weib mit entblösster Brust und er-
hobener rechter Hand, in der sie eine Fackel oder einen Zweig hält. Es
mag Kassandra sein, welche den ungläubigen Troern den Untergang des Va-
terlandes verkündet 2), oder Helena, welche mit einer Fackel den verborgenen
Griechen3) ein Zeichen giebt und dem Erfolg der List derselben gespannt
entgegensieht.
Tafel 2.
Auf diesem, wie das vorige und die beiden folgenden, zu Civita aufge-
fundenen Wandgemälde ist vollständiger, als auf einem bisher bekannten
Denkmale aus dem Alterthume, das berühmte Unglück des Ikaros vorgestellt.
Das Bild ist jedoch sehr beschädigt. Der berühmte Künstler Dädalus, Er-
bauer des kretischen Labyrinthes, in welchem Minotaurus verwahrt wurde,
hatte sich die Ungnade des Königs Minos von Kreta zugezogen, der ihn
mit seinem Sohne Ikaros selbst im Labyrinthe einsperren liess. Um sich
aus diesem und der Gewalt des Minos zu retten, machte Dädalus dem
Ikarus Flügel von Leinwand und Wachs und auf einer Menge von ge-
schnittenen Steinen ist vorgestellt, wie Dädalus dem Ikarus die Flügel
ansetzt4). Beide entkamen glücklich aus dem Labyrinthe und von Kreta,
aber blos Dädalus erreichte durch die Lüfte Sicilien; denn sein Sohn ver-
gass die erhaltene Warnung, sich nicht zu weit der Sonne zu nähern,
von welcher das Wachs geschmolzen wurde, welches die Flügel zusammen
hielt. Der Unbesonnene stürzte daher (bei der nachher von ihm benannten
Insel Ikaria, vorher Doliche oder Ichthyusa 5) geheissen) in's Meer, welches
1) Servius zur Aen. II. 241. Ovid. met
XI. 696.
2) Trephiodor. v. 355.
3) Q. Calabrus XII. 560.
4) Lippert, Taus. II. 12 f.; Wilde Gemm.
sel. n. 161; Beger. Spic. ant. p. 64;
Maffei P. III. t. 88. — Eine erhobene
Arbeit in d. Villa Albani u. bei Win-
kelm. Mon. ined. 95.
5) Nach Steph. Byz., vgl. Munk zu Hy-
gin. fab. 40.
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eine Prophezeihung die unglücklichsten Folgen knüpfte1). Am Fusse der
Säule sitzt ein Greis in einem langen Gewände, das Haupt in die reehte
Hand gestützt, wie leidend oder nachdenkend unter einem grossen Baume.
Seitwärts hinter der Säule ragen einige Cypressen empor und hinter ihnen
ein tempelähnliches Gebäude. Vor diesem steht auf porphyrnem, mit einer
roth und blau schillernden Draperie behangenen Fussgestelle erhöht eine
Bildsäule der Pallas von gelbem Erz, mit Helm, Lanze und Schild. Vor ihr
knieet eine Figur mit flehend erhobenen Händen; daneben steht ein weiss-
gekleideter Greis, dessen Haar ihm auf die Schultern herabfällt und der einen
unkenntlichen Gegenstand in Händen hat. Nach hinten verläuft die gebirgige
Landschaft sich in den blauen Himmel. Auf einer weiter vor und hinter
dem Tempel gelegenen Höhe steht ein Weib mit entblösster Brust und er-
hobener rechter Hand, in der sie eine Fackel oder einen Zweig hält. Es
mag Kassandra sein, welche den ungläubigen Troern den Untergang des Va-
terlandes verkündet 2), oder Helena, welche mit einer Fackel den verborgenen
Griechen3) ein Zeichen giebt und dem Erfolg der List derselben gespannt
entgegensieht.
Tafel 2.
Auf diesem, wie das vorige und die beiden folgenden, zu Civita aufge-
fundenen Wandgemälde ist vollständiger, als auf einem bisher bekannten
Denkmale aus dem Alterthume, das berühmte Unglück des Ikaros vorgestellt.
Das Bild ist jedoch sehr beschädigt. Der berühmte Künstler Dädalus, Er-
bauer des kretischen Labyrinthes, in welchem Minotaurus verwahrt wurde,
hatte sich die Ungnade des Königs Minos von Kreta zugezogen, der ihn
mit seinem Sohne Ikaros selbst im Labyrinthe einsperren liess. Um sich
aus diesem und der Gewalt des Minos zu retten, machte Dädalus dem
Ikarus Flügel von Leinwand und Wachs und auf einer Menge von ge-
schnittenen Steinen ist vorgestellt, wie Dädalus dem Ikarus die Flügel
ansetzt4). Beide entkamen glücklich aus dem Labyrinthe und von Kreta,
aber blos Dädalus erreichte durch die Lüfte Sicilien; denn sein Sohn ver-
gass die erhaltene Warnung, sich nicht zu weit der Sonne zu nähern,
von welcher das Wachs geschmolzen wurde, welches die Flügel zusammen
hielt. Der Unbesonnene stürzte daher (bei der nachher von ihm benannten
Insel Ikaria, vorher Doliche oder Ichthyusa 5) geheissen) in's Meer, welches
1) Servius zur Aen. II. 241. Ovid. met
XI. 696.
2) Trephiodor. v. 355.
3) Q. Calabrus XII. 560.
4) Lippert, Taus. II. 12 f.; Wilde Gemm.
sel. n. 161; Beger. Spic. ant. p. 64;
Maffei P. III. t. 88. — Eine erhobene
Arbeit in d. Villa Albani u. bei Win-
kelm. Mon. ined. 95.
5) Nach Steph. Byz., vgl. Munk zu Hy-
gin. fab. 40.
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