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Moral ist durch das Selbstbildnis auf dem Gothaer Doppelwerk, mit den blühendsten Gemäl-
den aus Cranachs späterer Zeit, mit Nachdruck gegeben. Die Gothaer Darstellung bietet den
Schlüssel zu dem großen Selbstbildnis in Stolzenfels, dessen übersteigerte Bewegung sonst
rätselhaft bliebe.

Daß es ein Selbstbildnis ist, erscheint bei so viel eigenartiger Kraft und gespeicherter Selbst-
aussage nicht zweifelhaft. Giorgione, der große italienische Bahnbrecher, hat in einer ähn-
lichen Haltung wohl von sich Zeugnis abgelegt; die auf Papier gemalte Kopfstudie ist in-
mitten späterer Anstückungen in Budapest erhalten. [428] Der Christus auf Hieronymus
Boschs großer Verspottung Christi im Escorial blickt in gleicher Haltung aus dem Bild, in
der Übersteigerung der Haltung Cranachs noch näher verwandt. [429]

Ist es ein Zufall, daß sich die Erinnerung an Bosch und an Giorgione einstellt, zwei der
eigenartigsten Gestalten am Eingang neuer Kunstgeschichte? Cranach hatte zu beiden Ver-
bindungen. Sein Bildnis des Humanisten Cuspinian, <the greatest northern emblematic por- Tafel 12
trait> [430], entstand auf der gleichen Grundlage wie die emblematischen Bildnisse der Vene-
zianer, seine Heilige Familie von 1504 ist im Naturgefühl das Gegenstück zu Giorgiones
Gewitterbild. Den Hieronymus Bosch hat Cranach in einem Altarwerk einmal kopiert [431],
möglich, daß er verschiedene Werke von seinem Besuch in den Niederlanden her kannte. In
beiden Fällen ist kaum an eine direkte Motivübernahme zu denken. Es scheint, daß eine ähn-
liche innere Haltung bei Verbindung mit starkem persönlichem Affekt, wie er den drei Künst-
lern bei aller Verschiedenheit gegeben war, zu verwandten Lösungen führte. Die Leistung
Cranachs ist ein Zeugnis lang bewahrter innerer Unabhängigkeit und künstlerischen Selbst-
bewußtseins.

J DARSTELLUNGEN DER LANDSCHAFT

Cranach bedeutete das Bild der Landschaft viel. Es gibt bei ihm aber keine selbständige Land-
schaftsdarstellung, eigentlich auch keine landschaftlichen Studien wie unter den Zeichnungen
Dürers. Die Landschaft gehört bei Cranach zur Ausstattung weniger, sehr wichtiger Bild-
nisse, vieler Heiligendarstellungen und verschiedener Sonderaufgaben, insbesondere der
Gruppe der Jagdbilder. Geschildert wird immer der Mensch oder eine Schar von Menschen Seite 58
zusammen mit einer bestimmten Landschaft, die Natur als ein Stück besonderer Welterfah-
rung. Der Mensch erscheint darin im Widerschein der Gefühle, die die Natur auslöst. Es sind
Entrückte, auch Verzückte, die vor allem auf den frühen Bildern dieser Art zu sehen sind,
Büßer und Hingerichtete. Innerer Aufruhr herrscht noch in den freundlichsten Beispielen.
Darstellungen der Architektur scheinen gelegentlich geradezu als Motive des versteinerten sozi-
alen Unrechts benutzt, insbesondere in der kurzen Periode zwischen 1509 und 1515 bei Bildern
und Blättern zur Passion Christi und bei der Austreibung der Wechsler aus dem Tempel.

Sosehr die Vorstellung von der Form der Landschaft von heimatlichen fränkischen und
süddeutschen Erinnerungen geprägt ist, ihre Einfügung in das Bild ist noch Schritt für Schritt
zu verfolgen. Verhältnismäßig gleichartig bleiben die Details, die Einzelbäume, Büsche, Feis-
und Wasserburgen. Wolken, Hügel und Baumwerk erscheinen zunächst nur - und in Zeiten
nachlassender Gestaltung immer wieder - füllselartig als Versatzstücke eingeschoben. Bäume
und Büsche steigen mit Vorliebe neben den Figuren hoch oder lehnen sich an Bildränder an.
Erst nach und nach schließen sich die einzelnen Bildungen zu Tiefenzügen zusammen. Die

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