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I

HUMANISTISCHES BILDGUT

Die antike Mythologie und Geschichte als selbstverständlicher Bildungsstoff in der Universi-
tätsstadt Wittenberg wirkte auch in die Themenwelt Cranachs hinein. Der Todessprung des
Marcus Curtius, Venus und Amor, das Parisurteil waren Errungenschaften der ersten Witten- Seite 29
berger Jahre, auf deren Grundlage teilweise Reihen von späteren Arbeiten entstanden. Es Tafel 155
sind aber weniger umfassende Themenreihen aus dem Stoffgebiet der Antike, von denen aus
frühen Jahren in Wittenberg berichtet wird [502], als beispielhafte Verkörperungen, denen
das Interesse Cranachs und seiner Auftraggeber galt. So gibt es zum Beispiel vom oft behan-
delten Thema der Lucretia keine einzige szenische Darstellung. Das Standbild der antiken Seite 429
Heldin umschließt ihr Schicksal, ähnlich wie im religiösen Bereich die Figur des Schmerzens-
mannes für das Geschehen der Passion steht. Diese Auffassung vereinfachte das formale Vor-
gehen : die Variation der Figur wurde zur künstlerischen Aufgabe der meisten Bilder. Nicht
ein gemeinsamer innerer Antrieb, sondern vergleichbare Nebenmotive, modischer Schmuck
etwa, binden die einzelnen Schöpfungen einer Reihe, deren Entstehungszeit im einzelnen oft
schwer zu bestimmen ist.

In der Malerei treten die antiken Themen erst in den Jahren nach 1510 stärker auf. Sie
dauern noch bis in die letzten Arbeitsjahre des älteren Cranach, scheinen aber danach, zu-
mindest in datierten Beispielen, kaum noch eine Rolle gespielt zu haben. Die künstlerischen
Anregungen, denen der Künstler am Anfang gefolgt ist, sind noch nicht mit wünschenswerter
Deutlichkeit erfaßt worden. Italienische Vorbilder, von denen in den Jahren um 1514/15 auch
Dürer berührt worden ist [503], sind bei verschiedenen Themen entscheidend gewesen. Die
weich ausgebreitete Hand einer merkwürdigen Lucretia [504] läßt an Francesco Francia
denken, von dem ein Gemälde gleichen Themas in Dresden erhalten ist. [505] Der Ausblick Seite 42g
des Bildes führt in eine italienische Landschaft. Die älteste Fassung des Themas durch Cranach
oder einen seiner Schüler ist es nicht: diese ist in zwei Fassungen in Schweizer Privatbesitz
[506] und in Basel [507] bewahrt und bereits 1514 von Hans Döring kopiert worden. [508]
Bei den oft erwähnten Lucretia-Zeichnungen in Berlin [509] handelt es sich um Neufassungen Tafeln 98, 99
des durch Abwandlungen verbrauchten Bildmotives aus der Zeit um 1525. Erst in ihnen wird,
der späteren Zeitstellung entsprechend, die Entfaltung der nackten Frauengestalt vollzogen,
wie sie dann aus vielen Venus- und Lucretiagestalten gern in ganzer Figur entgegentritt. Tafeln 148, 149, 158

Die Stimmung der frühen Aktdarstellungen ist schwermütig, warnend. Geste und Inschrift
der Venus von 1509 sagen: <Mit allen Kräften vertreibe Cupidos Liebesgelüste /Daß nicht
Venus herrsche in deiner Brust.) [510] Die Bilder der liegenden Quellnymphe tragen die Tafel48
Warnung: <Ich ruhe hier, Nymphe des heiligen Quells, störe meinen Schlaf nicht. > [511] Die Tafeln 93-97
Beigaben der Darstellung: die beständig fließende Quelle, die dunkle Wolke [512], bei spä-
teren Fassungen: das Rebhuhnpaar (entsprechend einem Taubenpaar) [513], die Hirsche, der
Apfelbaum [514], Pfeil und Bogen der Diana lassen eine Verbindung vermuten zum sagen-
haften Brünnlein des Alchimisten Bernardus Trevisanus. [515] Auch die Cranach parallele
Zeichnung Dürers [516] und die durch Tobias Fendt 1574 überlieferte Inschrifttafel mit der Seite 429
Nymphe <in Venetiis> [517] scheinen sich darauf zu beziehen. Das Wasser ist der Jungfrau
Diana-Luna geweiht. Ihr Brunnen der Weisheit ist ein Erneuerungsbad, ein <Bad des
Königs), der die Erde erschüttert und eine dunkle Wolke erzeugt. Dem Würdigen, der zu
schweigen vermag, verheißt er Erneuerung, dem Unwürdigen schmähliche Verwandlung,
wie Aktäon, dessen Geschichte Cranach auch gemalt hat. [518] Liebhaber im Zustand der

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