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C. Schäfer - Eberbach.
des Dorments in gleicher Höhe durchführte, eine abgesonderte Stube entstanden. Wir werden nicht weit
fehlgehen, wenn wir sie als Krankenstube betrachten. Zu dieser Deutung gelangt man deshalb, weil von
der Stube aus nach dem Kirchenraum hin ein Fenster gebrochen worden ist; dies aber kann nur dazu
gedient haben, Mönchen, die an dieses Zimmer gefesselt waren, also Kranken, die Theilnahme an der
Messe zu ermöglichen.
Der von Grund auf neu erbaute Nordtheil von Fraternei und Dorment war, wie wir wissen, mit
Strebepfeilern besetzt worden. Die Reihe dieser Pfeiler setzte man jetzt an der Ostfront unseres Hauses,
nachdem der Oberstock vollendet war, nach Süden hin fort. Man hat hier damals sechs Strebepfeiler
vorgebaut, auf jeder Achse einen, mit Ausnahme der Mittelachse des Kapitelsaales, wo das vorhandene
Portal die Anlage verwehrte. In der Anordnung der Strebepfeiler spricht sich ein Uebermaass von Vor-
sicht aus. Denn auf der genannten Achse und auch auf der Westseite, wo der Bau der Strebepfeiler des
Kreuzgangs wegen nicht zulässig war, haben die blossen Mauern dem Gewölbeschub genügenden Wider-
stand geleistet.
Wir gelangen dazu, uns über einen schon viel beredeten Punkt auszusprechen. Es fällt selbst dem
oberflächlichen Beschauer auf, dass die Säulen des Dorments verschiedene Höhen besitzen, und dass die
Höhe von Norden nach Süden scheinbar regelmässig (in Wahrheit nicht ganz regelmässig) zunimmt. Der
Höhenzuwachs nach Süden hin beträgt im ganzen 35 cm. Um ihn zu erklären, sind die verschiedensten
Theorien aufgestellt worden. So hätten die Brüder durch das Abnehmen der Säulenhöhe eine optische
Täuschung erzielen, nämlich den Anschein erwecken wollen, dass der Saal, vom südlichen Ende aus be-
trachtet, länger erscheinen sollte, als er ist. Dem Kenner der mittelalterlichen Kunst braucht nicht gesagt
zu werden, wie weit die Alten von jedem Gedanken an solche „Mätzchen“ entfernt waren. Der wahre
Grund der Seltsamkeit entpuppt sich denn auch bei näherem Studium einfach als ein constructiver. Das
Dorment erstreckt sich über dem Kapitelsaal, dem umgebauten und dem neugebauten Theil der Fraternei
hin; eine genaue Messung ergiebt, dass diese drei Abschnitte verschiedene, nach Norden hin wachsende
Gewölbhöhe haben, die Folge der in jenen Zeitläufen überall und immer auftretenden Nachlässigkeit in
der Bauführung, soweit diese das Messen betrifft. Wollte man über diesen verschieden hohen Gewölben
entlang einen einheitlichen Fussboden anlegen, so hatte man nur die Wahl, ihn entweder in die Wage zu
bringen, d. h. die niedrigen Gewölbe sehr hoch zu überfüllen und damit gefährlich zu überlasten, oder
aber jenen Fussboden ansteigen zu lassen. Man wählte verständigerweise den zweiten Ausweg. Da man
indessen, um eine ungekünstelte Gewölbe-Construction zu erhalten, die obere Kante der Kapitäle wieder
auf gleiche Höhe bringen musste, so entstand die Ungleichheit in der Säulenhöhe von selbst.
Der Ostbau ist der einzige in Eberbach, auf dem sich noch das mittelalterliche Dachgesims erhalten
hat. Sein Profil ist noch frühgothisch, auf der ganzen Ostfront das gleiche, auf der Wasserfront an einem
gewissen Punkte wechselnd. Auch das ursprüngliche nördliche Giebeldreieck sehen wir noch vor uns.
Doch sind seine Schräglinien nach dem im vorigen Jahrhundert erfolgten Neubau des Daches herunter-
gedrückt worden. Das Giebeldreieck enthält ein schlankes Doppelfenster, das ebenfalls frühgothisch ge-
bildet ist und in seinen Bogenschlüssen den Fenstern des Dorments entspricht.
Es kann wunderbar erscheinen, dass man sich in Eberbach lange Zeit hindurch mit einem ver-
hältnissmässig kleinen Mönchsdorment beholfen hat und in einem Zeitraum, wo die Zahl der Brüder sehr
wahrscheinlich nicht grösser, sondern geringer geworden war, mit dem Bau eines sehr viel grösseren
Schlafsaales voro’in<r. Ich stehe nicht an, den Grund hierfür in der nachlassenden Strenge der Lebens-
weise und in dem eindringenden Wunsche nach etwas grösserer Bequemlichkeit zu suchen. Man braucht
nur auf dem bekannten Originalplan zum Klosterbau in St. Gallen den Schlafsaal und die äusserst enge,
auf grösste Raumersparniss berechnete Stellung der Betten anzusehen, um zu viel grösseren Saalmaassen
zu gelangen und Alles erklärt zu finden. Gegenwärtig, wo im Eberbacher Dorment Strafgefangene
schlafen, für die man doch den höchsten Grad von Comfort wenigstens nicht verlangen sollte, fasst es
trotz seiner grossen Ausdehnung nur 70 Betten.
Ueber das Steinmaterial des Ostbaues ist folgendes zu bemerken. Die älteren romanischen Theile
sind noch wie der romanische Kirchenbau ausgeführt; in den gothischen indessen ersetzt Sandstein den
Kalkstein und den Puff. Interessant ist, dass an diesem gothischen Theil und zwar an den Mauern und
Strebepfeilern teilweise bereits auch Backsteine Verwendung finden. Man sieht daran, wie schwer in
Eberbach ein besseres natürliches Baumaterial aufzutreiben war. Lehm allerdings, aus dem man Ziegel
formen konnte, war nicht selten. Die Backsteine haben keineswegs die Grösse der gleichzeitigen nord-
deutschen, sondern entsprechen ziemlich genau unserem modernen Normalformat.
C. Schäfer - Eberbach.
des Dorments in gleicher Höhe durchführte, eine abgesonderte Stube entstanden. Wir werden nicht weit
fehlgehen, wenn wir sie als Krankenstube betrachten. Zu dieser Deutung gelangt man deshalb, weil von
der Stube aus nach dem Kirchenraum hin ein Fenster gebrochen worden ist; dies aber kann nur dazu
gedient haben, Mönchen, die an dieses Zimmer gefesselt waren, also Kranken, die Theilnahme an der
Messe zu ermöglichen.
Der von Grund auf neu erbaute Nordtheil von Fraternei und Dorment war, wie wir wissen, mit
Strebepfeilern besetzt worden. Die Reihe dieser Pfeiler setzte man jetzt an der Ostfront unseres Hauses,
nachdem der Oberstock vollendet war, nach Süden hin fort. Man hat hier damals sechs Strebepfeiler
vorgebaut, auf jeder Achse einen, mit Ausnahme der Mittelachse des Kapitelsaales, wo das vorhandene
Portal die Anlage verwehrte. In der Anordnung der Strebepfeiler spricht sich ein Uebermaass von Vor-
sicht aus. Denn auf der genannten Achse und auch auf der Westseite, wo der Bau der Strebepfeiler des
Kreuzgangs wegen nicht zulässig war, haben die blossen Mauern dem Gewölbeschub genügenden Wider-
stand geleistet.
Wir gelangen dazu, uns über einen schon viel beredeten Punkt auszusprechen. Es fällt selbst dem
oberflächlichen Beschauer auf, dass die Säulen des Dorments verschiedene Höhen besitzen, und dass die
Höhe von Norden nach Süden scheinbar regelmässig (in Wahrheit nicht ganz regelmässig) zunimmt. Der
Höhenzuwachs nach Süden hin beträgt im ganzen 35 cm. Um ihn zu erklären, sind die verschiedensten
Theorien aufgestellt worden. So hätten die Brüder durch das Abnehmen der Säulenhöhe eine optische
Täuschung erzielen, nämlich den Anschein erwecken wollen, dass der Saal, vom südlichen Ende aus be-
trachtet, länger erscheinen sollte, als er ist. Dem Kenner der mittelalterlichen Kunst braucht nicht gesagt
zu werden, wie weit die Alten von jedem Gedanken an solche „Mätzchen“ entfernt waren. Der wahre
Grund der Seltsamkeit entpuppt sich denn auch bei näherem Studium einfach als ein constructiver. Das
Dorment erstreckt sich über dem Kapitelsaal, dem umgebauten und dem neugebauten Theil der Fraternei
hin; eine genaue Messung ergiebt, dass diese drei Abschnitte verschiedene, nach Norden hin wachsende
Gewölbhöhe haben, die Folge der in jenen Zeitläufen überall und immer auftretenden Nachlässigkeit in
der Bauführung, soweit diese das Messen betrifft. Wollte man über diesen verschieden hohen Gewölben
entlang einen einheitlichen Fussboden anlegen, so hatte man nur die Wahl, ihn entweder in die Wage zu
bringen, d. h. die niedrigen Gewölbe sehr hoch zu überfüllen und damit gefährlich zu überlasten, oder
aber jenen Fussboden ansteigen zu lassen. Man wählte verständigerweise den zweiten Ausweg. Da man
indessen, um eine ungekünstelte Gewölbe-Construction zu erhalten, die obere Kante der Kapitäle wieder
auf gleiche Höhe bringen musste, so entstand die Ungleichheit in der Säulenhöhe von selbst.
Der Ostbau ist der einzige in Eberbach, auf dem sich noch das mittelalterliche Dachgesims erhalten
hat. Sein Profil ist noch frühgothisch, auf der ganzen Ostfront das gleiche, auf der Wasserfront an einem
gewissen Punkte wechselnd. Auch das ursprüngliche nördliche Giebeldreieck sehen wir noch vor uns.
Doch sind seine Schräglinien nach dem im vorigen Jahrhundert erfolgten Neubau des Daches herunter-
gedrückt worden. Das Giebeldreieck enthält ein schlankes Doppelfenster, das ebenfalls frühgothisch ge-
bildet ist und in seinen Bogenschlüssen den Fenstern des Dorments entspricht.
Es kann wunderbar erscheinen, dass man sich in Eberbach lange Zeit hindurch mit einem ver-
hältnissmässig kleinen Mönchsdorment beholfen hat und in einem Zeitraum, wo die Zahl der Brüder sehr
wahrscheinlich nicht grösser, sondern geringer geworden war, mit dem Bau eines sehr viel grösseren
Schlafsaales voro’in<r. Ich stehe nicht an, den Grund hierfür in der nachlassenden Strenge der Lebens-
weise und in dem eindringenden Wunsche nach etwas grösserer Bequemlichkeit zu suchen. Man braucht
nur auf dem bekannten Originalplan zum Klosterbau in St. Gallen den Schlafsaal und die äusserst enge,
auf grösste Raumersparniss berechnete Stellung der Betten anzusehen, um zu viel grösseren Saalmaassen
zu gelangen und Alles erklärt zu finden. Gegenwärtig, wo im Eberbacher Dorment Strafgefangene
schlafen, für die man doch den höchsten Grad von Comfort wenigstens nicht verlangen sollte, fasst es
trotz seiner grossen Ausdehnung nur 70 Betten.
Ueber das Steinmaterial des Ostbaues ist folgendes zu bemerken. Die älteren romanischen Theile
sind noch wie der romanische Kirchenbau ausgeführt; in den gothischen indessen ersetzt Sandstein den
Kalkstein und den Puff. Interessant ist, dass an diesem gothischen Theil und zwar an den Mauern und
Strebepfeilern teilweise bereits auch Backsteine Verwendung finden. Man sieht daran, wie schwer in
Eberbach ein besseres natürliches Baumaterial aufzutreiben war. Lehm allerdings, aus dem man Ziegel
formen konnte, war nicht selten. Die Backsteine haben keineswegs die Grösse der gleichzeitigen nord-
deutschen, sondern entsprechen ziemlich genau unserem modernen Normalformat.