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Schayer, Stanisław
Die Struktur der magischen Weltanschauung nach dem Atharva-Veda und den Brāhmaṇa-Texten — München-Neubiberg: Schloss, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.72139#0007
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Von Stanislav Schayer

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Sphäre der Religion irrational ist, während die Magie im Rah-
men der abstrakten Gesetzmäßigkeit für die göttliche Gnade
und für die göttliche Willkür keinen Raum übrig läßt. Sie.
bestimmt den magischen Verkehr mit den „bindenden Potenzen"
nach einer eindeutigen Norm und gestattet auf diese Weise
dem „wissenden Menschen" aktiv auf die Geschehnisse einzu-
wirken. Und zwar nicht als „Privatperson" und nicht als
„begnadetes Individuum" sondern als „Fachmann" und als
„Träger des magischen Charismas."
Aus diesen Andeutungen ergibt sich zugleich die prinzi-
pielle Möglichkeit des Übergangs von der Religion zur Magie,
bezw. die Undifferenziertheit und das Ineinandergreifen der
beiden Sphären auf gewissen Stufen der religionsgeschichtlichen
Entwicklung. Grundsätzlich darf festgestellt werden, daß
jede kultische Handlung in die Sphäre der Magie geraten kann,
sobald sie als exemplarische Anwendung einer Regel, zunächst
als erstarrte Konvention, alsdann aber als eine Technik um
gewisse Wirkungen zu erzielen, aufgefaßt wird. Die Entwick-
lung der indischen Religion von den Hymnen des Rg-Veda
bis zu den Brähmanas gestattet uns die angedeuteten Zusammen-
hänge an einem — man darf wohl sagen — klassischen Bei-
spiel zu erläutern.
Der Habitus der rgvedischen Frömmigkeit ist überwiegend
theistisch. Der Mensch tritt an die Götter heran, opfert, betet,
wirbt um ihre Huld und hofft auf diese Weise die Erfüllung
seiner Wünsche zu erreichen. Unbewußt mag ihm dabei der
Gedanke vorschweben, daß die Opferhandlung und das Gebet
den göttlichen Willen beeinflussen, (vgl. etwa RV I, 25, 3:
vi mrlikdya te mano rathir asvam, na samditam girbhir varuna
simahi), von einem direkten magischen „Gotteszwang" ist
indessen noch nirgends die Rede. Ansätze zu einer magischen
Umdeutung lassen sich allerdings schon jetzt nachweisen,
so namentlich in den jüngeren Partien des RV, wo die Götter
als „Bundesgenossen" (bandhu) der Menschen auftreten und
der religiöse Verkehr eine Interessengemeinschaft, ein Ver-
trag ist, der die beiden Parteien gegenseitig in gleicher Weise
verpflichtet. Das Entscheidende bleibt trotzdem, daß nicht
der Mensch, sondern die Götter das Weltgeschehen lenken
 
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