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er auf ein weiteres erotisch - dichterisches Funkensprühen am
Kiesel Michelangelo hofft?
Es liegt nahe, an die von Varchi als Cavalierisonette
bezeichneten beiden Gedichte zu denken. Ich kann jedoch
nur eines, das 30. Sonett als diesen Tagen entstammend
halten. Sonetto XXXI muss früher gedichtet sein. Es ist
zu allgemein noch im Tone gehalten, zu petrarkisch. Es
sieht wie ein Gedicht aus, welches Michelangelo zur An-
knüpfung des Verhältnisses einsandte. Auf die Sonnenhöhe
des platonischen Liebesaufschwungs führt dagegen das erst-
genannte Sonett. Das konnte Cavalieri erst verstehen, als
er selbst gereifter durch Michelangelos Umgang geworden.
Es ist vielleicht das schönste lyrische Gedicht, das überhaupt
im XVI. Jahrhundert in Italien entstanden. Ich lasse beide
Sonette, den Unterschied zu zeigen, in der Prosaübertragung
folgen; das 31. voran: 1
»Wozu soll ich ausschütten länger die angespannte Liebessehnsucht
in Klagen und traurigen Worten, wenn der Himmel, der die Seele mit
Kummer ausstattete (und solcher ist jeder süssen Empfindung beigemischt I),
doch nie zugiebt, dass Einer, früh oder spät, frei von diesem sei?
Auch nützt es nichts, dass mein gepeinigtes Herz so verlangend nach
dem Tode sei, da das Sterben Allen gewiss ist. Ja, für diese meine Augen
werden die letzten Stunden weniger schwer sein, da der Gram bei mir über-
wiegt jede sonstige Freude.
Wenn ich demnach die Schläge des Leidens nicht vermeiden kann,
so will ich sie lieber aufsuchen inmitten der Süssigkeit der Liebe, die stets
sich meines Herzens bemächtigen wird; doch einmal nur gestellt zwischen
Wonne und Kummer.
Ich kann ja auch nimmer glücklich sein, äusser wenn
mich Liebespein gefesselt hält; daher es denn auch kein
Wunder, wenn ich waffenlos, allein, Gefangener bleibe eines
,bewaffneten Ritters' ty«
T) Guasti, a. a. 0. p. 189. Die Schlussstrophe lautet im Original
bei Varchi: »Se vint' e pres' i' debb' esser beato,
Maraviglia non ^ se, nud' e solo,
Resto prigion d' un Cavalier armato.«
er auf ein weiteres erotisch - dichterisches Funkensprühen am
Kiesel Michelangelo hofft?
Es liegt nahe, an die von Varchi als Cavalierisonette
bezeichneten beiden Gedichte zu denken. Ich kann jedoch
nur eines, das 30. Sonett als diesen Tagen entstammend
halten. Sonetto XXXI muss früher gedichtet sein. Es ist
zu allgemein noch im Tone gehalten, zu petrarkisch. Es
sieht wie ein Gedicht aus, welches Michelangelo zur An-
knüpfung des Verhältnisses einsandte. Auf die Sonnenhöhe
des platonischen Liebesaufschwungs führt dagegen das erst-
genannte Sonett. Das konnte Cavalieri erst verstehen, als
er selbst gereifter durch Michelangelos Umgang geworden.
Es ist vielleicht das schönste lyrische Gedicht, das überhaupt
im XVI. Jahrhundert in Italien entstanden. Ich lasse beide
Sonette, den Unterschied zu zeigen, in der Prosaübertragung
folgen; das 31. voran: 1
»Wozu soll ich ausschütten länger die angespannte Liebessehnsucht
in Klagen und traurigen Worten, wenn der Himmel, der die Seele mit
Kummer ausstattete (und solcher ist jeder süssen Empfindung beigemischt I),
doch nie zugiebt, dass Einer, früh oder spät, frei von diesem sei?
Auch nützt es nichts, dass mein gepeinigtes Herz so verlangend nach
dem Tode sei, da das Sterben Allen gewiss ist. Ja, für diese meine Augen
werden die letzten Stunden weniger schwer sein, da der Gram bei mir über-
wiegt jede sonstige Freude.
Wenn ich demnach die Schläge des Leidens nicht vermeiden kann,
so will ich sie lieber aufsuchen inmitten der Süssigkeit der Liebe, die stets
sich meines Herzens bemächtigen wird; doch einmal nur gestellt zwischen
Wonne und Kummer.
Ich kann ja auch nimmer glücklich sein, äusser wenn
mich Liebespein gefesselt hält; daher es denn auch kein
Wunder, wenn ich waffenlos, allein, Gefangener bleibe eines
,bewaffneten Ritters' ty«
T) Guasti, a. a. 0. p. 189. Die Schlussstrophe lautet im Original
bei Varchi: »Se vint' e pres' i' debb' esser beato,
Maraviglia non ^ se, nud' e solo,
Resto prigion d' un Cavalier armato.«