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— 71 —
geschieht es aus keinem anderen Grunde, als um des gött-
lichsten Frieden willen, der in Deinen schönen Augen wohnt
und der Feind und Abwehrer ist jedes schlechten Gedankens.«
Auch vergeht diese Liebe, wie Michelangelo weiter ausführt,
nicht mit dem Hinschwinden der bewunderten Schönheit;
sie lebt »in einem keuschen Herzen« mit dem Alter, ja über
den Tod hinaus weiter: sie gleichet einem Pfande des Para-
dieses ,.«
Allein Michelangelo mochte das Unsinnliche, besser ge-
sagt Künstlerisch - Anschauliche seines Eros noch so sehr
betheuern, er fand bei manchen Herzenserfahrungen eben
doch kein Echo, und dieses Nicht- oder gar Missverstanden-
werden von dem bewunderten Schönen ist Grund wieder-
holter Klagen in den hierher gehörigen Gedichten. Sie
geben sich bald als Resignation, bald als Vorwurf zu er-
kennen.
»Ich fühle,« heisst es im 35. Sonett, »wie ein kaltes
Antlitz mich von ferne entzündet mit dem Feuer, von dem
ich entflammt bin, während es selbst zu Eis erstarrt« u. s. w.:
»ich fühle, wie ich von dem gekränkt werde, der an und
für sich höflich zu sein pflegt. O »signor«, wie kann es
nur kommen, dass aus einem schönen Antlitze so wider-
sprechende Wirkung meine Mienen spüren, während es na-
türlich ist, dass Keiner dem Andern geben kann, was er
nicht selbst besitzt« (hier nämlich den Schmerz und die
Traurigkeit)2).
Die Erklärung dafür findet Michelangelo in der bitteren
Erkenntniss des 36. Sonettes.

^ a. a. O., p. 225.

2) a. a. O., p. 194. Das Sichnichtfinden musste dem Dichter um so
unbegreiflicher sein, als er den signor anredet »unico spirto, e da me solo
inteso«, »ich sehe einen einzigen Geist, den ich allein verstehe!«
 
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