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ländischen Malerei vor der italienischen den Vorzug. /Sie
schien ihr frömmer als letztere zu sein1). So erklärt sich
denn auch, dass sie in Michelangelo's Arbeiten nur sucht
oder, wie hier, in dieselben hineinlegt das ihr Sympathische.
Die Zeichnung war im Uebrigen »feer amor di lei«, nach
Condivi's Worten, ihr zu Liebe und zu Gefallen geschaffen2).
Das subjective Moment der Beurtheilung verdrängt das rein
ästhetische. Die Marchesa fasst im Grunde auch dieses
Kunstwerk nur als einen erhebenden Beweis von Michel-
angelo's religiöser Gesinnung auf. So erfleht sie den Lohn
für den Freund vom Himmel; so sieht sie ihn selbst schon
zu besonderer Gnadenstelle erhöht. Audi Michelangelo er-
blickt in dem weiblichen Freunde in erster Linie den religiösen
Führer und Erwecker. Gerade während dieser Crucifix-
correspondenz spricht das noch besonders ein seinem zweiten
Briefe an die Colonna beigefügtes Madrigal aus. Es führt
auf den Höhepunkt dessen, was Michelangelo an Verehrung
und Hingabe für die Marchesa besessen, ebenso wie das letzte
Dankesschreiben der letzteren an Wärme von keinem ihrer
sonstigen Briefe überboten wird.
»Bald nach rechts, bald nach links schreitend, prüfe
ich, ob ich, die Wege tauschend 3), das Heil fände: und das
Herz, schwankend zwischen Sünde und Tugend, plagt mich
und macht mich matt. So bin ich wie der, welcher sich,
da er den Himmel nicht zum Führer hat, bei jedem Pfade
verirrt und nicht an's Ziel gelangt. Ich reiche Euch ein
weisses Blatt, damit Ihr darauf Eure heiligen
Gedanken schreibet, um durch sie von den Täu-

9 Wie es in dem weiterhin zu erwähnenden »Manuscrit de Francois
de Hollande« (Raczynski, Les arts en Portugal, p. 14) heisst.

2) Condivi, Vita di M., cap. LXIII.

3) Madrig. V, Guasti, a. a. O. p. 30.
 
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