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Schlagintweit, Emil
Indien in Wort und Bild: eine Schilderung des indischen Kaiserreiches (Band 1) — Leipzig, 1880

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https://doi.org/10.11588/diglit.613#0191
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hochmüthig und selbstsüchtig als die Brähmanen. Den obersten Klerus bilden die Priester die nach
einer Mönchsregel in Klöstern, Math, wohnen; man erkennt sie an einem Mal auf der Stirne von
Wibhüti, der Asche von Kuhdünger, aufgetragen. Cölibat ist Regel, dann aber Verkehr mit einer
Tempeldirne als Maitresse gestattet; doch finden sich auch verheirathete Familien zusammenlebend,
wobei jedoch Weiber und Kinder allein speisen. Seinen Nachfolger im Klosterplatze bestimmt sich
solcher Dschangam meist selbst durch Annahme eines in seine Stelle vorrückenden Schülers. Die Vor-
stände erheben Bussen vom Tragen des Lingam gegen die Vorschrift, von Ehebruch, wegen Uebertretung
von Kastenbestimmungen und halten hierüber in schwierigen Fällen Sitzungen; Wiederverehelichung
ist Männern wie Wittwen gegen eine Dispens - Abgabe gestattet. Zur Einhebung aller Abgaben
machen die Oberen regelmässige Visitations-Reisen. Der gewöhnliche Klerus wohnt nicht in Klöstern
und sucht sich seinen Unterhalt im Umherziehen; er trägt ein rothes Gewand, führt regelmässig
einen kleinen Stier mit, das Reitthier seines Gottes Siwa und macht seine Anwesenheit durch
Läuten mit einer Glocke kund; solche wandernde Priester gelangen bettelnd bis nach Hindostan.
Der Laien-Lingaite ist ein ruhiger und fleissiger Arbeiter, aber unduldsam gegen die Brähmanen
der anderen Konfessionen; er enthält sich jeglichen Genusses wie berauschender Getränke und
meidet den Dienst als Soldat, keine zweihundert dienen in der englischen Sipahi - Armee. Die
Todten werden begraben, nicht verbrannt. Abzeichen ist das Büchschen, rund oder in Form eines
Halbmondes aus Holz oder Metall, das an einer Schnur um den Hals hängt und das Linga
(S. 25) enthält. Was dem Christen das Kreuz, dem andächtigen Katholiken die Marien-Medaille
das ist dem Lingaiten das Linga, das Zeichen seiner Zugehörigigkeit zum Glauben seiner
Väter. Verrichtet der Lingaite seine Andacht, so entnimmt er das Linga dem Behälter und
stellt es vor sich hin; die ursprüngliche Bedeutung des Linga als Zeugungsglied des Gottes Siwa
ist den Bekennern abhanden gekommen.

Bei der Volkszählung von 1872 schrieben sich in Südindien und dem Dekhan 1,702,230
Indier als Wira Saiwa, Lingadhari, Linga Banadschiga, Dchangam oder wie die Localbe-
zeichnungen für Lingaiten heissen, ein. Am dichtesten sitzen Lingaiten in dem Streifen Hügel-
land, das sich an der Ostabdachung der West-Ghats zwischen den Flüssen Kistna im Norden,
Kaweri im Süden in einer durchschnittlichen Breite von 150 Kilometer hinabzieht; in den drei
Bombay-Distrikten Kaladgi, Belgaum und Dharwar drängen sich 967,724 Lingaiten zusammen;
417,900 gehören zu Maissur, 154,989 dem angrenzenden Madras zu, nur wenige Tausende ver-
theilen sich auf das mittlere Indien.





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Eber und Panther.

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