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Schliemann, Heinrich
Ilios, Stadt und Land der Trojaner: Forschungen und Entdeckungen in der Troas und Besonderes auf der Baustelle von Troja — Leipzig, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.963#0018

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VORREDE.

..c

ner Phantasie ein so getreues Bild von Land und Leuten entwerfen
könne, wie es in der Rias geschehen ist.

Es kommt ein anderes hinzu. Die llias ist niclit blos ein Epos,
welches menschliche Dinge besingt; in den Kampf der Menschen tritt
der ganze Kreis der olympischen Götter handelnd und leidend mit ein.
So ist es gekommen, dass die llias das eigentliche Religionsbuch, die
Bibel der Griechen und zum Theil der Römer geworden ist. Das
darf nicht übersehen werden. Darum habe ich vor allem darauf auf-
merksam gemacht, dass der Schauplatz für die Götter viel grösser ge-
nommen ist als für die Menschen. Weit über die troische Ebene
hinaus zieht sieb der Rahmen dieser Gesänge. Ihre Grenze ist da, wo
das Auge seine Grenze findet, an den hoben Gebirgsstöcken des Ida
und der samothrakischen Insel, wo die Wolken entstehen und die
Wetter ihre Heimat haben. Wer sollte auf eine solche Götter-
geschichte verfallen mit dieser Feinheit der Localisirung, der die ge-
waltigen Naturereignisse, welche sich hier vollziehen, nicht selbst
geschaut hat? der sie nicht tage- und wochenlang in ihrem Wechsel
verfolgt hat?

Die Frage von der llias ist nicht einfach die alte Frage: tibi Ilium
fuit? Nein, sie bezieht sieh auf das Ganze. Man darf die Götter-
geschichte von der Menschengeschichte nicht trennen. Der Dichter,
der Uion besang, malte auch das Bild der ganzen troiseben Landschaft.
Ida und Samothrake, Tenedos und der Ilellespont, Kallikolone und der
Wall des Herakles, der Skamander und die Gedächtnisshügel der
Helden — das alles erschien vor den Blicken des entzückten Hörers.
Das alles ist untrennbar. Und darum ist es nicht willkürlich, wo wir
Uion hinstellen. Darum brauchen wir einen Platz, der allen Voraus-
setzungen der Dichtung entspricht. Darum müssen wir sagen: hier,
auf dem Burgberge von Hissarlik, hier, auf der Trümmerstätte der
verbrannten Goldstadt, hier war Uion.

Und darum dreimal glücklich der Mann, dem es beschieden war, als
gereifter Mann den Traum seiner Kindheit zu verwirklichen und die ver-
brannte Stadt zu entschleiern! Möge die Anerkennung der Zeitgenossen
wie immer ausfallen, niemand wird ihm das Bewusstsein rauben können,
dass er das grosse Problem von Jahrtausenden gelöst hat. Ein barbari-
sches Regiment, welches schwer auf dem Lande lastete, hat den Zu-
stand der Oberfläche und die Lebensgewohnheiten der Menschen in der
Troas im grossen und ganzen daniedergehalten, wie sie eben waren, als
es sieb festsetzte. So ist vieles bewahrt worden, was anderswo vielleicht
 
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