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Schliemann, Heinrich
Ilios, Stadt und Land der Trojaner: Forschungen und Entdeckungen in der Troas und Besonderes auf der Baustelle von Troja — Leipzig, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.963#0030

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A.UTOBIOGBAPHIB DBS VEJÜJASSEBS.

(kini.kiti h».

dem der Storch sein Nest im Winter habe, freundlich ersuchten,
ihnen den Namen seines Landes mitzutheilen. Als er im nächsten
Frühjahr den Storch wieder einfihg, fand sieh ein anderes Stück Perga-
ment an dem Kusse des Vogels befestigt, mit folgender in schlechten
deutschen Versen abgefassten Anwort:

Schwerin Mecklenburg ist uns nicht bekannt,
Das Land, wo sich der Storch befand,
Nennt sich Sauet Johannes-Land.

Natürlich glaubten wir dies Alles und würden gern Jahre unseres
Lebens darum gegeben haben, nur um zu erfahren, wo das geheimniss-
volle Sanct Johannes-Land sieh befände. Wenn diese und ähnliche
Anekdoten unsere Ivenntniss der Geographie auch nicht gerade bereichern
konnten, so regten sie wenigstens den Wunsch in uns an. dieselbe zu
lernen, und erhöhten noch unsere Leidenschaft für alles Geheimnissvolle.

Von dem Tanzunterricht hatten weder Minna noch ich den geringsten
Nutzen, wir lernten beide nichts: sei es nun, dass uns die natürliche
Anlage für diese Kunst fehlte, oder dass wir durch unsere wichtigen
archäologischen Studien und unsere Zukunftspläne zu sehr in Anspruch
genommen wurden.

Es stand zwischen uns schon fest, dass wir, sobald wir erwachsen
wären, uns heirathen würden, und dass wir dann unverzüglich alle
Geheimnisse von Ankershagen erforschen, die goldene Wiege, die silberne
Schale. Henning's ungeheure Sehätze und sein Grab, zuletzt aber die
Stadt Troja ausgraben wollten; nichts schöneres konnten wir uns vor-
stellen, als so unser ganzes Leben mit dem Suchen nach den Resten
der Vergangenheit zuzubringen.

Gott sei es gedankt, dass mich der feste Glaube an das Vorhanden-
sein jenes Troja in allen Wechselfällen meiner ereignissreichen Lauf-
bahn nie verlassen hat! — aber erst im Herbste meines Lebens und
dann auch ohne Minna — und weit, weit von ihr entfernt — sollte ieli
unsere Kinderträume von vor fünfzig Jahren ausführen dürfen.

Mein Vater konnte nicht griechisch, aber er war im Lateinischen
gut bewandert und benutzte jeden freien Augenblick, auch mich darin
zu unterrichten. Als ich kaum neun Jahr alt war, starb meine
geliebte Mutter: es war dies ein unersetzlicher Verlust und wol das
grösste Unglück, das mich und meine sechs Geschwister1 treffen
konnte.

Meiner Mutter Tod fiel noch mit einem andern schweren Misgeschick
zusammen, infolge dessen alle unsere Bekannten uns plötzlich den Ducken
wandten und den Verkehr mit uns aufgaben. Ich grämte mich nicht
sehr um die Uebrigen: aber, dass ich die Familie Meincke nicht mehr
sehen, dass ich mich ganz von Minna trennen, sie nie wiedersehen

1 Meine beiden Brüder sind fcodt; von
meinen vier Schwestern ist um- die älteste,
Elise, unverheirathet; die zweite, Doris,
war die Gattin des kürzlich verstorbenen
würdigen Amtssecretärs Hans Petrowsky
in Hobel in Mecklenburg; die dritte, Wil-

helmine, ist die Ehehälfte des Oberlehrers
Wilhelm Kuhse in Dillenbnrg in Hessen-
Cassel, und die vierte, Louise, die Frau
lies Lehrers Martin Peche! in Dargun in
Mecklenburg
 
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