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Die Kunsttheorie Mittelitaliens vor Vasari.

und Nähe geführt werden. Es handelt sich um zwei Vorlesungen
(über Malerei und Plastik) des berühmten florentinischen Historikers
und Philologen Benedetto Varchi (1503—1565), die 1546 in der Aka-
demie von Florenz gehalten wurden und für die in Bildung begriffene
Kunsttheorie der Toskaner nicht ohne Belang sind. Varchi stand ja
in lebhaftem Verkehr mit den Künstlern seiner Zeit; wie er später,
ein Jahr vor seinem eigenen Tode, 1564, Michelangelo die offizielle
Leichenrede gehalten hat, so knüpfte er in seiner ersten Konferenz
an ein berühmtes Sonett seines großen Stadtgenossen (das vom *ottimo
arh'sta*) an; sie ist zugleich ein beredtes Zeugnis für den Michelangelo-
kultus, der bald durch Vasari (dessen Viten Varchi selbst hier schon
ankündigt) das größte literarische Denkmal erhalten sollte. Michel-
angelo selbst hat den Mann der grauen Theorie nicht ohne überlegene
Ironie behandelt; es sind pedantische Elaborate, die, ohne daß ihnen
sonderliche Tiefe innewohnen würde, weit in die platonisch-aristote-
lische Ästhetik der Renaissance hineinführen. Die Exposition ist ganz
schulmäßig; der Boden künstlerischer Wirklichkeit wird nur gestreift
in praktischen Beispielen aus der zeitgenössischen Kunst: Cellinis
Perseus, Tribolos Flußgötter des Arno und Mugnone im Garten von
Castello, Montelupos hl. Cosimus.

Varchis zweite Lektion behandelt den viel berufenen Paragone,
das übliche Paradepferd der italienischen Ästhetiker vom 15. bis ins
18. Jahrhundert. Auch hier ist der Vortrag ganz schulmäßig. Den
Ausgangspunkt bildet die berühmte aristotelische Definition der Kunst,
die ausführlich erläutert wird. Die Gedanken bleiben völlig im alten
Geleise; von einer Sonderstellung der Künste in unserem Sinne, be-
dingt durch die Rolle der schaffenden Phantasie, ist noch keine Rede,
sie sind vielmehr noch durchwegs den Fertigkeiten im mittelalter-
lichen Sinne, artes mechanicae, koordiniert.

Varchi, der sich selbst als in der Malerei wenig, in der Skulptur
als gar nicht erfahren bekennt, hat, um sein Problem des Paragone
einer Lösung zuzuführen, zu einem echten Literatenmittel gegriffen,
das, später bis zum Überdrusse verwendet, hier wohl das erste Mal
auf dem Gebiete der Kunsttheorie erscheint, der Enquete (1546).
Die Antworten, die er auf seine Umfrage von einer Reihe florentini-
scher Künstler seiner Zeit erhalten hat, liegen noch vor. Sie kommen
von Malern wie Jacopo da Pontormo, Angelo Bronzino, Vasari, von
Bildhauern wie Benvenuto Cellini, Tribolo, Francesco da Sangallo,
endlich dem berühmten Holzintarsiator Tasso. Im einzelnen sind sie
natürlich nach Temperament und Geistesanlage sehr verschieden; und
gerade darin, in diesem Vergleichsmaterial, liegt der eigentliche Wert
und der psychologische Reiz dieser Gutachten. Natürlich plädiert
jeder wacker für die eigene erwählte Kunst, die Gemeinplätze, die
 
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