Äußere und innere Form des Bildes
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zwei Genossen, ein Paar hoher verschleierter Gestalten steht an
den Schmalseiten, noch ein letztes Mal hinabblickend auf den ver-
stummten Meister. In die übrigbleibenden Ecken links und rechts
sind weibliche Figuren in kauernder Haltung hingesetzt, und goldig
schimmert der gemusterte Grund aus der Schattentiefe. — Die innere
Form der Kastenreliefs besteht somit aus der Anordnung der Schau-
plätze mit ihren Baulichkeiten oder sonstigen Requisiten, bei denen
die rhythmische Arkadenreihe zu Anfang, der Kerkerturm am Ende
und der Steinsarg droben die tonangebende Rolle spielen, und inner-
halb dieser die Aufteilung der Figuren mit ihrer Haltung und Ge-
bärde, ihrem schwermütigen Requiem am Schluß, in das wohl noch
ein bekrönender Gruß aus der Höhe hineinragte, der jetzt uner-
kennbar geworden ist. —
Da ist also eine zeitlich vorübergehende Reihe von drei Bildern,
eigentlich vier Momenten, unter die zusammenfassende Einheit des
Spitzbogens gebracht und zu paariger Staffelung übereinander mit
abschließender Bekrönung aufgebaut, — höchst bezeichnend für den
Bund der erzählenden Bildnerei mit der festen Giebelform der Ar-
chitektur, die den transitorischen Verlauf in sich aufnimmt und nach
dem Hausgesetz ihres Achsensystems aufgipfelt zum Höhepunkt,
aber eigentlich doch den Widerspruch nicht überwindet.
Ganz ähnlich steht es, in einem fortgeschrittenen Stadium, noch
an der Porte St. Etienne des südlichen Querhauses von Notre-Dame
zu Paris. Das Spitzbogenfeld hat hier drei Stockwerke aufzu-
nehmen, deren oberstes freilich schon im Himmel liegt aber zu dem
Martyrium auf Erden hinzugehört. Die unterste Zeile umfaßt drei,
die obere zwei Szenen nebeneinander, kaum durch andre Trennungs-
zeichen gesondert, als die Rückendrehung der Figuren von selbst
ergibt. Links macht die Disputation des jungen Stephanus in der
Synagoge den Anfang; in der Mitte predigt er dem Volke; rechts
wird er schon vor den Richter geführt, schuldig befunden und ver-
urteilt. Uber diesen dreigliedrigen Reliefstreifen zieht sich ein
Kranzgesims mit Zwergarkaden hin und leitet das Auge darauf, die
ganze Breite durchzutaktieren, wie wir es auch in den Miniaturen
des Psalters für König Ludwig IX, nur oft noch willkürlicher hin-
einübertragen finden. Sehr geschickt wird darüber die stärkere
Schrägung des Bogens zugunsten entscheidender Körperbewegungen
ausgenutzt: links bei der Steinigung für einen knieenden Helfer,
der Steine sammelt und darbietet; rechts bei der Einsargung für
den vorgebeugten Träger am Fußende. Unter der höchsten Spitze
erscheint auf Wolkengekräusel die Halbfigur des Erlösers von zwei
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zwei Genossen, ein Paar hoher verschleierter Gestalten steht an
den Schmalseiten, noch ein letztes Mal hinabblickend auf den ver-
stummten Meister. In die übrigbleibenden Ecken links und rechts
sind weibliche Figuren in kauernder Haltung hingesetzt, und goldig
schimmert der gemusterte Grund aus der Schattentiefe. — Die innere
Form der Kastenreliefs besteht somit aus der Anordnung der Schau-
plätze mit ihren Baulichkeiten oder sonstigen Requisiten, bei denen
die rhythmische Arkadenreihe zu Anfang, der Kerkerturm am Ende
und der Steinsarg droben die tonangebende Rolle spielen, und inner-
halb dieser die Aufteilung der Figuren mit ihrer Haltung und Ge-
bärde, ihrem schwermütigen Requiem am Schluß, in das wohl noch
ein bekrönender Gruß aus der Höhe hineinragte, der jetzt uner-
kennbar geworden ist. —
Da ist also eine zeitlich vorübergehende Reihe von drei Bildern,
eigentlich vier Momenten, unter die zusammenfassende Einheit des
Spitzbogens gebracht und zu paariger Staffelung übereinander mit
abschließender Bekrönung aufgebaut, — höchst bezeichnend für den
Bund der erzählenden Bildnerei mit der festen Giebelform der Ar-
chitektur, die den transitorischen Verlauf in sich aufnimmt und nach
dem Hausgesetz ihres Achsensystems aufgipfelt zum Höhepunkt,
aber eigentlich doch den Widerspruch nicht überwindet.
Ganz ähnlich steht es, in einem fortgeschrittenen Stadium, noch
an der Porte St. Etienne des südlichen Querhauses von Notre-Dame
zu Paris. Das Spitzbogenfeld hat hier drei Stockwerke aufzu-
nehmen, deren oberstes freilich schon im Himmel liegt aber zu dem
Martyrium auf Erden hinzugehört. Die unterste Zeile umfaßt drei,
die obere zwei Szenen nebeneinander, kaum durch andre Trennungs-
zeichen gesondert, als die Rückendrehung der Figuren von selbst
ergibt. Links macht die Disputation des jungen Stephanus in der
Synagoge den Anfang; in der Mitte predigt er dem Volke; rechts
wird er schon vor den Richter geführt, schuldig befunden und ver-
urteilt. Uber diesen dreigliedrigen Reliefstreifen zieht sich ein
Kranzgesims mit Zwergarkaden hin und leitet das Auge darauf, die
ganze Breite durchzutaktieren, wie wir es auch in den Miniaturen
des Psalters für König Ludwig IX, nur oft noch willkürlicher hin-
einübertragen finden. Sehr geschickt wird darüber die stärkere
Schrägung des Bogens zugunsten entscheidender Körperbewegungen
ausgenutzt: links bei der Steinigung für einen knieenden Helfer,
der Steine sammelt und darbietet; rechts bei der Einsargung für
den vorgebeugten Träger am Fußende. Unter der höchsten Spitze
erscheint auf Wolkengekräusel die Halbfigur des Erlösers von zwei