Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schmidt, Alfred Max
Zur Entwickelung des rhythmischen Gefühls bei Uhland: (Einleitung und Th. 2) — Altenburg S.-A.: Unger, 1904

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71757#0035
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 35 —

1. Ueberleitung von der vorigen Situation (Schiffbruch) in die gegen-
wärtige.
2. Der sich rettende Königssohn.
3. Schilderung des Schicksals.
4. Die aufsteigende Ahnung, daß in seiner Rettung ein Wink des
Schicksals liege.
Nicht blos die Systeme, sondern auch die einzelnen Reihen sind unaus-
geglichen. Von Vers 8 an reichen die Viertakter nicht mehr aus, um deu Inhalt
in Form eines nur umständlich durchführbaren Vergleichs zwischen dem Meere
nnd der leiblichen Mutter des Königssohnes zu fassen; klingende und stumpfe
Fünftakter treten an ihre Stelle, die nur V. lO von einem Viertakter, der nach-
träglich durch Umänderung von Tageslicht in Licht erst entstanden ist, unter-
brochen werden. Die zweite Fassung hat diese Fünftakter zu beseitigen gesucht.
Nur drei sind stehen geblieben (9., 11. u. 12., sämtlich klingend, also auch vier-
taktig lesbar, trotzdem fallen sie als einzige klingende Verse störend auf.) Die
dritte Fassung zeigt wieder das Bernühen, die klingenden Fünftakter zu beseitigen.
Es gelingt bis aus Vers 13; hier ist die Ungleichmäßigkeit endgiltig geblieben.
Zugleich fügt Hier Uhland den Inhalt zu vierreihigen Strophen. Auch das wird
ihm nicht leicht. Zu den vier Gedankenganzen braucht er 5 Stropheu. Eine
Strophe die Ueberleitung, eine Strophe die Rettung des Königsfohnes, zwei
Strophen Schilderung seines Schicksals durch ihu selbst, eine Strophe die anf-
fteigende Ahnung. Wieder ist es jener Vergleich, der sich — wie erst nicht in
die Gestalt der Reihen — nun auch uicht in die strophische Gliederung ein-
fügen will. Mitten in demselben reißt die erste der beiden Strophen ab, seine
zweite Hälste bildet den Anfang der folgenden Strophe. Die außerhalb des
Vergleichs steheuden Teile der beideu Strophen mußten, da aus 6 sich 8 Reihen
bilden sollten, erweitert werden. So steht jetzt statt des knappen und wirksamen
Verses:
Ein Königssohn, doch heimatlos
die Periode: Ein Königssohn, mir aber ist die Heimat längst verloren;
anstatt: In Riesenarmen mich gewiegt (V. 13):
In Riesenarmen wiegte sie mich selbst und meine Brüder.
Man sieht, die Fassung von 1811 hat eine Kürzung erfahren bis zum
Aeußersten. Eine Erweiterung erträgt sie nunmehr nur sehr schwer und immer
mit der Gefahr, daß mit der Zunahme an Breite eine Abnahme an Wirkungs-
kraft verbunden sei.
Wesentlich über das, was Uhlands Kunst im „Königssohn" erreicht, geht
sie auch späterhin nicht hinaus. Manche kleine Unebenheit würde kaum bemerkt
werden, wenn es eben der reiche Lesartenapparat zu diesem Gedichte nicht
 
Annotationen