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Schmidt, Georg [Bearb.]; Böcklin, Arnold [Ill.]
Arnold Böcklin - Pan — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 85: Stuttgart: Reclam, 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.65323#0009
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ein Mal und relativ spät erst als Einzelgestalt (1874) und
nur in der Form der vielfigurigen Bacchusfeier etwas häu-
figer vorkommt (1856, 1872, 1873, 1885, 1890) — jedoch,
mit der einen Ausnahme des „Bacchantenzuges“ von 1856,
in sehr unbacchantischem Geiste. Wie gerne würden wir
Böcklin, einen der großen Unzeitgemäßen innerhalb der
Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in die
Nähe des anderen großen Unzeitgemäßen, Friedrich Nietz-
sches, rücken dürfen! Nietzsches epochemachendes Früh-
werk, die „Geburt der Tragödie“, in dem Nietzsche dem
klassisch Apollinischen das antiklassisch Dionysische, der
Welt des schönen Scheins die Welt des Rausches, der Pla-
stik die Musik, dem sich selbst erkennenden Individuum
die ekstatische Selbstvergessenheit entgegensetzt — dieses
Werk ist 1870/71 geschrieben: in unvorstellbarem Maße
„unzeitgemäß“, und in genau den gleichen Jahren, da
Böcklin endgültig sich gegen die Kunst seiner Gegenwart
entschieden hat. Bei Böcklin ist es jedoch nicht die Ent-
scheidung für Dionysos gegen Apollo, sondern gerade
umgekehrt: für Apollo gegen Dionysos! Böcklins ein-
ziger Bacchus von 1874 ist, höchst unbacchisch, mit thea-
tralischer Gebärde auf eine Wolkenbank gesetzt — als
„Wandfüllung über einem Buffet“ (Anm.4). Erst nach
dem Verstummen Nietzsches, erst in den 1890er Jahren,
ist Nietzsches Verkündigung des Dionysischen als zeit-
gemäß begeistert aufgenommen worden — und zwar aus-
gesprochen als Absage an die das Dionysische verdrän-
gende Welt, deren reinster Ausdruck gerade die reife
Kunst Böcklins nach 1870 ist. 1890 und 1893 sind die
beiden Teile des großartigen Buches „Psyche, Seelenkult
und Unsterblichkeitsglaube der Griechen“ von Erwin
Rohde erschienen, der schon in der Zeit der „Geburt der
Tragödie“ mit Nietzsche befreundet war. Rohdes „Psyche“
ist wie der wissenschaftliche Vollzug der Nietzscheschen
Vision des Dionysischen. Im Jahre 1895 ist der erste Band
der seinerzeit berühmten Zeitschrift „Pan“ unter der Re-
daktion von Otto Julius Bierbaum und Julius Meier-
Graefe erschienen — auf der ersten Seite ist ein Stück aus
Zarathustra abgedruckt, auf der fünften Böcklins „Dra-
chentöter“ von 1873. „Pan“ ist in Deutschland die erste

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