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Schmotz, Karl; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Contr.]
Die vorgeschichtliche Besiedlung im Isarmündungsgebiet — Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, Band 58: Kallmünz/​Opf.: Verlag Michael Lassleben, 1989

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73523#0013
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EINLEITUNG

Die Untersuchung historischer Vorgänge für Zeiten
fehlender schriftlicher Quellen kann sich allein auf
das heute verfügbare archäologische Fundmaterial
stützen, dessen chronologische Einordnung die For-
schung vor allem im 19. und beginnenden 20. Jahr-
hundert beschäftigte. Neben einer möglichst hohen
Anzahl von Fundstellen bietet erst die gesicherte
Chronologie die Voraussetzung, über die rein de-
skriptiv-antiquarische Betrachtungsweise hinauszu-
gelangen und die heimische Archäologie zu einer
historischen Wissenschaft zu entwickeln. So wurde
bereits recht früh — eigentlich zu früh — gefordert,
das Fundmaterial in seiner geographischen Verbrei-
tung zu untersuchen, ohne Aussicht auf befriedigen-
de Ergebnisse zu besitzen1.
Entscheidend für die Beschäftigung mit siedlungs-
geographischen Fragen waren die von R. Gradmann
bereits Ende des 19. Jahrhunderts ausgehenden Im-
pulse zur Untersuchung der sogenannten Urland-
schaft. Mit diesem Begriff wurde jene Landschaft
bezeichnet, die zu Beginn des ersten Auftretens
seßhafter Bevölkerung in Mitteleuropa vorhanden
war und aus welcher im Laufe der Zeit durch anthro-
pogene Eingriffe die Kulturlandschaft entstand. Er-

ste Ansätze lagen im Bereich der Pflanzengeogra-
phie, die sich in der daraus entwickelten sogenann-
ten Steppenheidetheorie seit 1898 manifestierten2.
Gradmanns Theorie nahm für bestimmte, erstmals
zu Beginn des Neolithikums besiedelte Räume Sied-
lungskontinuität bis ins Mittelalter an. Im Vergleich
zu den erst später erschlossenen Landschaften wie-
sen die altbesiedelten Gebiete meist niederschlagär-
meres Klima und vielfach Böden (Kalkstein, Löß)
auf, die sich unter dem Einfluß eines Trockenklimas
leicht waldschädlich auswirkten. Gradmann kam zu
dem Schluß, daß in der Urlandschaft während der
ersten neolithischen Besiedlung neben ausgedehn-
ten Urwäldern auch waldlose oder waldarme, step-
penähnliche Freiflächen vorhanden gewesen seien,
die Einwanderer leicht hätten in Besitz nehmen
können. Die vor allem innerhalb der Geographie
diskutierte Steppenheidetheorie wird heute von der
Altlandschaftsforschung abgelehnt. Sie forderte
aber bereits damals dazu heraus, ihre Anwendungs-
möglichkeit auf den archäologischen Fundstoff
zu prüfen. Als erster bearbeitete E. Wahle 1918
den jungneolithischen Fundstoff des damaligen
Ostdeutschland unter siedlungsgeographischem

1) Als Beispiel seien die kurzen Ausführungen von J. G. G. Büsching, Abriß der deutschen Altertumskunde (1824)
22f., 24, 34, genannt, der eine Untersuchung der Lage von Siedlungen zu Gräberfeldern, deren Verhältnis zu
Gewässern aller Art und zu Straßen forderte. Die Idee, das Fundmaterial nicht nur chronologisch, sondern auch
geographisch zu untersuchen, war damit zwar geboren, doch beschäftigte sich in der Praxis niemand so recht mit ihr.
Bei der damaligen Quellensituation und der noch unzulänglichen Chronologie wären die Ergebnisse sicher mehr als
dürftig ausgefallen. Von einer planmäßigen Siedlungsgeographie kann deshalb vor 1870 keine Rede sein. Vgl. H.
Gummel, Forschungsgeschichte in Deutschland 1 (1938) 174.

2) R. Gradmann, Das Pflanzenleben der Schwäbischen Alb (1898; 41950). Im Gegensatz zu Kossinna, dessen
Vorstellung von Siedlungsarchäologie hier nur durch Angabe der wichtigsten Literatur angemerkt werden soll,
modifizierte Gradmann seine Forschungsmeinung immer dann, wenn von anderer Seite Zweifel an bestimmten
Details oder an der gesamten Theorie aufkamen. Zusammenfassung bei H. Nietsch, Steppenheide oder Eichenwald?
Eine urlandschaftskundliche Untersuchung zum Verständnis der vorgeschichtlichen Siedlung in Mitteleuropa (1935).
— Vgl. auch H. Nietsch, Wald und Siedlung im vorgeschichtlichen Mitteleuropa unter besonderer Berücksichtigung
der jüngeren Steinzeit. Mannus-Bücherei 64 (1939). — Zuletzt von R. Gradmann, Altbesiedeltes und jungbesiedel-
tes Land. Studium Generale 1, 1948, 163 ff. — Eine Übersicht bei H. Jaeger, Zur Geschichte der deutschen
Kulturlandschaften. Geogr. Zeitschr. 51, 1963, 90 ff. — Wichtigstes Schrifttum zu G. Kossinna, der seine ethnische
Ausdeutung archäologischer Materialien als „siedlungsarchäologische Methode" mit Vehemenz und Kompromißlo-
sigkeit verteidigte: G. Kossinna, Die Herkunft der Germanen. Zur Methode der Siedlungsarchäologie (1911). — E.
Blume, Die germanischen Stämme und die Kulturen zwischen Oder und Passarge zur römischen Kaiserzeit. Mannus-
Bibl. 8 u. 14 (1912; 1915). — H. Hahne, 25 Jahre Siedlungsarchäologie. Arbeiten aus dem Kreise der Berliner
Schule. Mannus-Bibl. 22 (1922). — Grundlegend zur Kritik: E. Wahle, Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher
Kulturprovinzen. Grenzen frühgeschichtlicher Erkenntnis I (1941). — H.-J. Eggers, Das Problem der ethnischen
Deutung in der Frühgeschichte. Festschr. E. Wahle (1950) 49 ff.

3) E. Wahle, Ostdeutschland in jungneolithischer Zeit — ein prähistorisch-geographischer Versuch. Mannus-Bibl. 15

(1918).

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