2. Die westfränkischen regna im 10. Jahrhundert
und die historisch-geographische Terminologie Flodoards
In einem Zeitraum von etwa 150Jahren vollzog sich seit der Mitte des 9. Jahrhunderts die
Konsolidierung des aus dem karolingischen Großreich hervorgegangenen westfränkischen
Reiches als eigenständige politische wie geographische Größe. Seit der Merowingerzeit waren
fränkische Reichsteilungen unter regierungsfähige Prinzen üblicher Brauchder auch von der
karolingischen Familie weiter gepflegt wurde und nur durch biologische und dynastische
Zufälle bis 840 immer wieder zu einer einheitlichen Herrschaft über das Gesamtreich
zurückführte2 3\ Darum mußte in der durch den Vertrag von Verdun 843 vollzogenen Trennung
des durch die Eroberungen gewaltig vergrößerten karolingischen Großreiches in drei Teile kein
endgültiges Ereignis erblickt werden, obwohl - wie Classen gezeigt hat - der Vertrag von
Coulaines das Selbstverständnis eines auf nur ein Teilreich beschränkten Adels, der in ein
Vertragsverhältnis zum Herrscher trat, deutlich werden läßt3). In der Tat brachte das Jahr 885
eine letzte Vereinigung des Großreichs unter Karl III. dem Dicken, die freilich die veränderten
politischen Bedingungen des späten 9. Jahrhunderts schonungslos bloßlegte; Karl selbst machte
auch gar nicht mehr den Versuch zur administrativen Integration der Teile, urkundete nach
seinen Regierungsjahren in den Teilreichen, hielt jeweils getrennte Reichsversammlungen ab
und beließ seiner Hofkapelle ihren ursprünglichen, rein ostfränkischen Charakter. Ständige
Bedrohungen der Reichsgrenzen zeigten zudem die Grenzen der Zentralgewalt und der
überkommenen karolingischen Wehrverfassung4'1. Nur regional organisierte Abwehrmaßnah-
1) Eugen Ewig, Die fränkischen Teilungen und Teilreiche (511-613), in: Ders., Spätantikes und
fränkisches Galien. Gesammelte Schriften (1952-1973) 1, Zürich - München 1976 (Beihefte der Francia
3, 1), S. 114-171; Ders., Die fränkischen Teilreiche im 7.Jahrhundert (613-714), ebd. S. 172-230; Ders.,
Überlegungen zu den merowingischen und karolingischen Teilungen, in: Nascita dell’Europa ed Europa
carolingia: un equazione da verificare 1, Spoleto 1981 (SSCI27), S. 225-253; Peter Classen, Karl der Große
und die Thronfolge im Frankenreich, in: FS Hermann Heimpel3, Göttingen 1972 (Veröffentlichungen des
Max-Planck-Instituts für Geschichte 36,3), S. 109-134.
2) Dazu allgemein Engelbert Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern, Darmstadt
"1959, S. 321 ff.; Josef Fleckenstein, Das großfränkische Reich: Möglichkeiten und Grenzen der Groß-
reichsbildung im Mittelalter, in: HZ 233, 1981, S. 265-294.
3) Peter Classen, Die Verträge von Verdun und Coulaines als politische Grundlage des westfränkischen
Reiches, in: HZ 196, 1963, S. 1-35; vgl. auch: Der Vertrag von Verdun 843, hg. Theodor Mayer, Leipzig
1943 und Ursula Penndorf, Das Problem der »Reichseinheitsidee« nach der Teilung von Verdun (843).
Untersuchungen zu den späten Karolingern, München 1974 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und
Renaissance-Forschung 20).
4) Vgl. Walter Schlesinger, Die Auflösung des Karlsreiches, in: Karl der Großei »Persönlichkeit und
Geschichte«, hg. Helmut Beumann, Düsseldorf 1965, S. 792-857. Zur normannischen Expansion des
17
und die historisch-geographische Terminologie Flodoards
In einem Zeitraum von etwa 150Jahren vollzog sich seit der Mitte des 9. Jahrhunderts die
Konsolidierung des aus dem karolingischen Großreich hervorgegangenen westfränkischen
Reiches als eigenständige politische wie geographische Größe. Seit der Merowingerzeit waren
fränkische Reichsteilungen unter regierungsfähige Prinzen üblicher Brauchder auch von der
karolingischen Familie weiter gepflegt wurde und nur durch biologische und dynastische
Zufälle bis 840 immer wieder zu einer einheitlichen Herrschaft über das Gesamtreich
zurückführte2 3\ Darum mußte in der durch den Vertrag von Verdun 843 vollzogenen Trennung
des durch die Eroberungen gewaltig vergrößerten karolingischen Großreiches in drei Teile kein
endgültiges Ereignis erblickt werden, obwohl - wie Classen gezeigt hat - der Vertrag von
Coulaines das Selbstverständnis eines auf nur ein Teilreich beschränkten Adels, der in ein
Vertragsverhältnis zum Herrscher trat, deutlich werden läßt3). In der Tat brachte das Jahr 885
eine letzte Vereinigung des Großreichs unter Karl III. dem Dicken, die freilich die veränderten
politischen Bedingungen des späten 9. Jahrhunderts schonungslos bloßlegte; Karl selbst machte
auch gar nicht mehr den Versuch zur administrativen Integration der Teile, urkundete nach
seinen Regierungsjahren in den Teilreichen, hielt jeweils getrennte Reichsversammlungen ab
und beließ seiner Hofkapelle ihren ursprünglichen, rein ostfränkischen Charakter. Ständige
Bedrohungen der Reichsgrenzen zeigten zudem die Grenzen der Zentralgewalt und der
überkommenen karolingischen Wehrverfassung4'1. Nur regional organisierte Abwehrmaßnah-
1) Eugen Ewig, Die fränkischen Teilungen und Teilreiche (511-613), in: Ders., Spätantikes und
fränkisches Galien. Gesammelte Schriften (1952-1973) 1, Zürich - München 1976 (Beihefte der Francia
3, 1), S. 114-171; Ders., Die fränkischen Teilreiche im 7.Jahrhundert (613-714), ebd. S. 172-230; Ders.,
Überlegungen zu den merowingischen und karolingischen Teilungen, in: Nascita dell’Europa ed Europa
carolingia: un equazione da verificare 1, Spoleto 1981 (SSCI27), S. 225-253; Peter Classen, Karl der Große
und die Thronfolge im Frankenreich, in: FS Hermann Heimpel3, Göttingen 1972 (Veröffentlichungen des
Max-Planck-Instituts für Geschichte 36,3), S. 109-134.
2) Dazu allgemein Engelbert Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern, Darmstadt
"1959, S. 321 ff.; Josef Fleckenstein, Das großfränkische Reich: Möglichkeiten und Grenzen der Groß-
reichsbildung im Mittelalter, in: HZ 233, 1981, S. 265-294.
3) Peter Classen, Die Verträge von Verdun und Coulaines als politische Grundlage des westfränkischen
Reiches, in: HZ 196, 1963, S. 1-35; vgl. auch: Der Vertrag von Verdun 843, hg. Theodor Mayer, Leipzig
1943 und Ursula Penndorf, Das Problem der »Reichseinheitsidee« nach der Teilung von Verdun (843).
Untersuchungen zu den späten Karolingern, München 1974 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und
Renaissance-Forschung 20).
4) Vgl. Walter Schlesinger, Die Auflösung des Karlsreiches, in: Karl der Großei »Persönlichkeit und
Geschichte«, hg. Helmut Beumann, Düsseldorf 1965, S. 792-857. Zur normannischen Expansion des
17