94
3. Exkurs: Begriffsbestimmung und Methodik
Stärker als manch andere Gattung unterliegt die Bildniskunst der subjektiven
Bewertung des Betrachters und dessen historischen und kulturellen Bindungen.3
Das Bildnis fordert den direkten Blickkontakt heraus: Auge in Auge sieht sich der
Betrachter mit dem Dargestellten konfrontiert.4 Wie Spiegelbilder aus vergangenen
Zeiten treten uns die Porträtierten entgegen und fesseln uns durch die eigenartige
Macht des Blickes5 6, der man sich nur schwer entziehen kann und die uns Porträts
so zeitlos lebendig erscheinen läßt. Mit der Hoffnung auf ewiges Leben, als biogra-
phisch genealogisches Vermächtnis an die Nachwelt, wurden und werden Bildnisse
geschaffen, und in der Zwiesprache mit dem Gegenüber scheinen sich die Realitäts-
grenzen aufzuheben: So „ist die aus dem Bilde blickende Figur im Warburgschen
Sinne eine Pathosformel. In ihr verkörpert sich das Verlangen der Kunst, Wirklichkeit
zu werden. Wie Adams ausgestreckte Hand spannt sie sich der erweckenden Berührung
entgegen. Kommt diese zustande, so mündet die Realität des Kunstwerks in die Realität
des Lebens.“^ Alfred Neumeyers treffende Äußerungen über das gemalte Porträt
gelten letztlich für jedes künstlerisch gestaltete Bildnis.
3.1 Zur Begriffsbestimmung im 18. Jahrhundert
Die Begriffsbestimmung des Porträts ist in der Tradition der Kunsttheorie eng
verknüpft mit dem Stellenwert der Porträtmalerei innerhalb der bildenden Künste.7
Bis ins frühe 19. Jahrhundert war ihr Rang in der Hierarchie der Künste einer
der niedrigsten. So gehörten die Bildnismaler in England noch bis zum Ende des
17. Jahrhunderts bezeichnenderweise zur Zunft der Wagen- und Hausmaler, wur-
den also als solide Handwerker betrachtet.8 Als reines Abbild der Natur fehlte der
Porträtmalerei nach Ansicht der Kunsttheoretiker die für eine höhere Einschätzung
notwendige künstlerische Invention. Erst als sich im 19. Jahrhundert die kunst-
theoretischen Forderungen von der Naturtreue zu lösen begannen, kam es zu einem
Neuansatz und damit zu einer vorwiegend ästhetischen Bewertung der Bildniskunst.
Versuche einer Aufwertung gab es allerdings schon zu Beginn des 18. Jahrhun-
derts, so in Arnold Houbrakens großem dreibändigen Kupferstichwerk, der Groote
Schouburgh der Nederlandsche Kunstschilders, das zwischen 1718 und 1721 erschien.
3 Wie stark solche Einflüsse sein können, zeigt die Einschätzung, die das Ziesenissche Porträt Fried-
richs des Großen in der Kunstwissenschaft erfahren hat; siche Kap. 4.
4 Eine Ausnahme ist das Profilbildnis.
5 Siehe dazu Dagobert Frey, Dämonie des Blickes, Wiesbaden 1953, und Alfred Neumeyer, Der Blick
aus dem Bilde, Berlin 1964.
6 Neumeyer 1964, S. 87.
7 Auf die bildhauerische Gestaltung von Porträts wird hier nicht weiter eingegangen. Grundsätzlich
treffen aber die angesprochenen Probleme auch auf die Skulptur zu.
11 Siehe AK Berlin 1980, S. 154.
3. Exkurs: Begriffsbestimmung und Methodik
Stärker als manch andere Gattung unterliegt die Bildniskunst der subjektiven
Bewertung des Betrachters und dessen historischen und kulturellen Bindungen.3
Das Bildnis fordert den direkten Blickkontakt heraus: Auge in Auge sieht sich der
Betrachter mit dem Dargestellten konfrontiert.4 Wie Spiegelbilder aus vergangenen
Zeiten treten uns die Porträtierten entgegen und fesseln uns durch die eigenartige
Macht des Blickes5 6, der man sich nur schwer entziehen kann und die uns Porträts
so zeitlos lebendig erscheinen läßt. Mit der Hoffnung auf ewiges Leben, als biogra-
phisch genealogisches Vermächtnis an die Nachwelt, wurden und werden Bildnisse
geschaffen, und in der Zwiesprache mit dem Gegenüber scheinen sich die Realitäts-
grenzen aufzuheben: So „ist die aus dem Bilde blickende Figur im Warburgschen
Sinne eine Pathosformel. In ihr verkörpert sich das Verlangen der Kunst, Wirklichkeit
zu werden. Wie Adams ausgestreckte Hand spannt sie sich der erweckenden Berührung
entgegen. Kommt diese zustande, so mündet die Realität des Kunstwerks in die Realität
des Lebens.“^ Alfred Neumeyers treffende Äußerungen über das gemalte Porträt
gelten letztlich für jedes künstlerisch gestaltete Bildnis.
3.1 Zur Begriffsbestimmung im 18. Jahrhundert
Die Begriffsbestimmung des Porträts ist in der Tradition der Kunsttheorie eng
verknüpft mit dem Stellenwert der Porträtmalerei innerhalb der bildenden Künste.7
Bis ins frühe 19. Jahrhundert war ihr Rang in der Hierarchie der Künste einer
der niedrigsten. So gehörten die Bildnismaler in England noch bis zum Ende des
17. Jahrhunderts bezeichnenderweise zur Zunft der Wagen- und Hausmaler, wur-
den also als solide Handwerker betrachtet.8 Als reines Abbild der Natur fehlte der
Porträtmalerei nach Ansicht der Kunsttheoretiker die für eine höhere Einschätzung
notwendige künstlerische Invention. Erst als sich im 19. Jahrhundert die kunst-
theoretischen Forderungen von der Naturtreue zu lösen begannen, kam es zu einem
Neuansatz und damit zu einer vorwiegend ästhetischen Bewertung der Bildniskunst.
Versuche einer Aufwertung gab es allerdings schon zu Beginn des 18. Jahrhun-
derts, so in Arnold Houbrakens großem dreibändigen Kupferstichwerk, der Groote
Schouburgh der Nederlandsche Kunstschilders, das zwischen 1718 und 1721 erschien.
3 Wie stark solche Einflüsse sein können, zeigt die Einschätzung, die das Ziesenissche Porträt Fried-
richs des Großen in der Kunstwissenschaft erfahren hat; siche Kap. 4.
4 Eine Ausnahme ist das Profilbildnis.
5 Siehe dazu Dagobert Frey, Dämonie des Blickes, Wiesbaden 1953, und Alfred Neumeyer, Der Blick
aus dem Bilde, Berlin 1964.
6 Neumeyer 1964, S. 87.
7 Auf die bildhauerische Gestaltung von Porträts wird hier nicht weiter eingegangen. Grundsätzlich
treffen aber die angesprochenen Probleme auch auf die Skulptur zu.
11 Siehe AK Berlin 1980, S. 154.


