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Schreurs, Anna; Ligorio, Pirro [Ill.]
Antikenbild und Kunstanschauungen des neapolitanischen Malers, Architekten und Antiquars Pirro Ligorio (1513 - 1583) — Köln, 2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.22612#0125
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IV. Der „rauhe Pfad" - Ligorios Jahre
als Künstler am päpstlichen Hof

Der sogenannte „kunsttheoretische" Traktat (= „Trat-
tato di alcune cose appartenente alla nohilta cielVantiche
arti", AST, MS. a.II.16, Vol. 29) beginnt mit einer
polemischen Beschreibung der römischen Kunst-
welt, die bevölkert sei von ungebildeten, eitlen
Künstlern und Auftraggebern, die sich von deren
Machenschaften blenden ließen. Diese Schilderung
weitet Ligorio im Verlaufe des Textes zu einer
scharfen Analyse des zeitgenössischen höfischen
Leben aus. Somit handelt es sich bei dieser „kunst-
theoretischen" Abhandlung, die aufgrund ihrer
Thematik und des sehr persönlichen Schreibstils
eine Sonderstellung unter den Manuskripten des
Antiquars einnimmt, eher um eine Anklageschrift
gegen die Ausschweifungen des Jahrhunderts in
Kunst und Sitten als um einen durchgängig konzi-
pierten Traktat.

Der gekränkte und bittere Ton der Abhandlung,
der schon im Titel deutlich wird1, legt nahe, daß der
Künstler sie nach seinem Rückzug aus Rom in Fer-
rara verfaßte.2 David Coffin, der sich mit der Datie-
rung des „kunsttheoretischen" Traktats auseinan-
dergesetzt hat, vermutet, daß der Text am Anfang
der 70er Jahre dort am Hofe der Este entstand. Die
engere Eingrenzung des Entstehungsdatums auf die
Zeit nach 1573 findet - wie im folgenden aufgezeigt
werden soll - durch die genauere Erforschung des
biographischen Hintergrundes volle Bestätigung.

A. „Mi ricordo che essendo
proposto di fare un fönte ... ":
Ligorios „kunsttheoretischer" Traktat
und der Neptunbrunnen
in Bologna3

1. Ligorios Schilderung
einer Kommissionssitzung

Mit der Einleitung „Ich erinnere mich, daß, als vorge-
schlagen wurde, einen Brunnen zu machen ..." bespricht
Ligorio gleich auf den ersten Seiten des Traktats
(Fol. 4V- 8v) in einem langen und ausführlichen
Passus einige Brunnenzeichnungen. Mit lebhaften
Worten schildert er die Situation einer Kommission,
in der von verschiedenen Künstlern Zeichnungen für
ein Brunnenprojekt vorgelegt werden: Als Brunnen-
figuren dargestellt sind eine Venus auf einem Del-
phinwagen, Herkules mit Cerberus, Vulcanus, ein
Satyr mit Panflöte, Glaukus mit einer Muschelschale,
eine Galatea mit Acis und Polyphem, Leda mit dem
Schwan, Herkules mit der Hydra, Neptun mit
Amphitride, Europa mit dem Stier, Thetis, Pegasus
und einige andere mythologische Gestalten. Nicht
nur die 16 Zeichnungen werden in ihrer mytholo-
gischen Themenvielfalt vor Augen geführt, sondern
ebenso kommen auch die verschiedenen Bewertun-
gen und Argumente der fast durchgängig ablehnen-
den Kritik des Gremiums durch Ligorio zu Ohren.

In der bisherigen Literatur wurde diese Textpas-
sage sehr unterschiedlich gedeutet. Inge Podbrecky

1 „Traktat über einige Dinge, die die Erhabenheit der antiken
Künste betreffen und vor allem über die Malerei, die Skulptur und die
Architektur, und über das Gute und das Schiechte, das diejenigen erwer-
ben, die in den Künsten irren, und von jenen, die nicht von diesem Ge-
werbe sind, die zu viel reden, um gelehrt zu erscheinen über etwas, von
dem sie nichts verstehen, und indem sie andere verleumden, schädigen
sie sich selbst'1, vgl. Anhang, S. 402.

2 Die Vermutung liegt auch deshalb nahe, weil sich der Trak-

tat unter den anderen in Ferrara entstandenen Bänden befindet,
die von den Erben des Antiquars in das Staatsarchiv in Turin ge-
langten, vgl. Kap. II. A.2.

3 Der hier dargelegte Zusammenhang zwischen den Brunnen-
zeichnungen des Malers Tommaso Laureti und ihren Beschrei-
bungen durch Ligorio wurde gemeinsam von Stefan Moret und
der Verfasserin entdeckt u. ausführlicher in einem Aufsatz darge-
legt, s. Schreurs/Moret, 1994.

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