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DER MANN MIT DER NELKE

So nenne ich ihn, seit ich ihm begegnet bin. Das heißt:
ich nenne ihn nur vor mir so.
Nicht nur im bürgerlichen Leben, sondern auch im Le-
ben der Kunst heißt er Oskar Kokoschka. Kokoschka ist
ein tschechisches Wort und heißt, wie man mir sagte,
,Hühnchen'. Aber es wäre doch eine Unmöglichkeit,
daß ein Mann namens Hühnchen die Bilder eines
Kokoschka gemalt hätte. Man denke nur an Leberecht
Hühnchen. ,Leberecht', auch das würde nicht passen.
Oskar, das ist schon richtig; besonders wenn er 0 K
signiert. Kürzlich sah ich ein freches, hübsches Mäd-
chen in karierter Hose und knallrotem Pulli vor dem
Fenster einer Kunsthandlung ein Porträt, das Kokoschka
gemalt hatte, betrachten. Das Bild war groß 0 K si-
gniert. Das Mädchen am Fenster hob die Augenbrauen,
kräuselte den violett bemalten Mund und rief sachlich
und begeistert: »Wahrhaftig, OK!«
Aber mit dem Hühnchen hat es doch auch etwas seine
Richtigkeit; wenigstens, was mich angeht. Ich habe
nämlich von Kindheit an eine unbegreifliche Scheu vor
Hühnern und Hühnchen. Diese gleiche unbegreifliche
Scheu habe ich dem Menschen Oskar Kokoschka gegen-
über; nur vor dem Menschen, niemals vor seiner
Kunst.
So konnte es geschehen, daß ich ihm nur einmal leib-
haftig begegnet bin und jeder weiteren Begegnung
 
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