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Adam und Eva.
ferner in der ersten Katakombe der christliche Maler Alles
aus dem Schatze der heidnischen Kunst entnahm, hat der
Vollender dieses Werkes mit dem fremden Pfunde erfolg-
reich gewuchert und die Schranken absoluter Abhängigkeit
bereits durchbrochen.
Die in dem bunten Wechsel heidnischer Figuren er-
scheinenden christlichen Darstellungen sind
Adam und Eva9. Das Bild gehört zu dem Schönsten,
was die altchristliche Kunst je geschaffen hat. Es bringt den
Augenblick zur Anschauung, wo der Erkenntniss des ersten
Menschenpaares das Bewusstsein der begangenen Sünde auf-
geht. Rechts von dem Beschauer steht Adam; auf ihm lastet
der Druck der Unthat am schwersten, da sein Wille durch
Ueberredung gebeugt wurde. Er wendet sich von der Ver-
führerin ab, aber kein Vorwurf entquillt seinem Munde, kein
Zornesgedanke überschattet seine trauernden, resignirt
blickenden Ziige; nur der nach dem Weibe abwehrend
ausgestreckte rechte Arm und das von ihr weggewendete
Gesicht sprechen aus, was seine Seele bewegt. Er hat sich
entschlossen, jede Gemeinschaft mit ihr zu lösen, mit
Schmerz, aber auch zugleich mit dem Gefühle des Pilatus,
als er seine Hände wusch, überlässt er sie, wegschreitend,
sich selbst und ihrer Schuld. Und die Verführerin? Fühlt
sie, wie der Gatte, die Grösse des Unheils, das sie ange-
stiftet? Nur wenig. Sie blickt wohl nachdenklich auf das
corpus delicti, den verhängnissvollen Apfel, welchen sie in
der Hand hält, und scheint das Damals und das Jetzt mit
einander zu vergleichen; aber das Gefühl, das sie vor-
zugsweise beherrscht, ist der Trotz, der sie nicht daran
denken lässt, den forteilenden Gatten zurückzuhalten oder
ihn durch einen flehenden Blick zur Milde zu stimmen.
Die Kunst des Meisters, entgegengesetzte Affecte — hier
Unschulds- und Schuldbewustsein, dort abwehrenden Trotz
9 Die Abbildung bei Bellermann (a. a. O. Taf. V, 1) ist kaum
ein Schatten des Originals.
Adam und Eva.
ferner in der ersten Katakombe der christliche Maler Alles
aus dem Schatze der heidnischen Kunst entnahm, hat der
Vollender dieses Werkes mit dem fremden Pfunde erfolg-
reich gewuchert und die Schranken absoluter Abhängigkeit
bereits durchbrochen.
Die in dem bunten Wechsel heidnischer Figuren er-
scheinenden christlichen Darstellungen sind
Adam und Eva9. Das Bild gehört zu dem Schönsten,
was die altchristliche Kunst je geschaffen hat. Es bringt den
Augenblick zur Anschauung, wo der Erkenntniss des ersten
Menschenpaares das Bewusstsein der begangenen Sünde auf-
geht. Rechts von dem Beschauer steht Adam; auf ihm lastet
der Druck der Unthat am schwersten, da sein Wille durch
Ueberredung gebeugt wurde. Er wendet sich von der Ver-
führerin ab, aber kein Vorwurf entquillt seinem Munde, kein
Zornesgedanke überschattet seine trauernden, resignirt
blickenden Ziige; nur der nach dem Weibe abwehrend
ausgestreckte rechte Arm und das von ihr weggewendete
Gesicht sprechen aus, was seine Seele bewegt. Er hat sich
entschlossen, jede Gemeinschaft mit ihr zu lösen, mit
Schmerz, aber auch zugleich mit dem Gefühle des Pilatus,
als er seine Hände wusch, überlässt er sie, wegschreitend,
sich selbst und ihrer Schuld. Und die Verführerin? Fühlt
sie, wie der Gatte, die Grösse des Unheils, das sie ange-
stiftet? Nur wenig. Sie blickt wohl nachdenklich auf das
corpus delicti, den verhängnissvollen Apfel, welchen sie in
der Hand hält, und scheint das Damals und das Jetzt mit
einander zu vergleichen; aber das Gefühl, das sie vor-
zugsweise beherrscht, ist der Trotz, der sie nicht daran
denken lässt, den forteilenden Gatten zurückzuhalten oder
ihn durch einen flehenden Blick zur Milde zu stimmen.
Die Kunst des Meisters, entgegengesetzte Affecte — hier
Unschulds- und Schuldbewustsein, dort abwehrenden Trotz
9 Die Abbildung bei Bellermann (a. a. O. Taf. V, 1) ist kaum
ein Schatten des Originals.