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Beck, Paul A. [Hrsg.]
Schwäbisches Archiv: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Literatur, Kunst und Kultur Schwabens — 30.1912

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Beck, Paul A.: Johann Lacher, aus Wurzach, im Oberländer Original
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v. Wurzach nicht. Aber zum Helden
einer schlichten Erzählung, welche die
großen weltgcschichtlichen Begebenheiten
mit den kleinen Ereignißen eines aben-
teuerlichen Menschenlebens ohne Künstelei
verwebt, schien der Jüngling zu taugen.
Ein abenteuerlustiger Sinn, eine wahre
Leidenschaft sich mitten in die Wogen
der Zeitereigniße zu stürzen, tritt uns
in dem jungen Helden entgegen. Man
mag über diesen Drang, ins grenzenlose
Weite zu wirken, lächeln, man mag das
meiste, was unser Held ertränmt, ersonnen
und erreicht hat, im Rahmen der welt-
geschichtlichen Ereignisse, wie wir sie
ruhig überblicken können, als unreisen
Versuch ansehen. Aber ein blos bemit-
leidenswerther Abentheurer, dem es ledig-
lich zu thun war, als Raufbold über die
Bühne des Lebens zu stolpern, ist Joh.
B. Lacher doch nicht gewesen. Er hat
es nicht weiter gebracht als zum Lieute-
nant in einem französischen Kürrassier-
regiment. Aber der Ruhm bleibt ihm,
daß er sich aus dürftigen, ja armseligen
Verhältnißen, darin manch anderer Ver-
kommen wäre, emporgearbeitet nnd sich
durch Sturm und Wetter hindurch sein
deutsches Herz bewahrt hat. Er war
ein braver Soldat, sagt der fast lakonisch
kurze Todesbericht; und das will auch
etwas heißen. Er ist nicht ganz 33 I.
alt geworden, als eine öst. Kanonen-
kugel am 21. Mai 1809 bei Aspern
seinem irdischen Leben ein Ziel setzte.
Jn der Blüte seiner Jahre ist er hinge-
rafft worden, damit ihm herbere Kämpfe
erspart würden. Dabei erscheint sein
Leben nicht nur reich an wechselvollen
äußerlichen Ereignißen, sondern auch an
innerem Gehalt. Ein unbedeutender
Mensch kann der Jüngling nicht gewesen
sein, dessen sich.Wieland und Herder
mit väterlichenr Wohlwollen angenommen
haben, den Schiller als „einen recht edlen
und fähigen Charakter" bezeichnet, den
Lavater in uns fast überschwenglich wir-
kenden Worten seinen Freund nannte,
von dem Karoline v. Humboldt be-
zeugt: „Wir waren ihm alle fehr gutl"
Von dem Nachruhm all' der vorgenann-
ten Berühmtheiten ist nun auch etwas
auf Lacher abgefallen. Auf der anderen
Seite dürfen aber auch sein übernaives,

vft gerndezu kindisches Wesen, seine viel-
fach bizarren, verschrobenen, abstrusen
Jdeen, wie z. B. wenn der in Wahrheit
„sonderbare Schwärmer" Napoleon blos
gebrauchen wollte, um ein einiges, freies
deutsches Vaterland zu schaffen, seine nicht
selten bis zur Phantasterei, ja bis zum
Paroxismus gehende Excentricität und
auch etwas Portion Eitelkeit an ihm
nicht übersehen werden.

Jmmerhin war es für den hoffnungs-
vollen jungen Mann ein tragisches Ge-
schick, noch unter den Fahnen Napoleons
zu einer Zeit zu verbluten, als das Mor-
genrot der Befreiung vom Franzosenjoch
schon herandämmerte und nicht minder
merkwürdig, daß es ihn, den geb. Ober-
schwaben, entgegen den von Alters her
österreichischen Sympathien in seiner
vorderösterreichischen Heimat zu den Fran-
zosen statt den Oesterreichern hinzog. Al-
lein Lacher nannte eben kein Vaterland
sein eigen, es gab damals schon längst
kein deutsches Nationalbewußtsein mehr!
Bald stand man in Süddeutschland auf
Seiten der Kaiserlichen, bald der Fran-
oosen, bald verhielt man sich neutral;
das deutsche Reich war traurig in Trüm-
mer gegangen und stand in seinen Resten
trostlos da, war nur noch Phantom, der
deutsche Kaiser abgedankt; Länder und
Völker wurden durch einander geworfen;
in der ganz veränderten Karte Europas
entstanden neue Staatengebilde. Die alten
ehrwürdigen, einst so selbstbewußten d.
Reichsstädte, die Pfeiler des alten Reichs,
setzten in dumpfer stumpfer Resignation
keine Spur von Widerstand der ihnen
beschiedenen Auflösung entgegen. Dann
hatten Schillers „Räuber" und unver-
gängliches Reiterlied: „Wohlauf, Kame-
raden, aufs Pferd etc.", auch der Zauber
des großen Schlachtenmeisters Napo-
leon nicht umsonst mächtig auf die vor-
wärtsstürmende Jugend, welcher sich
eine ganz neue Welt auftat, gewirkt und
deren Herzen gewaltig erregt und ent-
zündet. So konnte es kommen, daß Lacher
in seinem Vaterlandsschmerze auf die eigen-
tümliche Jdee verfiel, die Fahne Napo-
leons zu ergreifen und mit dessen Hilfe
ein neues Vaterlaud zu gründen zu suchen.
Er steht hiemit übrigens nicht ganz allein
in seiner Zeit; zunächst wäre da Lachers
 
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