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I. Grundlagen und Gegensätze.

daß auch das Ziel des bürgerlichen Processes die Durchführung rnateriellen
Rechts, absoluter Gerechtigkeit sein müsse. Beide — geschichtlich röinische
Tradition, wie kirchliches Gerechtigkeitsprincip — traten mit dem Anspruch
auf allgemeine Geltung auf, nationale Grenzen und Rücksichten gab es für
sie nicht. Um so gewaltiger war die Uebermacht dieser Lehre, als sie im
15. Jahrhundert sich anschickte, von Deutschland Besitz zu nehmen. Denn
auf deutschem Boden hatte gerade damals die nationale Rechtsentwicklung
zum Verfall des GerichtSwesens geführt. Allenthalben schaute man nach
der ersehnten Hilfe aus. Die eigene schöpserische Kraft der Nation schien
versiegt auf diesem Gebiete, trotz der neuen Strömnngen, die sich in-
zwischen im deutschen Rechtsgange bereits geltend gemacht hatten. Ja, jene
Strönulngen selbst lieferten Berührungspunkte mit dem neuen großartigen
Proceßgebilde, das die sremdländische Wissenschaft anpries.

So waren die Voraussetzungen für die Reception gegeben. Und
doch, dieser neue Proceß, der nun — zmn Theil mit unvernünftigster Rück-
sichtslosigkeit — dem deutschen Volke nufgezwängt wurde, er wies trotz
seiner technischen Vollendung auch eine bedenkliche Blöße auf: das war
eben sein supranationaler Chnrakter, seine Charakterlosigkeit. Dauernde
Herrschast konnte er nur erringen in einem Volke, das bereit war, nuf
diesem Rechtsgebiete seine Nationalität aufzugeben.

Das deutsche Volk hat sich zu solchem Verzichte anf seine Jndi-
vidualität nicht verstanden. Deutschnationale Gedanken nahmen gegen das
anscheinend, und zu Zeiten nuch in der That übermächtige Weltrecht den
ungleichen Kanrpf auf.

Freilich — die Entscheidung steht auch heute noch aus!
 
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