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zu entwickeln, gehört dem folgenden zweiten Teile dieser Aus-
führungen an. Hier möchte ich nur noch zwei Beispiele allge-
meinster Art zur Veranschaulichung der Verhältnisse anführen.
Die mit dem Namen des Praxiteles in Verbindung ge-
brachte Aphrodite des Vatikan, die beste Replik eines be-
rühmten Werkes des IV. Jahrhunderts, erscheint vollkommen
nach dem Formgesetz der Plastik gestaltet — was indes nicht
verhindert, daß über den rhythmischen Aufbau des Körpers
hinaus hier ein anderes gar bald die Sinne gefangen nimmt.
Das ist, wie dieser den Rhythmus bergende Marmor sich
wandelt in das blühende Leben unmittelbar, dessen Funken
den einzigen Leib durchzittern, bis das körperlich Gebundene
seiner Kräfte sich zu lösen beginnt und nach außen überzu-
strömen scheint.
Bis er leise atmet, seine Konturen sich golden gegen das
umgebende Licht abheben, das plötzlich aus der Beleuchtung
zur Atmosphäre geworden ist und das Ganze sicli auf einmal
in Bewegung setzt — «im Auge schwankt» wie es Goethe an
jener unvergleichlichen Stelle nennt, wo das Wolkenmarmor-
bild der Helena im Moment der höchsten plastisch-leiblichen
Erscheinung sicli ins Grenzenlose aufzulösen beginnt.
Hier ist offenbar neben dem Rhythmus ein anderes mit im
Spiele: die malerische Erscheinung — indes noch gebunden,
mit ebenso bedingter scheint es fast wie willkürlicher Gewalt,
so daß wir sie wohl fassen aber kaum begreifen, sie empfinden
aber kaum sehen — da über alles hinaus doch wiederum im
letzten Grunde der Rhythmus dominiert.
Und umgekehrt, in analoger Weise tritt auch das Plastische
in der Malerei entgegen. Die Lavinia des Tizian in Berlin kann
als Beispiel dienen.
Sie taucht in schwerem Goldbrokat als unmittelbare Er-
scheinung des wechselnden Lebens vor uns auf, im Licht und
seinem Skieron, der Farbe; sie scheint aus dem Strome des
Atmosphärischen emporgehoben und für den Moment der Er-
zu entwickeln, gehört dem folgenden zweiten Teile dieser Aus-
führungen an. Hier möchte ich nur noch zwei Beispiele allge-
meinster Art zur Veranschaulichung der Verhältnisse anführen.
Die mit dem Namen des Praxiteles in Verbindung ge-
brachte Aphrodite des Vatikan, die beste Replik eines be-
rühmten Werkes des IV. Jahrhunderts, erscheint vollkommen
nach dem Formgesetz der Plastik gestaltet — was indes nicht
verhindert, daß über den rhythmischen Aufbau des Körpers
hinaus hier ein anderes gar bald die Sinne gefangen nimmt.
Das ist, wie dieser den Rhythmus bergende Marmor sich
wandelt in das blühende Leben unmittelbar, dessen Funken
den einzigen Leib durchzittern, bis das körperlich Gebundene
seiner Kräfte sich zu lösen beginnt und nach außen überzu-
strömen scheint.
Bis er leise atmet, seine Konturen sich golden gegen das
umgebende Licht abheben, das plötzlich aus der Beleuchtung
zur Atmosphäre geworden ist und das Ganze sicli auf einmal
in Bewegung setzt — «im Auge schwankt» wie es Goethe an
jener unvergleichlichen Stelle nennt, wo das Wolkenmarmor-
bild der Helena im Moment der höchsten plastisch-leiblichen
Erscheinung sicli ins Grenzenlose aufzulösen beginnt.
Hier ist offenbar neben dem Rhythmus ein anderes mit im
Spiele: die malerische Erscheinung — indes noch gebunden,
mit ebenso bedingter scheint es fast wie willkürlicher Gewalt,
so daß wir sie wohl fassen aber kaum begreifen, sie empfinden
aber kaum sehen — da über alles hinaus doch wiederum im
letzten Grunde der Rhythmus dominiert.
Und umgekehrt, in analoger Weise tritt auch das Plastische
in der Malerei entgegen. Die Lavinia des Tizian in Berlin kann
als Beispiel dienen.
Sie taucht in schwerem Goldbrokat als unmittelbare Er-
scheinung des wechselnden Lebens vor uns auf, im Licht und
seinem Skieron, der Farbe; sie scheint aus dem Strome des
Atmosphärischen emporgehoben und für den Moment der Er-