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Kunsthistorische Bilderbogen: für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- und höheren Töchterschulen zusammengestellt: Textbuch zu Seemann's kunsthistorischen Bilderbogen — Leipzig, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.1298#0130
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126 Die Baukunft gothifchen Stiles.

fchiffen erhebt fich eine Empore, die Fenfter find nur dürftig ge-
gliedert. Das unterfte Stockwerk der Faflade nehmen drei reich
gefchmückte (reftaurirte) Portale ein, darüber befindet fich eine
Galerie mit den Statuen der Könige Ifraels, ein Radfenfter füllt das
mittlere Hauptfeld aus, während das zweite Stockwerk der Thürme
zwei von einem gemeinfamen Bogen eingefaßte Spitzbogenfenfter
zeigt; mit einer offenen Galerie ftatt des Giebels fchließt oben die
Faflade ab. Das Radfenfter und die entfchiedene Betonung der
horizontalen Glieder bleibt der franzöfifchen Gothik auch fpäter
eigenthümlich. Von geringem Umfange, aber durch den Reichthum
der inneren Ausftattung ein wahres Kunftjuwel, ift die Saint-Chapelle
im Hofe des Juftizpalaftes (No. 71, 6 u. 7), unter Ludwig dem
' Heiligen von Pierre de Montereau 1241—12 5; geftiftet. Sie darf
den Doppelkapellen angereiht werden. Ueber der niedrigen drei-
fchiffigen Unterkapelle (die Hälfte des Grundrifles No. 71, 7 links)
erhebt fich die polychromifch gefchmückte Oberkapelle, in deren
Gliedern und Ornamenten die gothifche Kunft ihre höchfte Vollen-
dung feiert. Mit Ausnahme der unteren Faffadentheile fällt auch
der Bau der Kathedrale von Chartres (No. 71, 5; 72, 6) in das drei-
zehnte Jahrhundert. Der Eindruck der Höhe des Baues (Mittelfchiff
über 100 Fuß hoch) wird durch die Anordnung von nur zwei Seiten-
fchiffen gefteigert. Der Chor fchließt fich in der Anlage an die Parifer
Kathedrale an, nur daß dem Umgange noch drei größere Apfiden
im Halbkreife vortreten. Diefes Motiv der herausfpringenden kapellen-
artigen Apfiden erfcheint in der Kathedrale von Le Mans (No. 71, 3)
noch ftärker ausgebildet. Während an den zuletzt genannten Werken
ältere Theile (in Chartres die Faflade, in Le Mans das Langhaus)
mit jüngeren verfchmolzen werden, zeigen die großen Kathedralen
von Amiens und Rheims das gothifche Baufyftem ganz einheitlich
durchgeführt. Die Kathedrale von Amiens in der alten Picardie
(No. 69, 1, 6) wurde von 1220—1288 (zuletzt wie gewöhnlich
die Faflade) errichtet. Dem dreifchiffigen Langhaufe und ebenfalls
dreifchiffigen Querfchiff fchließt fich der Chor mit doppeltem Um-
gange und Kapellenkranz, alfo die Breite des Langhaufes weit über-
ragend, an. Die Faflade wiederholt das an der Notre-Damekirche
in Paris beobachtete Syftem der Galerien und der Mittelrofe. Aehn-
lich, nur noch glänzender und mit plaftifchem Schmucke beinahe
überladen, tritt uns die Faflade der Kathedrale von Rheims (No. 69,
2 u. 7; No. 70, 1 u. 3) entgegen. Wie bei der Kathedrale von
Amiens, fo ift uns auch bei der Krönungskirche der franzöfifchen
Könige der Name des Baumeifters überliefert. Dort werden nach-
einander Robert de Luzarches, Thomas de Cormont und deflen
Sohn Regnault als Architekten genannt, mit der Kathedrale von
Rheims ift der Namen Robert de Coucy's verknüpft. Da diefer
 
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