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Seidlitz, Woldemar von [Editor]
Allgemeines historisches Porträtwerk: eine Sammlung von 600 Porträts der berühmtesten Personen aller Völker und Stände seit 1300 : mit biographischen Daten (Serie 8/9): Künstler und Musiker — München: Verlagsanstalt für Kunst und Wissenschaft, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.67413#0201
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Etienne Henri Mehul.
Geb. 24. Juni 1763; gest. 18. Oktober 1817.

Mehul, geboren am 24. Juni 1763 zu Givet im Departement der Ardennen, war der Sohn eines
unbemittelten Koches. Mit reichen musikalischen Gaben ausgestattet, hatte er in seiner Vaterstadt keine
Gelegenheit, sie gründlicher auszubilden, obwohl er seit seinem zehnten Jahre das Amt eines Organisten
in der Kirche der Recollets versah. Später fand er bei dem Chorregenten Wilhelm Hauser, der zur Be-
lebung des musikalischen Lebens aus dem Kloster Schussenried nach dem Prämonstratenserstift Lavaldieu
bei Givet berufen worden war, vortreffliche Anleitung, so daß er wohlvorbereitet war, als er sich im
Jahre 1778 auf Veranlassung eines in der Nähe von Givet in Garnison liegenden Obersten nach Paris
begab. In Paris, wo ihn die erste Aufführung von Glucks »Iphigenie in Tauris« für die Musik des Meisters
begeisterte, nahm er Klavierunterricht bei einem angesehenen Klavierspieler namens Edelmann und ver-
suchte sich unter seiner Anleitung mit der Komposition verschiedener Opern. Nach neunjährigen vergeb-
lichen Mühen gelang es ihm endlich, mit seiner Oper: »Euphrosine et Conradin«, in Deutschland unter
dem Titel »Der Milzsüchtige« bekannt geworden, welche im Jahre 1790 in der komischen Oper zur Auf-
führung gelangte, einen vollen Erfolg zu erzielen. Namentlich zündete das Duett: »Gardez-vous de la
jalousie«, welches Berlioz »als das furchtbarste Beispiel dessen« bezeichnet hat, »was die mit dramatischer
Handlung vereinte Musik im Ausdruck der Leidenschaften zu leisten fähig ist.«
Den folgenden Opern Mehuls fehlte einerseits die dramatische Kraft der »Euphrosine«, anderer-
seits war die durch die Ereignisse der französischen Revolution aufs höchste erregte Stimmung des Pariser
Publikums für eine ruhige, künstlerische Würdigung derselben nicht geeignet. So erklärt es sich, daß er
während der nächsten Jahre mit seinen dramatischen Werken nur Mißerfolge hatte, während wenigstens
seine Ouvertüre zu der Oper: »Le jeune Henri« ungewöhnlichen Beifall fand und sich lange Zeit als Ein-
lage in der komischen Oper behauptete.
Mehul benützte die Zeit, in der seine Produktivität nicht zur Geltung kommen konnte, um die
Lücken seiner musikalischen Bildung auszufüllen. Auch sah er sich als einer der vier Inspektoren an dem
neuerrichteten Konservatorium mit Arbeiten für dessen Organisation zwei Jahre hindurch sehr in Anspruch
genommen. Der Wettstreit mit Cherubini veranlaßte ihn, noch einmal das Studium des Kontrapunktes und
der Fuge gründlich zu betreiben. Als Frucht dieser Bemühungen haben wir den »Joseph in Ägypten« zu
begrüßen, welcher am 17. Februar 1807 zum erstenmal aufgeführt wurde und in Paris eine kühle Auf-
nahme fand, während er in Deutschland seit jeher das Entzücken der Hörer hervorgerufen hat. Der »Joseph«
ist unstreitig die beste Leistung Mehuls und die einzige seiner Opern, die sich auf der Bühne behauptet
hat. Ungemein sorgfältig gearbeitet, mit einer Fülle anmutiger Melodien ausgestattet, reich und doch maßvoll
instrumentiert, zeichnet sich dieses Werk durch eine seltene Reinheit des Stiles aus. Die Schönheit des
»Joseph« hat auch Cherubini, der Rivale Mehuls, anerkannt, indem er in folgender Weise über ihn urteilte :
»Alles ist hier richtig empfunden und richtig ausgedrückt; die Melodie, die Harmonie, der Tonsatz sind
durchweg bedeutend; denn selbst gewisse schulmäßige, an den Kirchenstil erinnernde Wendungen, welche
Mehul in seinen übrigen Werken ohne innere Notwendigkeit anzubringen pflegte, sind hier durch den
biblischen Stoff völlig gerechtfertigt. Man darf sagen, daß der Künstler nach manchen, nur teilweise er-
folgreichen Anstrengungen seine ganze Kraft zur Komposition des »Joseph« zusammengefaßt hat, um das
Terrain wiederzugewinnen, auf dem er sich im Anfang seiner Laufbahn so glänzend bewährt hatte.«
Wenn Mehul beim Schaffen seines »Joseph« diese Hoffnung hegte, so sollte sich dieselbe nicht
erfüllen. Bald erstand ihm in Spontini ein schlimmerer Nebenbuhler, als Cherubini war, gegen dessen
»Vestalin« und »Fernand Cortez« keine seiner späteren Opern aufkommen konnte. Zudem erschwerte ihm
ein von Jahr zu Jahr weiter um sich greifendes Brustleiden die Arbeit so sehr, daß sein am 18. Oktober
1817 eintretender Tod wie eine Erlösung erschien.
Mehul besaß eine bei seinen Kollegen seltene Eigenschaft: er war im hohen Grade bescheiden
und bereit, neidlos die Vorzüge anderer gelten zu lassen. Vor allem hegte er für Cherubini große Ver-
ehrung, und es war nicht seine Schuld, daß Napoleon den ausgezeichneten Künstler von jeder Ehrener-
weisung ausschloß. Auch hatte sich Mehul trotz seiner mangelhaften Vorbildung ein achtunggebietendes
theoretisches Wissen angeeignet, von dem seine beiden in der Akademie vorgetragenen Berichte: Ȇber
die Zukunft der Musik in Frankreich« und »Über die Arbeiten der nach Rom gesandten Schüler des Kon-
servatoriums« das beste Zeugnis ablegen. Sein eigentliches Feld war die Oper, deren er zweiundvierzig
geschaffen hat, doch hat er auch mehrere Sonaten und eine stattliche Anzahl von Hymnen und Festgesängen
zur Verherrlichung der Republik geschrieben, unter denen der »Chant du depart« wenigstens kurze Zeit
die Ereignisse der Revolution überdauert hat.

Lithographie nach Maurin
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