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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0043
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Denn es müssen sich um die Axe der Bewegung herum die Momente der
Trägheit und des Widerstands der Medien so balanciren, dass keine
unfreiwillige Abweichung von der Richtungsuniformität in Folge ungleich-
mässiger Massenvertheilung in Bezug auf die Bewegungsaxe (die durch-
schnittlich horizontal anzunehmen ist) eintreten. Dieses Gesetz würde
aber wieder die Ordnung der Theile nach dem Sinne der Bewegung
durchaus nicht afflciren und zwar aus demselben Grunde, der oben be-
reits hervorgehoben wurde. Statt der Stabilität tritt aber hier eine andere
Grundbedingung formaler Angemessenheit in Wirksamkeit, nämlich Mobili-
tät oder Bewegungsfähigkeit, verbunden mit Bewegungs Quantität. 1
Bei vielen untergeordneten Thierbildungen, wie bei den Würmern,
fällt die Lebensaxe vollständig mit der Spontaneitätsaxe zusammen, diese
haben daher, wie die Pflanzen, nur zwei Eigenschaften der Form, näm-
lich Symmetrie, die sich als Flächensymmetrie (Eurhythmie) im Quer-
durchschnitte zeigt und Bewegungseinheit. Ihnen fehlt ganz oder
beinahe die vertikale Proportion.
Die Thiere höherer Organisation, wie die Vierfüssler und die Vögel,
bilden sehr verwickelte Mittelglieder zwischen diesem Schema und dem
menschlichen, bei dem alle drei Axen der Gestaltung, die symmetrische
Axe, die proportionale Axe und die Richtungsaxe, prinzipiell getrennt
und rechtwinklicht auf einander, nach den Koordinatenaxen der räum-
lichen Ausdehnung, hervortreten.
Die Kunst nun führt eine ähnliche Mannigfaltigkeit von Kombinatio-
nen auf wie die Natur, kann aber die Schranken der letzteren hierin
nicht um einen Zoll überschreiten; sie muss sich in den Prinzipien
formaler Gestaltung genau nach den Gesetzen der Natur
richten.
Von dem Grundsätze der Autorität bei der Entstehung der
Natur formen und in der Kunst.
Autorität ist ein Terminus r dessen sich Vitruv mehrmals bedient
(vielleicht mit Hinblick auf einen verlorenen griechischen Gewährsmann,
dessen Ausdrücke er, so gut es gehen wollte, ins Latein übertrug) um
schweift und zwar hier, wie sich aus der Konstruktion als nothwendig ergibt,
mit der konvexen Seite gegen die Bahnaxe. Theilt man den Schweif m d in
viei' Abschnitte, so gehört der unterste denjenigen Punkten der Bahn zwi-
schen m und a‘ an; der zweite Abschnitt entstrahlte dem Kometen zwischen
a‘ und b‘; der dritte rührt aus der Region zwischen b‘ und c‘; der vierte, aus
derjenigen zunächst jenseits c' kommend, ist identisch mit dem mittlern Ab-
schnitte des Schweifes während des Aufenthalts des Sterns bei n‘ u. s. f.
1 Ueber dieses verwickelte Thema, das hier nicht durchgeführt werden
kann, vergleiche meine Schrift über die Schleudergeschosse der Alten. Suchs-
land, Frankfurt a. M., 1858.
 
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