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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — Frankfurt a.M., 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.67642#0213
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Textile Kunst. Stoffe. Seide.

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einer Anwendung zu der Lösung dieser Aufgabe , die den Erfin-
der reichlich lohnen muss. Es handelt sich dabei nämlich keines-
wegs alleinig darum ein billigeres Goldgespinnst aufzufinden, die
Aufgabe liegt vielmehr darin ein Mittel zu entdecken wodurch
die zu grosse brettartige Steifheit unserer modernen Goldbrokate
vermieden und zugleich jener milde Goldglanz erreicht werde
den die alten und selbst die neuen orientalischen Goldstoffe vor
den unsrigen, die einen gemeinen und messingenen Flitterglanz
zeigen, voraushaben.
Unsere jetzige Methode den Goldfaden zu präpariren datirt
erst aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Doch theilt Muratori
(Vol. II. p. 374) ein altes, angeblich aus dem 9. Jahrhundert
stammendes Recept über Bereitung von Goldfäden mit: de fila
aurea facere. (sic!)
Der Brokatstil und Damaststil kam erst in der dritten Periode
der Geschichte der Seidenweberei durch die Mauren und Sara-
zenen Spaniens und Siciliens zur eigentlichen Entwicklung, ja er
wurde damals gewissermassen das Grundprincip der arabischen
Flächendekoration und wirkte als solches gewaltig ein auf die
Architektur und gesammte Kunst des Orients sowie des Westens.
Seit dieser Zeit hat er eigentlich keine wesentlichen Veränderungen
oder Verbesserungen erfahren, es sei denn während der schönen
Zeit des Wiederaufwachens der antiken Kunstempfindung, in
welcher die Buntfarbigkeit des orientalischen Bekleidungsstils
einem ernsteren und kultivirteren Platz machen musste. Es
wechselten nun, mit Beibehaltung desselben Prinzips der Pflan-
zenarabeske, sanfte meistens dunkle Farbentöne, dunkelroth,
dunkelgrün oder dunkelblau, braun, schwarz, mit Gold. Nach
demselben Grundsatz, die Fläche wohl reich zu halten aber nicht
unnöthig zu unterbrechen, liebte man gleichzeitig die Verbindung
der gelben naturfarbigen Seide mit Gold. Auch weiss und Gold
ward häufig verbunden. Erst später unter Ludwig XIV. und
XV. wurde der Brokat wieder mit bunten Blumen durchwirkt
und es entfaltete sich eine die; Flächendekoration erschwerende
naturalistische Auffassung der Arabeske, verbunden mit Leisten-
werk und anderen Verstössen gegen den Stil.
Ich kann nicht umhin hier schliesslich folgende Stelle aus
Redgrave’s oft citirtem Rapporte anzuführen, da sie den jetzigen
Geschmack der Brokatweberei sehr richtig charakterisirt:
 
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