Textile Kunst. Chaldäa und Assyrien.
323
§• 6^-
Anknüpfung an §. 65 und Fortsetzung über Chaldäa und Assyrien.
So wie die Kultur des Nilthales von den Niederungen des
Delta ausging, in gleicher Weise war das Thal der beiden Zwil-
lingströme, des Euphrat und Tigris, von den Alluvialebenen Chal-
däas aus der Kultur erobert; die ältesten Mythen, sogar geschicht-
liche Traditionen und vor allem die Physiologie der Menschheit
d. h. der Gesellschaft als organisches Individuum betrachtet, ver-
einigen sich dieser Hypothese einen hohen Grad der Wahrschein-
lichkeit zu verleihen, ohne jedoch der anderen davon durchaus
verschiedenen das Wort zu sprechen, wonach der erste Keim
dieses Gesellschaftsorganismus ein übers Meer getragener, aus
Indien oder Aethiopien eingeführter gewesen sein soll;1 vielmehr
lässt sich die Hypothese eines Ursitzes der Civilisation und eines ihm
angehörigen Baustiles für keinen andern Fleck der alten Welt
wahrscheinlicher an als für das südliche Euphratthal, wohin auch
die Sagen der Völker die Gründung der ersten Staaten unter den
nachsündfluthlichen Menschen versetzt.
Dem Reisenden der jene verwilderten zum Theil schon seit
vorgeschichtlicher Zeit den Elementen und feindseligen Nomaden-
stämmen zurückverfallenen Landstriche zu betreten wagt begeg-
nen fast auf jedem Schritte die Spuren einer längst verlassenen
Kultur. Bald sind es die trockenen fast gänzlich ausgefüllten
Kanäle und sonstigen Wasserbauwerke, bald regelmässig umwallte
Plätze, die letzten Spuren von Städten deren Namen die Ge-
schichte nicht mehr nennt, bald, und meistens in Verbindung mit
diesen, grossartige Terrassenanlagen, die in ihrer jetzigen Gestalt
von natürlichen Hügeln nicht zu unterscheiden sind aber bei
näherer Untersuchung sich als Konstruktionen aus theils gebrann-
ten theils ungebrannten Ziegeln bekunden.
Was uns die neuesten Reisenden über jene verwitterten Ueber-
reste ältestei' Baukunst geben ist nicht geeignet uns über die-
selbe in ihrem Zusammenhänge zu belehren, obschon wir Analo-
ges zu erkennen glauben wie dasjenige was die uns jetzt schon
etwas besser bekannten Monumente von Ninive bieten. Doch
haben wir uns hier noch nicht mit der Zusammenstellung eines
architektonischen Gesammtbildes zu beschäftigen, sondern in den
1 Verg’l. Julius Braun, Geschichte der Kunst. Seite 139 ff.
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Anknüpfung an §. 65 und Fortsetzung über Chaldäa und Assyrien.
So wie die Kultur des Nilthales von den Niederungen des
Delta ausging, in gleicher Weise war das Thal der beiden Zwil-
lingströme, des Euphrat und Tigris, von den Alluvialebenen Chal-
däas aus der Kultur erobert; die ältesten Mythen, sogar geschicht-
liche Traditionen und vor allem die Physiologie der Menschheit
d. h. der Gesellschaft als organisches Individuum betrachtet, ver-
einigen sich dieser Hypothese einen hohen Grad der Wahrschein-
lichkeit zu verleihen, ohne jedoch der anderen davon durchaus
verschiedenen das Wort zu sprechen, wonach der erste Keim
dieses Gesellschaftsorganismus ein übers Meer getragener, aus
Indien oder Aethiopien eingeführter gewesen sein soll;1 vielmehr
lässt sich die Hypothese eines Ursitzes der Civilisation und eines ihm
angehörigen Baustiles für keinen andern Fleck der alten Welt
wahrscheinlicher an als für das südliche Euphratthal, wohin auch
die Sagen der Völker die Gründung der ersten Staaten unter den
nachsündfluthlichen Menschen versetzt.
Dem Reisenden der jene verwilderten zum Theil schon seit
vorgeschichtlicher Zeit den Elementen und feindseligen Nomaden-
stämmen zurückverfallenen Landstriche zu betreten wagt begeg-
nen fast auf jedem Schritte die Spuren einer längst verlassenen
Kultur. Bald sind es die trockenen fast gänzlich ausgefüllten
Kanäle und sonstigen Wasserbauwerke, bald regelmässig umwallte
Plätze, die letzten Spuren von Städten deren Namen die Ge-
schichte nicht mehr nennt, bald, und meistens in Verbindung mit
diesen, grossartige Terrassenanlagen, die in ihrer jetzigen Gestalt
von natürlichen Hügeln nicht zu unterscheiden sind aber bei
näherer Untersuchung sich als Konstruktionen aus theils gebrann-
ten theils ungebrannten Ziegeln bekunden.
Was uns die neuesten Reisenden über jene verwitterten Ueber-
reste ältestei' Baukunst geben ist nicht geeignet uns über die-
selbe in ihrem Zusammenhänge zu belehren, obschon wir Analo-
ges zu erkennen glauben wie dasjenige was die uns jetzt schon
etwas besser bekannten Monumente von Ninive bieten. Doch
haben wir uns hier noch nicht mit der Zusammenstellung eines
architektonischen Gesammtbildes zu beschäftigen, sondern in den
1 Verg’l. Julius Braun, Geschichte der Kunst. Seite 139 ff.