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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.1300#0014
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Keramik. Klassifikation der Gefässe.

9

§ 90.
Klasse I. Das Fass (Reservoir). Griechisch Pithos. Lat. Dolium. Franz.
Jarre und Cuvier. Span. Tinaja. Toskanisch orcia, cziro und coppo.
Koupchin in Armenien. Camuci in Brasilien.
Die sphäroidische oder ovoidische Form der vertikalen Durch-
schnittsebenen, die bald mehr bald weniger der Kreisform sieh
nähern, ist hier typisch und naturgesetzlich. — -Jedoch unterliegt
diese Grundform je nach den spezielleren Bedingungen ihrer An-
wendung den mannigfachsten Variationen. So z. B. erhält das Fass
eine koncentrirte Gestalt, wo heisse Flüssigkeiten möglichst lange
warm oder kalte Flüssigkeiten in wärmerer Umgebung ohne An-
wendung des Mittels der Evaporation möglichst lange kühl zu hal-
ten sind. Es wird eine entgegengesetzte Form erhalten müssen, wenn
man eine Flüssigkeit oder die Umgebung durch Evaporation ab-
kühlen will. In diesem Falle handelt es sich natürlich darum die
evaporirende Oberfläche zu vermehren, welche Rücksicht die sonst
unerklärlichen baroken Formen der spanischen Alcarazzas und bu-
caros motivirte, deren Seitenstücke uns vielleicht an einigen antiken
Vasen des südlichen Italien mit gleichfalls höchst baroken aber
die Oberfläche vermehrenden plastischen Extremitäten begegnen.
— - Ein Reservoir das zugleich als Kessel dienen soll, nämlich
zur Erhitzung der. Flüssigkeit über einem darunter befindlichen
Feuer, muss eine oben sphäroidische aber unten abgeplattete oder
vielmehr besser konkav gewölbte Oberfläche erhalten, u. s. w.
Die ältesten Töpfe sind zum grössten Theile von dieser Gattung.
Die meisten assyrischen und ägyptischen Gefässe aus Thon haben
in mehr oder minder ausgesprochener Weise die Dolienform. —
Eben so sind die altgriechischen und römischen Dolia, von. zum
Theil kolossalen Verhältnissen,, der reine Ausdruck dieses Typus.
Sie finden sich in den verschiedenen Sammlungen zum Theil in
sehr grossen Verhältnissen; z. B. eins in rother gebrannter Erde
von ausnehmender Grösse in dem Musee ceramique zu Sevres,
ein anderes gleichfalls sehr mächtiges im britischen Museum. Be-
rühmt ist das dolium des Diogenes, dessen einem antiken Wand-
gemälde entnommene Abbildung hier beifolgt.
Wie bei fast allen Gattungen von Gefässen zeigt sich auch
bei diesem ein allmäliges Uebergehen von den ältesten sphä-
Semper, Stil II.2
 
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