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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.1300#0537
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Elftes Hauptstück.

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festigten Hierarchie der Päbste mit der ebenso ungeregelten welt-
lichen Macht, während der Herrschaft eines rein praktischen
Handels- und Spekulationsgeistes in den überall sich bildenden
freien Gemeinden, inmitten dieser drangvollen Zeit hatte man
Anderes zu thun, als die Künste und die Wissenschaften zu pflegen.
Doch hatte das Ferment der antiken Kultur, das im Volke latent
lag, sich seinen Lebenskeim erhalten, bedurfte es nur der äusseren
Lebensbedingungen, um wieder zu erwachen. Selbst in der Zeit
tiefster Geschmacksversunkenheit und gröbster Unbeholfenheit der
Kunstübung gingen die technischen und formalen Ueberlieferungen
der antiken Kunst nicht so vollständig verloren, dass nicht z. B.
in den gedrückten und kurzen Formen der kindisch-barbarischen
Skulpturen und Metallwerke des früh-mittelalterlichen Welschlands,
gegenüber den eleganten aber starren und schematischen gleichzei-
tigen byzantinischen Werken, der alte Gegensatz zwischen gräko-
italischer und orientalischer Kunstanschauung hervorträte. 1
Der mit dem Ende des 12ten Jahrhunderts beginnende so
plötzliche und überraschende Aufschwung der Künste in Italien
aus tiefster Versunkenheit ist zwar hauptsächlich als Folge einer
besonderen Wendung und allgemeinen Steigerung des Volksgeistes
zu betrachten, jedoch waren auch hier, wie immer in Zeiten gei-
stiger Erhebung, äussere Anregungen mitthätig. Unter diesen
sind für Italien die von entgegengesetzten Seiten kommenden
Einwirkungen fremder Kunstansichten, fremder Beispiele und
Vorbilder und selbst der persönliche Einfluss auswärtiger Kunst-
beschützer, Künstler und Handarbeiter die wichtigsten.
Der Mangel oder das Ungeschick einheimischer Künstler, viel-
leicht auch grundsätzliche oder erworbene Vorliebe einiger Ver-
treter der geistlichen und weltlichen Macht für das im Byzan-
tinismus enthaltene und versinnlichte sociale Prinzip, verschafften
der orientalischen Kunstrichtung Eingang, sogar ein gewisses
vorübergehendes Uebergewicht über das nur noch gleichsam un-
bewusst fortschaffende freiere Prinzip in den Künsten. Man
1 Die Krone des Agilulpli war mit 15 sitzenden Figuren en ronde basse
verziert. Der Paliotto d'oro zu St.'Ambrogio in Mailand wurde auf Bestellung
des Erzbischofs Angelbert II. im Jahre 835 von einem Wolfwin ausgeführt
und gibt eine hohe Idee von der Kunstfertigkeit dieses wahrscheinlich lom-
bardischen Meisters: Goldplatten mit emailiirten Umrahmungen, jede Füllung
enthalt Relieffiguren im laxen lateinischen Stil. Darstellungen: Agineourt,
T. I. Du Sommerard, Album. 10e serie, pl. XVIII.
 
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