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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.66814#0396
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Viertes Hauptstück.

gangsform weit schärfer bezeichnet und edler durchgebildet, als es in
jenen ostasiatischen Baustilen der Fall ist.
Als Hausrath war sie mit ihrem Gebälk nothwendig noch prin-
zipiell abgelöst vom Hause, nicht mit ihm in struktivem Zusammenhänge,
wenigstens der Idee nach; sie war desshalb auch ausschliesslich inner-
lich, entwickelte sich in hypostyler, nicht aber in peristyler Anordnung.
Es sind nirgend Anzeichen vorhanden, dass die Säulen anders dienten
als erstens in dem Inneren eines umschlossenen Hofraumes zum Tragen
einer Schutzdecke oder zweitens als Zwischenträger zwischen einem Paar
hervortretender Orthostaten (Anten). In beiden Fällen fungirt die Säule
und charakterisirt sie sich sowohl für sich allein wie in Verbindung mit
dem Getragenen anders als z. B. bei dem griechischen peripteren Tempel.
Wir werden auf diesen Unterschied, der mit der Verschiedenheit zwischen
der dorischen und ionischen Ordnung zusammenhängt, an seiner Stelle
zurückkommen.
In ihrer Eigenschaft als Zwischenform zwischen dem Möbel und
der monumentalen Säule dürfen wir sie füglich im Zusammenhänge mit
dem Hausrathe der Assyrier, den wir genauer kennen, betrachten. In
dieser Verbindung wird sie uns in ihrem Wesen und in ihren Theilen
verständlicher werden, wird sie zugleich die Veranlassung zu einigen
nicht unwichtigen allgemein stiltheoretischen Bemerkungen Anlass
geben.
Die Tische, Throne, Stühle, Schemel, Baldachine und sonstigen
Geräthe sind Gezimmer (pegmata), die aus denselben Elementen be-
stehen, welche bei dem grösseren Pegma des Gebälkes, das die Decke
eines Raumes zu tragen hat, mit seiner Säulenunterstützung in Anwendung
kommen. Die beiden Funktionen des Stützens und des Tragens sind bei
beiden auf die einfachste Weise durch vertikale Ständer und horizontale
Pfosten oder Balken vertreten. Die Deckengerüste sind gleichsam Möbel,
die in dem Hofe aufgerichtet sind, der in jedem Corps de bätiment einer
assyrischen Palastanlage den Mittelpunkt der Beziehungen aller anderen
Theile des ersteren bildet. Oft ist dieses Pegma wirkliches Möbel,
oder nahezu solches, und hat nur ein leichtes aus gewebten Stoffen
bestehendes Zeltdach zu tragen, wie wir diess aus bestimmten Nachrichten
im alten Testament und sogar, wenn man der Auslegung Rawlinsons
trauen darf, aus Keilinschriften wissen. Aber auch die feste, aus gefügten
Tafeln und untergelegten Balken bestehende, Decke behält mit ihrer
Säulenordnung etwas Selbstständiges, steht als freitragendes Pegma inner-
halb der Halle, ohne mit dem Mauerwerke, das diese umgibt, im Min-
 
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