MODERNE NOMADEN
DIE WELTANSCHAUUNG
Man müßte einmal nachforschen, wann das schöne,
kühle Wort „Weltanschauung" geprägt worden ist,
wann die Menschen darauf gekommen sind, daß die
Welt ■— es sei hier die diesseitige wie die jen-
seitige gemeint — verschiedentlich „angeschaut"
werden kann. Angeschaut — so kühl und unbetei-
ligt, wie man eine Theatervorführung oder eine
Sportveranstaltung anschaut, etwas resigniert und
verärgert, hie und da mitgerissen, doch im großen
und ganzen oberflächlich interessiert.
Den Resignierten und nur oberflächlich Interessier-
ten zu spielen war die Mode einer früheren Zeit,
wo es eben auch Mode wurde, eine Weltanschauuno
zu besitzen. Wie diese Spielerei falsch, war, zeigte
- die Ausartung, daß eine Weltanschauung so gebie-
terisch die Macht ergreifen konnte. Nämlich in dem
so katastrophal verlaufenen Versuch, daß Millionen
einer Weltanschauung folgten, von der sie inner-
lich nicht überzeugt waren, der sie aber nachgegeben
hatten. Aus welchen Gründen *— weil es so im
Augenblick bequemer war, oder weil die sie in ihren
Fehlern und Schwächen, in ihrer Eitelkeit und Hoch-
mut, behauptet und unterstützt hatte, oder ob aus
Denk- und Tatfaulheit, Uninteressiertheit oder
wegen augenblicklichen materiellen Vorteilen, bleibt
sich hier gleich. Der Fehler war, daß die meisten
ihr besseres Ich um einer Idee willen aufgegeben
haben, von der sie nicht überzeugt sein konnten,
und sich gar nicht die Mühe nahmen, diese Idee und
ihre Folgen zu überlegen und zu prüfen.
Die ewige Frage eines jeden ist doch: Wo die Wahr-
heit ist, auf die man sein Leben setzen könnte?
Und daß die Antwort nicht einfach ist, haben uns
Jahrtausende gelehrt. Aber wie ihr nahezukommen
ist, das haben einige schon gezeigt.
Das Licht reicht aber nicht bei einem jeden gleich
tief. Auch das Licht des Verstandes nicht und noch
weniger das Licht, daß die Ahnungen von einem an-
deren, höheren oder tieferen Sinn und Sein bc-
scheinen soll. Aber heute wird es wohl doch darauf
ankommen, ob wir genug mutig sind, in diesen dunk-
len Gebieten des Seins das Richtige zu suchen. Der
klare Verstand hat seinen Bankrott erlebt und wir
werden unsere Wahrheit auf anderen Wegen suchen
müssen.
Es steht uns ferne, die Existenzberechtigung des
klaren Denkens zu bestreiten. Lassen wir dem Ver-
stände, was ihm gebührt. Aber warum nicht die
Stimme des Empfindens in uns auch zur Geltung
kommen lassen? Warum das abwürgen, warum uns
so krampfhaft abzulenken suchen?
Das Wissen, das Wissen mit dem Verstände, tut
heute weh. Es ist alles trostlos, aussichtslos und
leer. Müde sind wir und hart geworden und es
kann uns niemand mehr was vormachen. Aber das
wahre Wissen? Das Wissen um ein Leben, das
doch weitergeht, das Wissen der leider so schwa-
SPIESSERS STOSSGEBET
Ab heute bin ich Demokrat,
Schenk deine Gnade mir!
Gib einen König unserni Staat
Und ein hochprozentig Bier!
0 Herr, ich will zufrieden sein,
Hab ich nur Hof und Haus!
Laß keinen mehr nach Bayern rein
Und wirf sie alle raus!
Ich will stets brav sein und human,
Hab' Butter ich und Speck —
Was andere am Yolk getan,
Das schert mich einen Dreck!
0 Herr und Gott, beschütze mich
Vor Hagel, Sturm und Brand
Und entnazifiziere mich
Fürs neue Vaterland!
Dann werde treu ich dienen dir,
Wie ich's für Hitler tat —
ImKönigreich,beimbayrisch'Bier,
Als echter Demokrat!
Th. Mieoler
chen, inneren Stimme, daß das Leben doch einen
Sinn hat?
Das Licht reicht nicht bei einem jeden gleich tief.
Auch in dieser Hinsicht nicht. Aber gerade darauf
kommt es an, wie weit wir uns auf dieses Gebiet
wagen. Wie weit wir es wagen, alles abzustreifen,
was ablenken würde und dem Ruf zu folgen, der
aus Innen kommt.
Der Mensch steht heute ziemlich trostlos da. Alles,
was er in den zwanzig und etlichen Jahrhunderten
durch peinlich genaue Verstandesarbeit erworben
hat, steht nutzlos da. Wir sind bei aller Fülle der
Erde heute am Verhungern. Es hat alles nicht ge-
holfen. Nicht das Wissen, nicht der Besitz, nicht
die Freiheit, nicht die Aufklärung und nicht die
verschiedenen Ideen. Ein Krieg und wir stehen wie-
der tiefer als vorher. Alles ist weggefegt und es
ist kaum mehr geblieben, als das pure Leben.
Woran sich klammern? Alles, was wir so schön
„gewußt" haben und erklügelt, scheint bis in die
Wurzeln zerrüttet zu sein, es ist nichts mehr sicher
und nichts mehr klar. Nur manche, die den leben-
digen Fluß des Lebens zu spüren vermögen, ahnen
einen Ausweg und versuchen, aus dem Chaos her-
auszufinden.
Und was ist mit der Weltanschauung? Wir können
uns unmöglich heute dumm stellen oder unbetei-
ligt, wir können den großen Strömungen nicht aus
dem Wege gehen. Es liegt auch an uns, an jedem
einzelnen, wie die Welt weitergeht. Wenn wir auch
müde sind und alles verloren haben, wenn uns alles
verlassen hat —, es tut nichts, s o werden wir
vielleicht eher auf das Richtige tappen. Bitte, er-
schrecken wir nicht, heute wird es nicht darauf an-
kommen, was wir in gut temperierten Zimmern nach
einem nahrhaften und wohlschmeckenden Mittag-
essen bei einer wohlriechenden Zigarre ausklügeln,
sondern darauf, was wir in unserer seelischen und
körperlichen Not, nach Abstreifung alles persön-
lichen Hasses und Kleinlichkeit aus innerer Ueber-
zeugung tun. Wir leben! Alles andere wird schon
überstanden werden. Irgend etwas Gutes muß auch
aus dieser Katastrophe wachsen. Und wenn uns da-
durch der Weg zur innerlich überzeugten Tat ge-
zeigt wird, sind wir dem richtigen Weg einen Schritt
nähergekommen. Was das Richtige im einzelnen
ist, kann verschiedentlich sein, aber irgendwo auf
einem Punkte muß es das Absolute berühren, zu
dem wir mit klarem Verstände allein wenig nahe-
kommen können.
Unsere Weltanschauung wollen wir aber nicht im
Knopfloch, sondern im Herzen tragen. S. Ernst
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DIE WELTANSCHAUUNG
Man müßte einmal nachforschen, wann das schöne,
kühle Wort „Weltanschauung" geprägt worden ist,
wann die Menschen darauf gekommen sind, daß die
Welt ■— es sei hier die diesseitige wie die jen-
seitige gemeint — verschiedentlich „angeschaut"
werden kann. Angeschaut — so kühl und unbetei-
ligt, wie man eine Theatervorführung oder eine
Sportveranstaltung anschaut, etwas resigniert und
verärgert, hie und da mitgerissen, doch im großen
und ganzen oberflächlich interessiert.
Den Resignierten und nur oberflächlich Interessier-
ten zu spielen war die Mode einer früheren Zeit,
wo es eben auch Mode wurde, eine Weltanschauuno
zu besitzen. Wie diese Spielerei falsch, war, zeigte
- die Ausartung, daß eine Weltanschauung so gebie-
terisch die Macht ergreifen konnte. Nämlich in dem
so katastrophal verlaufenen Versuch, daß Millionen
einer Weltanschauung folgten, von der sie inner-
lich nicht überzeugt waren, der sie aber nachgegeben
hatten. Aus welchen Gründen *— weil es so im
Augenblick bequemer war, oder weil die sie in ihren
Fehlern und Schwächen, in ihrer Eitelkeit und Hoch-
mut, behauptet und unterstützt hatte, oder ob aus
Denk- und Tatfaulheit, Uninteressiertheit oder
wegen augenblicklichen materiellen Vorteilen, bleibt
sich hier gleich. Der Fehler war, daß die meisten
ihr besseres Ich um einer Idee willen aufgegeben
haben, von der sie nicht überzeugt sein konnten,
und sich gar nicht die Mühe nahmen, diese Idee und
ihre Folgen zu überlegen und zu prüfen.
Die ewige Frage eines jeden ist doch: Wo die Wahr-
heit ist, auf die man sein Leben setzen könnte?
Und daß die Antwort nicht einfach ist, haben uns
Jahrtausende gelehrt. Aber wie ihr nahezukommen
ist, das haben einige schon gezeigt.
Das Licht reicht aber nicht bei einem jeden gleich
tief. Auch das Licht des Verstandes nicht und noch
weniger das Licht, daß die Ahnungen von einem an-
deren, höheren oder tieferen Sinn und Sein bc-
scheinen soll. Aber heute wird es wohl doch darauf
ankommen, ob wir genug mutig sind, in diesen dunk-
len Gebieten des Seins das Richtige zu suchen. Der
klare Verstand hat seinen Bankrott erlebt und wir
werden unsere Wahrheit auf anderen Wegen suchen
müssen.
Es steht uns ferne, die Existenzberechtigung des
klaren Denkens zu bestreiten. Lassen wir dem Ver-
stände, was ihm gebührt. Aber warum nicht die
Stimme des Empfindens in uns auch zur Geltung
kommen lassen? Warum das abwürgen, warum uns
so krampfhaft abzulenken suchen?
Das Wissen, das Wissen mit dem Verstände, tut
heute weh. Es ist alles trostlos, aussichtslos und
leer. Müde sind wir und hart geworden und es
kann uns niemand mehr was vormachen. Aber das
wahre Wissen? Das Wissen um ein Leben, das
doch weitergeht, das Wissen der leider so schwa-
SPIESSERS STOSSGEBET
Ab heute bin ich Demokrat,
Schenk deine Gnade mir!
Gib einen König unserni Staat
Und ein hochprozentig Bier!
0 Herr, ich will zufrieden sein,
Hab ich nur Hof und Haus!
Laß keinen mehr nach Bayern rein
Und wirf sie alle raus!
Ich will stets brav sein und human,
Hab' Butter ich und Speck —
Was andere am Yolk getan,
Das schert mich einen Dreck!
0 Herr und Gott, beschütze mich
Vor Hagel, Sturm und Brand
Und entnazifiziere mich
Fürs neue Vaterland!
Dann werde treu ich dienen dir,
Wie ich's für Hitler tat —
ImKönigreich,beimbayrisch'Bier,
Als echter Demokrat!
Th. Mieoler
chen, inneren Stimme, daß das Leben doch einen
Sinn hat?
Das Licht reicht nicht bei einem jeden gleich tief.
Auch in dieser Hinsicht nicht. Aber gerade darauf
kommt es an, wie weit wir uns auf dieses Gebiet
wagen. Wie weit wir es wagen, alles abzustreifen,
was ablenken würde und dem Ruf zu folgen, der
aus Innen kommt.
Der Mensch steht heute ziemlich trostlos da. Alles,
was er in den zwanzig und etlichen Jahrhunderten
durch peinlich genaue Verstandesarbeit erworben
hat, steht nutzlos da. Wir sind bei aller Fülle der
Erde heute am Verhungern. Es hat alles nicht ge-
holfen. Nicht das Wissen, nicht der Besitz, nicht
die Freiheit, nicht die Aufklärung und nicht die
verschiedenen Ideen. Ein Krieg und wir stehen wie-
der tiefer als vorher. Alles ist weggefegt und es
ist kaum mehr geblieben, als das pure Leben.
Woran sich klammern? Alles, was wir so schön
„gewußt" haben und erklügelt, scheint bis in die
Wurzeln zerrüttet zu sein, es ist nichts mehr sicher
und nichts mehr klar. Nur manche, die den leben-
digen Fluß des Lebens zu spüren vermögen, ahnen
einen Ausweg und versuchen, aus dem Chaos her-
auszufinden.
Und was ist mit der Weltanschauung? Wir können
uns unmöglich heute dumm stellen oder unbetei-
ligt, wir können den großen Strömungen nicht aus
dem Wege gehen. Es liegt auch an uns, an jedem
einzelnen, wie die Welt weitergeht. Wenn wir auch
müde sind und alles verloren haben, wenn uns alles
verlassen hat —, es tut nichts, s o werden wir
vielleicht eher auf das Richtige tappen. Bitte, er-
schrecken wir nicht, heute wird es nicht darauf an-
kommen, was wir in gut temperierten Zimmern nach
einem nahrhaften und wohlschmeckenden Mittag-
essen bei einer wohlriechenden Zigarre ausklügeln,
sondern darauf, was wir in unserer seelischen und
körperlichen Not, nach Abstreifung alles persön-
lichen Hasses und Kleinlichkeit aus innerer Ueber-
zeugung tun. Wir leben! Alles andere wird schon
überstanden werden. Irgend etwas Gutes muß auch
aus dieser Katastrophe wachsen. Und wenn uns da-
durch der Weg zur innerlich überzeugten Tat ge-
zeigt wird, sind wir dem richtigen Weg einen Schritt
nähergekommen. Was das Richtige im einzelnen
ist, kann verschiedentlich sein, aber irgendwo auf
einem Punkte muß es das Absolute berühren, zu
dem wir mit klarem Verstände allein wenig nahe-
kommen können.
Unsere Weltanschauung wollen wir aber nicht im
Knopfloch, sondern im Herzen tragen. S. Ernst
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Moderne Nomaden"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 4, S. 38.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg