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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0047
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J. Hüther: Alfred Kubin vor seinem Heim

General aus dem Hause. Dort goß ihm der Friedl-Xaverl einen Kübel kaltes Wasser
über den Kopf. Der Vogl stand tropfend da, riß auf einmal die Augen weit auf und
sagte ganz sonderbar: „Das war nicht schön, meine Herrschaften!" Dann tappte er
davon, kam heim, war in derselbigen Nacht ziemlich schweigsam, und nur einmal sagte
er zu mir: ,,Adam, ich mag nicht mehr! ... Ich sauf von jetzt ab mein Bier bloß noch
daheim."

Die empörte Amerikanerin verließ auf der Stelle das Dorf und ließ verlauten, so ein
Mensch wie der Vogl würde in Amerika glattweg gelyneht. Wenn auch alle im Dorf
über den seltsamen Einbruch noch tagelang lachten, der Max stellte den Vogl doch zur
Rede und drohte mit sofortiger Entlassung, wenn noch einmal sowas vorkomme. Merk-
würdigerweise sagte der Vogl diesmal nur ziemlich kleinlaut: „Der Durst, Herr Beek-
meister, der Durst! ... Oft denk ich, ich verbrenne inwendig!" — '.
Im darauffolgenden Frühjahr mußte der Vogl einmal nach München fahren. Nichts
Gutes ahnend, redete ihm unsere Mutter beschwörend zu, doch nicht so zu saufen, damit
er wieder rechtzeitig heimkomme.

„Und wenn's Dreck regnet, Frau Beekmeistcrin, der Vogl ist da!" versprach der hoch
und heilig.

Um elf Uhr in jener Nacht weckte mich der Max. Der Vogl war noch nicht da. Ich sollte
derweil den Teig machen, befahl mir mein Bruder, und wenn der Schießer bis dahin
nicht zurück sei, sollte ich ihn wecken. Ich ging an die Arbeit und schuftete für zwei.
Der Teig war fertig. Während der gärte, machte ich Brotzeit und wartete voll Bangnis.
Ich fing schließlich an, die Teigstücke abzuwiegen, stopfte sie in die Preßmaschine und
begann das Semmelschleifen. Nichts hörte ich vom Vogl. Ich arbeitete mit verdoppelter
Schnelligkeit und Kraft, um nur ja den Max nicht aufwecken zu müssen. Es wurde aber
immer später und später. Hoffnungslos weckte ich meinen Bruder. Verbrummt arbeitete
der mit mir weiter. Die Stunden verliefen.

Draußen in der windverwehten Nacht schlugen da und dort Hunde an. Mir war es, als
hörte ich ein fernes Wagenrollen. Es kam näher und näher. Drüben in der Windl-
wirtschaft brannte nuch Licht. Wahrscheinlich hockten noch einige späte Gäste drüben.

Das Wagenrollen -wurde jetzt ganz deutlich und kam, meiner Berechnung nach, vor das
Wirtshaus. Ich hörte Stimmen, ging, als ich dem Max die Bretter an den Ofen trag,
hinten zur Haustüre hinaus und vernahm (jetzt Vogls heisere Stimme.
„Geh weg, Wirtin! Der General ist in Diensten! He-ho!" verstand ich, und kurz darauf
knirschten Schritte. Plötzlich stand der Vogl wankend in der offenen Haustüre und
glotzte in die Ofengrube hinab. Stramm stand er da und rief: „Zur Stelle, Herr Beek-
meister! . . . Der General Vogl ist da! Und wenn's Dreck regnet, hab ich gesagt, der
Vogl kommt!"

„Halten Sie Ihr Maul, besoffner Kerl!" fuhr ihn der Max grob an. Da wurde der Vogl
kleinlaut, und indem es ihm immer und immer wieder aufstieß, erzählte er: „Ganz richtig
bin ich in München in den Zug, a—a—aber ich hab' eingeschlafen... Ist mir auch
noch nie passiert, Herr Beekmeister! . . . Der General Vogl und einschlafen, j—jupp,
j—jupp!" Plötzlich war er wieder der Alte, reckte sich und schrie: „Ablösung vor!
General Vogl übernimmt die Kompanie! Vorwärts —" Er wollte die Ofengrube herab-
steigen, fiel aber glatt hin und klammerte sich ungelenk an die Füße von Max, um wieder
hochzukommen. Da aber war es zu Ende mit dessen Geduld. Ich mußte den armen Vogl
ins Bett bringen. Ich zog ihn sogar aus. Dabei streichelte er mich in einemfort und
sagte wehmütig zärtlich: „Du bist ein guter Mensch, OskarH... Ezechiell, du bist ein
treuer Kamerad... Ich bin ja da, aber der Herr Beekmeister... Ich spür's schon, jetzt
ist's aus, Sicgfricdl!" Meine Augen waren naß, ich schluckte schmerzlich, als er endlich
im Bett lag, und ging wieder in die Backstube.

Der nächste Tag war ein Freitag. Am Samstag darauf mußte der Vogl gehen. Der Max
hörte nicht auf das Einreden unserer Mutter.

Noch einmal buk der unvergeßliche General sein wunderbares Brot. Noch einmal leerte
er seine gewohnten fünf Maßkrüge und fing wie immer zu singen an. Noch einmal half
ich ihm mit allem Eifer. Am anderen Tag, als wir hinten vor dem Dorf Abschied von-
einander nahmen, weinten wir alle zwei. Später habe ich erfahren, der Vogl sei in eine
Säufelheilanstalt gebracht worden und dort gestorben. Oft und oft denke ich mit Rührung
und Dankbarkeit an ihn . . .

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Alfred Kubin vor seinem Heim"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hüther, Julius
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 4, S. 47.
 
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