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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0050
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DIE MÖGLICHKEITEN

Ein alter Grieche hat einmal den skep-
tischen Satz geprägt, daß es nichts
Neues unter der Sonne gäbe. Er hätte
aber in seiner prophetischen Ursprüng-
lichkeit auch anderes feststellen kön;
nen, nämlich, daß es nichts Unmög-
liches unter der Sonne gibt.
Zuerst klingt der Satz gar nicht so tra-
gisch. Ja, es gibt für den Menschen
nichts Unmögliches. Nichts Unmög-
liches im technischen und nichts Un-
mögliches im seelischen Sinne. Der
schöpferische Mensch scheint wirklich
keine Grenzen zu haben. Aber wenn
wir die andere Seite der Sache nehmen,
da scheint der Mensch, besonders in
den letzten Jahren, auch alle bisher
erdenklichen Grenzen überschritten zu
haben.

Wir wollen nicht noch einmal die
Greueltaten, die im Laufe des Nürn-
berger Prozesses der Öffentlichkeit be-
kannt wurden, vor Augen führen (ob-
wohl das nie oft genug geschehen
kann). "Wir wollen jetzt nicht richten,
nicht uns entrüsten und nicht Tod
schreien auf die, die diese Taten er-
klügelt und vollbracht haben. Wir
wollen nur einmal die Frage stellen:
Warum tötet der Mensch? Wann ist er

so weit, daß er zu diesem äußersten Verbrechen seiner Ichsucht greift?
Und wann ist es so weit, daß Tausende systematisch, mit gut ausge-
arbeiteten, möglichst „schonenden" Methoden ausgerottet, vertilgt, aus-
radiert werden, nur weil die den anderen zu lästig waren, oder zu über-
flüssig erschienen?

Grenzenlos ist der Mensch in seinem Hochmut und in seinem Neid. Gren-
zenlos und uferlos. ... '

Brockmann

Nichttun und Nichtstun komn
wortlich sein für unsere Tater
ten der moralisch begründeten
dies den Erwachsenen klarmacl
Ein Satz blieb jedoch, was ich
nicht, wenn es dich dazu dräng
es anders befohlen hat. Ja, lerr

Der Lehrer erzählt den Kindern, wie der Maikäfer schädlich ist und rät
ihnen, die eingefangenen Käferchen den Hühnern zu geben. Ein kleiner
Junge hat Bedenken und sagt mir: „Wieso? Die Maikäfer haben doch
auch Leben und die Hühner hacken so an den Tieren. Das tut ihnen be-
stimmt weh? Würde es dem Herrn Lehrer gefallen, wenn ein Riese
käme und ihm ein Stück aus dem Rücken heraushacken würde?"
Der Junge wußte — Kinder wissen oft peinlich viel — daß ich nicht
gut antworten kann.

Ja, natürlich mußt du die Maikäfer töten.

Aber halt — töte sie lieber nicht! Töte sie auf keinen Fall, wenn es dich
dazu drängt, es nicht zu tun. Die Bäume, ja — aber laß sie nur fres-
sen! Sollen wir weniger Obst haben, sollen wir hungern. Es soll lieber
die Welt untergehen, als daß du jemals auf den anmaßenden, grauen-
erregenden Gedanken kommst, daß du Recht hättest, über Tod und Leben

anderer auf dieser Erde zu richten.
Lieber sollen wir zugrunde gehen, als
daß du deine Kraft und deinen Geist
zu Untaten mißbrauchst. Was haben
wir aus unserem Reichtum, wenn wir
keine Menschen mehr sind? Wenn in
uns alles Menschliche erloschen ist?
Denn wir sind keine Menschen mehr,
wenn wir so weit sind, daß wir kalt-
blütig für unsere Mitmenschen Tö-
tungsmaschinen erfinden, damit ihre
Überreste auch wirtschaftlich verwer-
tet werden können und der Mensch,
die Krone der Schöpfung, auch daraus
noch seinen Nutzen zieht.
Daß es nur Maikäfer sind? Ja, schon
recht, aber heute sind es Maikäfer und
du siehst, morgen können die Mitmen-
schen darankommen. Hab nur keine
Angst, wir gehen trotzdem nicht zu-
grunde, wenn wir sonst richtig der
Welt gegenüberstehen, aber wenn wir
unserer Selbstsucht nicht selber Halt
bieten können und nicht wissen, wie
weit die Schöpfung uns gehört, gehen
wir sowieso unerbittlich zugrunde,
schon weil wir einander so lange aus-
rotten, bis keiner bleibt.
Ich habe natürlich nicht mehr als den
ersten Satz laut ausgesprochen. Das
andere war zu gefährlich. Wir wol-
len ja nicht zum Nihilismus, zum
len! Wir wollen ja handeln und verant-
1. Aber wie die Grenzen der Möglichkei-
Taten einem Kinde erklären? Und wie
hen?

wiederholen und betonen konnte: Tue es
t, es nicht zu tun, trotzdem der Lehrer dir
le Halt zu machen, lerne Befehle zu über-
prüfen, lerne Verantwortlichkeit für deine Taten. Sage ja nicht, ja, ich
tue es, weil der Herr Lehrer es so sagt. Nein, ich tue es, weil ich über-
zeugt bin, daß das, was ich tue, richtig ist.

Ja, die Gebote und die Grenzen unserer Möglichkeiten müssen in uns
lebendig sein, und wir müssen genau wissen, mit dem Herzen und mit
dem Verstand wissen, was wir tun dürfen und was nicht. Wenn wir ge-
nau die Grenzen unserer Möglichkeiten empfinden, wenn wir blindlings,
ohne viel zu überlegen genau wissen, ob wir richtig handeln oder nicht,
und wenn wir genau nach dieser Empfindung handeln — sind wir frei.
Das ist die Freiheit und das ist die Herrlichkeit des Nichts-Unmöglichen.
Du darfst ja selbstsüchtig sein, die Welt gehört ja dir, du darfst Schätze
sammeln, du darfst deinen Nutzen haben, du darfst dein Leben ver-
schönern, du darfst alles. Aber irgendwo auf einer Linie, die du — nicht
ein anderer für dich — genau spüren mußt, mußt du auch haltmachen
können, sonst bist du verloren. S. Ernst

G E WISSHEIT

Einmal werden wir die Städte, die Häfen und Meere haben
und alles Land für uns und die Mensehen!
Mögen sich unsere Feinde an halben Triumphen laben.
Stärker als sie ist unser Sehnen und Wünschen.

Freund, über die unendlichen Ozeane hin
grüßen wir uns wie von Kind auf bekannt!
Längst ist vergessen der einstige Sinn
von einer Grenze und einem gewesenen Vaterland.

Jeder ivird lächeln über das Märchen: Jude und Christ
und wird nur noch ein Mitmenseli sein !
Lang ist begraben die schmähliche List,
daß sich jeder nur selber der Nächste ist.

Einmal, ja, einmal wird die Welt unsere Heimat sein,
und Dummheit und Knechtschaft wird's nicht mehr geben.
Einmal werden nur unsere Opfer noch ewige Beispiele sein
für unser stolses, gereinigtes Leben !

Oitkar Maria Graf


Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Möglichkeiten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Meyer-Brockmann, Henry
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 5, S. 50.
 
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