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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0058
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DAS KAU F HAUS „ZUM SCHWARZEN MARKT"

Diese amüsante und nidit einmal völlig unwahrscheinliche Flunkerei
wurde von einem Laien in hnanzwirtschafrlichen Fragen verfaßt.

Merkwürdige Dinge gibt's auf der Welt. Vor allem in
Ländern, die einen Krieg verloren haben. Da kommen
die Leute mitunter auf ausgefallene Gedanken. Aber
nicht nur die Leute. Auch die Behörden. In einer Stadt
beispielsweise, irgendwo in einem der besiegten Länder
gelegen, wo die Bürger mehr Geld in den Taschen ha-
ben als die Geschäfte Ware in den Auslagen, ist vor
einiger Zeit ein großes Kaufhaus eröffnet worden. In
seinem. Äußeren unterscheidet es sich kaum von den
Warenhäusern der guten alten Friedenszeit. Höchstens,
daß hier und dort noch der Stuck von den Decken brök-
kelt und manche Fensterscheibe durch Holz und Pappe
ersetzt ist. Aber ansonsten ist alles höchst vertraut. Die
Regale sind voller Ware, wie es der Ehrgeiz jedes ge-
diegenen Kaufherrn verlangt, auf den Ladentischen
locken Angebote aller Art und dahinter stehen gepflegte
junge Verkäuferinnen für die Kunden bereit.
Besonders ausgebaut ist die Lebensmittelabteilung. Sie
füllt das gesamte Erdgeschoß und hat alles zu bieten,
was eines Menschen Herz begehren kann. Im ersten
Stockwerk gibt es Kleider und Schuhe, im nächsten
Haushaltwaren, Radiogeräte, Fahrräder, Nähmaschinen
und so fort, lauter Dinge also, die beinahe jeder heut-
zutage begehrt und kaum einer noch besitzt. Nicht dies
aber ist das Merkwürdige, daß solcherlei Waren über-
haupt angeboten werden, sondern dies, daß man sie
ohne Marken kaufen kann. Ja, wahrhaftig, ohne Mar-
ken und Bezugsscheine! Bloß daß die Preise hier nicht
dem Preisstop unterliegen, sondern sich einzig und allein
aus der Nachfrage ergeben. So auch erklärt sich, warum
über dem Eingang mit großen Lettern „Kaufhaus ,Zum
schwarzen Markt'" geschrieben steht'
Niemand aber glaube, in der besagten Stadt hätten sich
etwa die Schwarzhändler zu einer Fachschaft zusam-
mengeschlossen und gegen den Willen der Behörden eine
solche Einrichtung für ihr verwerfliches Treiben ins Le-
ben gerufen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Behörden
selber haben das Kaufhaus geschaffen, und niemand an-
ders als der Ministerpräsident des betreffenden Landes
hat die feierliche Eröffnung vorgenommen. In seiner
vielbeachteten Einweihungsrede führte er unter anderem
aus: So lange die Bevölkerung über überschüssige Kauf-
kraft verfüge, werde es die Erscheinung des Schwarzen
Marktes geben. Jeder Bürger wisse zwar, daß es streng
verboten sei, dort zu kaufen und zu verkaufen, aber
jeder tue es trotzdem. Demzufolge habe es sich bisher
nicht vermeiden lassen, daß zartbesaitete Gemüter in-
folge des schlechten Gewissens über gesetzwidrige Käufe
manche schlaflose Nacht hätten verbringen und vergeb-
lich versuchen müssen, ihr Rechtsgefühl mit dem knur-
renden Magen in Einklang zu bringen. Dieser begreif-
lichen inneren Zerrissenheit aller rechtlich Denkenden
habe der Staat nicht mehr länger untätig zuzusehen ver-
mocht. Vor allem auch habe er es nicht mehr verant-
worten können, daß alle, die von Schwarzhändlern ge-
kauft hatten, wochenlang unter der Furcht hätten lei-
den müssen, man werde ihren strafbaren Einkauf noch
entdecken und sie deshalb vor Gericht s'ellen. Durch
solcherlei Sorgen und Gewissenskonflikte sei gerade der
wertvollere und rechtschaffenere Teil der Bevölkerung
nicht zuletzt auch in seiner Arbeitsfrische gehemmt wor-
den. Um alledem abzuhelfen habe sich der Staat ent-
schlossen, den Schwarzhandel selbst in die Hand zu
nehmen und dadurch zu legalisieren. Und wenn nun
auch in einigem die Preise noch höher als früher seien,
so laufe der Käufer doch hinfort mehr mehr Gefahr,
wegen des Einkaufs bestraft zu werden. „Vor allem
aber", so schloß der Redner, „sind Sie, meine Damen
und Herren, nicht mehr darauf angewiesen, sozusagen
die Katze im Sack zu kaufen, wie es den Gepflogen-
heiten auf dem bisherigen schwarzen Markt entsprochen
hat: Jeder vielmehr kann sich jetzt getrost davon über-
zeugen, daß die angebotene Butter frisch und der Zuk-
ker nicht mit Sand vermischt und das Tabakpackerl
wirklich durch und durch mit echtem Tabak gefüllt ist.
Das Kaufhaus ,Zum schwarzen Markt' hat den Grund-
satz, jeden streng reell zu beliefern. Dafür bürgt auch
die Tatsache, daß zum Chef des Großbetriebes niemand
anders als der bisherige Direkter des Finanzamtes be-
rufen worden ist."

Die Begeisterung all derer, die den Ausführungen des
Ministerpräsidenten folgen konnten, war ausgesprochen
stürmisch und der Umsatz des Geschäftes ging bereits
am ersten Tage in die Millionen. Der Direktor des Fi-
nanzamtes aber, der beobachtend und beaufsichtigend
in seinem überfüllten neuen Betrieb auf und ab ging,
sah mit Wohlgefallen, wie die prallen Brieftaschen der
Käufer, die aus allen Kreisen der Bevölkerung stamm-
ten, dünner und dünner wurden . . .
Nur wenige Zeit später allerdings hatte sich das junge

Unternehmen des Einspruchs einer der neugegründeten
politischen Parteien zu erwehren. Die betreffende Partei
ließ allenorts leuchtendgrüne Plakate anschlagen, auf
denen das Geschäftsgebaren des Kaufhauses als un-
sozial gebrandmarkt wurde. Der kleine Mann, so hieß
es da, sehe mit Neid und Unwillen, wie sich dort für
Plutokraten aller Art eine angeblich gesetzliche Möglich-
keit ergeben habe, kraft unrechtmäßig erworbener Gel-
der ihren Lebensstandard zu verbessern. Es müsse da-
her die sofortige Schließung dieses staatlichen Neppbe-
triebes gefordert werden.

Der Direktor des Kaufhauses, der sich, wie gesagt, auf
Finanzfragen bestens verstand, antwortete auf den Ein-
wand in einer Rundfunkansprache, aus der die folgen-
den Sätze wiedergegeben seien: „Zunächst muß ich mich
dagegen verwahren, es handle sich bei den Kunden un-
seres Geschäftes um Leute mit unrechtmäßigem Vermö-
gen. Fest steht vielmehr, daß sicherlich neunzig Prozent
der Bevölkerung über Ersparnisse aus fleißiger ehrlicher
Arbeit verfügen, die sich aus den bekannten Gründen
zwangsläufig ansammeln mußten. In anderen Ländern
ist diese überschüssige Kaufkraft durch verschieden-
geartete Zwangsmaßnahmen beseitigt worden. Wir hin-
gegen haben uns entschlossen, dieselbe sozusagen durch
einen freiwilligen Akt des Sparers auszuschalten. Die
Erfahrung dieser wenigen Wochen hat bereits eindeutig
gezeigt, daß der einzelne Steuerpflichtige gern bereit ist,
hohe Summen an den Staat abzuführen, wenn ihm da-
für der an sich geringe Gegenwert von einem Pfund
Butter oder Zucker oder — bei in die Tausende gehen-
den Beträgen — von einem Radio oder einem Fahrrad
zugebilligt wird. Der Steuerzahler ist angesichts der Ein-
schrumpfung seines Kontos nicht nur nicht betrübt, er ist
sogar beglückt, sein fast schon für wertlos gehaltenes
Geld infolge der Vermittlung unseres Betriebes wider
Erwarten in einen wenn auch kleinen, so doch benö-
tigten Sachwert verwandelt zu sehen. Auf diese Weise
verbessert sich zugleich die Finanzlage des Staates von
Tag zu Tag, ohne daß er sich dadurch den Steuerzahler
zum verbitterten Gegner macht. Als unsozial aber ist
unser Unternehmen auch deshalb nicht zu bezeichnen,
weil alle die Dinge, die der Gesamtheit markenmäßig
zustehen, nach wie vor nicht nur zu kaufen sind, sondern
auch ohne Ausnahme zu dem bisherigen niedrigen Preise
angeboten werden."

Darüber hinaus setzte der Redner seinen Hörern aus-
einander, daß es bisher noch keinem einzigen Staats-
wesen gelungen sei, die Gebrauchsgüter so unbedingt
gerecht zu verteilen, daß nicht irgendwo noch ein Anlaß
zu Beschwerden bestanden hätte. Immer werde es, so
sagte er, Leute geben, denen trotz aller Verordnungen
mehr Butter oder mehr Fleisch zugänglich sei, als ihnen
rechtmäßig zustünde; meistens seien es ohnehin die so-
zial Stärkeren, die „unter der Hand" Oberpreise an-
böten, manchmal aber audi bloß diejenigen, die näher
an der Quelle säßen: die Hersteller selber, die Selbst-
versorger, die Zwischenhändler oder auch die Auto-
fahrer, die das begehrenswerte Gut zu transportieren
hätten, also kurz diejenigen mit den „guten Beziehun-
gen". Wie dem auch sei — ein gewisser Prozentsatz des
Volkes tanze stets außer der Reihe. „Ist es da nicht
besser", so schloß er mit erhobener Stimme, „wir neh-
men diesen unausrottbaren Teil der hemmungslos
Eigennützigen durch Verstaatlichung des Schwarzen
Marktes selber unter Kontrolle, als daß die Waren
hinter unserem Rücken und ohne Erfüllung der steuer-
lichen Verpflichtungen verschoben werden?!"
Mit dieser überzeugenden Rechtfertigung des angegrif-
fenen Unternehmens fand die öffentliche Diskussion
des Problems ein vorläufiges Ende. Ja, sogar die Vor-
sichtigen und Mißtrauischen überwanden nun ihre Be-
denken und kramten ihre in der Matratze versteckten
Gelder hervor, um sich ein Stück Geräuchertes, eine neue
Radioröhre oder gar eine vollständige Fahrradbereifung
zu erstehen. So erfreute sich das Kaufhaus mitunter

DÜNKEL

Ich dünke mich, du dünkesl dich,
Es dünkell jeder um sein „Ich"!

Doch fragt sich's, was bleibt übrig wohl,
Wenn man den Dünkel ausradiert ?
Ob sich der Mensch dann sehr geniert?
Vielleicht erkennt er sich nicht mehr —
Oll wäre der Verlust zu schwer,
Denn mit so winziger Substanz
Verschwindet ja das Menschlein ganz!
Gewiß riei mancher: „Ich bin leer —
Gebt meinen Dünkel wieder her!" c.Otten

solch lebhaften Besuches, daß manche Ware nicht mehr
ausreichte, die Preise schnellten noch mehr in die Höhe
und der findige Direktor mußte sich entschließen, be-
sonders verlangte Dinge meistbietend versteigern zu
lassen. Als sich dies erst herumgesprochen hatte, ge-'
wann das Unternehmen noch mehr Anziehungskraft und
immer häufiger mußten die Türhüter, die wie alle An-
gestellten des Betriebes vereidigte Beamte waren, die
Tore versperren und ein Schild aufhängen: „Wegen
Uberfüllung vorübergehend geschlossen". Die draußen
Ausharrenden aber vernahmen voll Spannung bis auf
die Straße hinaus, wie drinnen der Auktionator die
Preise ausrief und die Kunden sich kauflüstern gegen-
seitig leidenschaftlich überboten . ..
So verging die Zeit und das Kaufhaus „Zum schwarzen
Markt" konnte nach und nach in allen Städten u id klei-
neren Orten des Landes Filialen eröffnen, die sich glei-
chen Zusprudis erfreuten. Jedoch auch die Gegner des
Unternehmens, vor allem die ehemaligen Schwarzhänd-
ler, die völlig kaltgestellt waren, weil ihnen jeder aus
dem Wege ging, nachdem das, was sie rechtswidrig zu
bieten hatten, nunmehr überall unter dem Schutze des
Gesetzes zu kaufen war, begannen sich aufs neue zu
rühren. Sie traten scheinheilig mit dem Einwand an die
Öffentlichkeit: Wenn schon der Staat über soviel zu-
sätzliche Ware verfüge, wie es den Anschein habe, dann
solle er, statt eine bestimmte Käufergruppe ungerecht
zu begünstigen, diese Dinge nach einem gerechten Schlüs-
sel der Allgemeinheit zugute kommen lassen.
Auch darauf hatte die Behörde eine Antwort. Zunächst
stellte sie fest, daß die der Bevölkerung zugeteilten Ra-
tionen nach den voraufgegangenen Erhöhungen das
Höchstmöglidie dessen darstellen würden, was der Staat
unter den gegebenen wirtsdiaftlichen Verhältnissen ver-
antworten könne. Die iip staatlichen Kaufhaus ange-
botene Ware aber reiche keineswegs dazu aus, um den
Lebensstandard insgesamt zu verbessern, sie stelle unge-
fähr den gleichen Prozentsatz des Gesamtvorrats dar,
der auch früher durch die dunklen Kanäle des Schwarz-
handels unberechtigten Empfängern zugeflossen sei.
Durch die um ein Vielfaches verschärften Kontroll-
maßnahmen, durch rücksichtslose Warenbeschlagnahme
bei ertappten Schwarzhändlern und allen denen, die als
Erzeuger ihrer Ablieferungspflicht nur ungenügend nach-
gekommen seien, sowie durch Ankurbelung staatseige-
ncr Produktionen von besonders begehrten Gütern wie
beispielsweise Radioapparaten, Fahrrädern oder Schu-
hen sei das Kaufhaus immer wieder in der Lage, die
erhebliche Nachfrage zu befriedigen, ohne dadurdi.die
Allgemeinheit spürbar zu benachteiligen.
Daraufhin allerdings schien die Gemeinnützigkeit des
Unternehmens bei allen Staatsbürgern außer Frage ge-
stellt, und wenn ihr Geld noch dazu ausreichte, gingen
sie bedenkenlos in das staatliche Kaufhaus, um ihren
markenmäßig unbefriedigten Bedürfnissen Genugtu-
ung zu verschaffen. Bloß ein bedeutender Wirrschafts-
theoretiker gab sich mit den Tatsachen noch nicht zu-
frieden. Er machte sich daran, das Für und Wider einer
solchen Einrichtung in einem dickleibigen Werk tief-
schürfend und unter besonderer Berüdcsichtigung ihrer
Einwirkungen auf die Volksmoral zu behandeln. Um
den wissenschaftlichen Charakter seiner Arbeit einwand-
frei zu belegen, begann er mit einer aufschlußreidien
Darstellung einer Geschichte des schwarzen Marktes bei
den Assyrern und Babyloniern sowie im alten Rom, die
erhebliche Vorstudien erforderten. Noch während der
Niederschrift machte sich — freilich unabhängig da-
von — im Kaufhaus bereits ein Nachlassen des Besuches
und ein allmähliches, aber kontinuierliches Absinken der
Preise bemerkbar. Es schien sogar, als würden sich die
Leute williger als bisher mit den ihnen zugebilligten
Mengen zufrieden geben. (In wenigen Monaten schon
ist mit einer Sonderlizenz für die Herausgabe des ge-
lehrten Werkes zu rechnen.) Zum gleichen Zeitpunkt
aber dürfte — wenn nicht alles täuscht — das staatliche
Unternehmen nach einem vorherigen Inventurausver-
kauf zu normalen Preisen seine Pforten für immer schlie-
ßen, und der ehemalige Finanzamtsdirektor, der mitt-
lerweile zum Staatssekretär ernannt worden ist, wird
seiner beglückten Regierung melden können, daß das
Kaufhaus „Zum schwarzen Markt" die im Volke ange-
staute Kaufkraft zugunsten des Staates erfolgreich ab-
geschöpft habe. Karl Ude

Erscheint vorläufig 14tägig

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