VERGESSLICHKEIT
Noch ist kaum ein Jahr seit dem Zusammenbruch
der braunen Verbrecherherrschaft vorüber, und schon
ist vielfach „total" vergessen, was war. Dieses Ver-
gessen zu fördern und daraus Nutzen für ein ,Vier-
tes Reich" zu ziehen, ist Aufgabe der Werwölfchen
in Mitläufer - Schafpelzen, der zur Zeit beschäf-
tigungslosen, weil herz- und gemütskranken, ge-
wesenen Block-, Zellen- und Ortsgruppenleiteriche
nebst Megärensippschaft und fanatisch kämpfenden
Schulbuben. Sie alle verstehen meisterhaft, das
Volkstalent zum Vergessen des Bösen, Verbreche-
rischen, des Massenmordes, des Terrors der Gestapo
und Parteibanditen, der Beitragserpresser und Re-
korddenunzianten für ihre nächtigen Zukunftspläne
zu nutzen. Ein dichter brauner Schleier soll sich
auf alle die Schandtaten der Nazibrüder senken, auf
daß das Volk erkenne, wie brav SA., SS. und SD.
letzten Endes gewesen seien, welche Märtyrer die
Parteibonzen, die Aushängekomplicenhäuptlinge in
Nürnberg und vor allem Adolf, der Benzin-
verschwender und nachfriderizianische Weltverbes-
serer, seien, wie gut man es im Dritten Reich doch
gehabt hätte, und daß nur die bösen Antifaschisten,
die Juden und die übriggebliebenen KZ.-Insassen an
allem schuld seien. Es gibt leider genügend geistige
Kleinstrentner, die solche Mären aus dem braunen
Bilderbuch für Idioten und solche, die es werden
sollen, wortwörtlich glauben, in den Läden, auf der
Straße und sonstwo einträchtig auf die miserablen
Zeiten, die Amis und die Regierung zetern und ver-
gessen haben, was von 1933 bis 1945 in Deutsch-
land geschah. Eine schielende Frauenschaftlerin gießt
bedächtig Oel in dieses braune Feuerchen; eine vom
Hamstern kommende NSV.-Kassierin pflichtet ihr bei
und der ganze Chorus stimmt das Hohelied Adolfs
des Verbrannten .an, der es, ach, so gut mit dem
deutschen Volke gemeint habe. Die grauenhaften
Tatsachen aus den KZ.-Prozessen'werden als lächer-
liche Greuelmärchen bezeichnet, an die kein Mensch
mehr glaube. Den KZ.-lern begegnet man mit Abscheu
und Mißtrauen und entdeckt irgendwo in der Mörder-
grube seines verhärteten, gestählten Durchhalteher-
zens seinen instinktgemäßen Judenhaß. Grinsend stel-
len wispernde alte Weiber beiderlei Geschlechts den
nahen Krieg Amerika—Rußland in Aussicht, in dem
durch ein Wunder Deutschland gewinnen und siegen
werde; aus der Versenkung steige dann als neuer
Phönix Adolf, der Totgeglaubte, schare seine Ge-
treuen um sich und —■ na, prost, die Antifaschisten,
die Kommunisten, die Pazifisten, sie können sich
gratulieren. Diesmal wird ganze Arbeit geleistet!
Diesmal gibt's keine Würstel mehr und keine senti-
mentalen Konzentrationslager für die Umschulung
dieser Verräter. Deutschland wird erwachen, und die
zehnjährigen Lausbuben werden ihre Fahrtenmesser
wetzen und die letzten Juden damit über die arische
Kultur belehren. Adolf wird sich den europäischen
Kaisertitel zulegen; Rußland wird Provinz, England
ausradiert, Frankreich vernichtet, Italien Kolonie und
die übrigen belanglosen Staatchen einverleibt. Amerika
E. Willmann
FORTSCHRITT
„Ich sehe noch die Zeit kommen, in der ich
den Weltflieden mit dem bloßen Auge finde!"
wird atomisiert und der Mond erobert. Mars und
Venus haben ihre Beteiligung fernstrahlig zugesagt.
— Ha, da leuchten die verbohrten Sehlöcher der
mißratenen Provokationsmegären aus großer Zeit!
Da zieht ein überlegen - halsbrecherisches Grinsen
über das lehmgrobe Gesichtchen mit dem über-
lebensgroßen Bettvorleger und dem arischen Adams-
apfel. Da beginnt irgendjemand vergnügt das
Worschtkessellied zu pfeifen. Deutschland, erwache!
Heul! —
An uns Antifaschisten liegt es, dafür zu sorgen,
daß nichts vergessen wird, was die braunen Ver-
brecher dem deutschen Volke und der Welt angetan
haben, hineinzuschlagen in die Vipernknäuel nazi-
stischer Färbung, aufzurütteln, zu mahnen und Tat-
sachen immer wieder den Vergeßlichen einzuhämmern.
Das Unheil von gestern darf nicht von einem Unheil
von morgen gefolgt sein; die Anwärter auf fette
Sinekuren im Vierten Reich dürfen nicht ungestraft
hetzen, verleumden, schüren und lügen, auch dann
nicht, wenn ihre Entnazifizierung läuft und sie zeit-
gemäß zu blöken gelernt haben. Es darf sich nicht
wiederholen, daß das Volk den ,,total" Vernagelten
nachrennt und sich für Ruhm, Blechabzeichen und
Sondermeldungsfanfaren zu Mordheeren zusam-
menschweißen, bewaffnen und loshetzen läßt. Ver-
geßlichkeit ist die schärfste Wcrwolfwaffe. Es ist an
uns, sie den unentwegten Propagandisten des Fa-
schismus aus der Hand zu schlagen. J. Menter
AUS DEM „MÄRCHENBUCH DES
TAUSENDJÄHRIGEN REICHES"
3.5.1938: „Die Achse ist die Grundlage eines neuen
Europa geworden."
28. 5. 1938: (Besichtigung des Westwalls:) „Die West-
mächte werden zu keiner Zeit einen Angriff
auf diesen Wall von Stahl und Eisen wagen."
1. 9. 1939: „Und ich begebe mich jetzt an die Front."
„Das Reich ist gerüstet wie kein Staat auf
der Welt."
22. 6. 1941: „Das Schwert des Reiches schlägt zu! ... Die
vernichtendste Niederlage bricht über die
Sowjets herein."
1.1.1943: „Das Jahr 1943 wird die Vollendung des
größten Sieges aller Zeiten bringen."
„Stalingrad wird fallen so oder so, aber
nicht wenn Herr Stalin es will, sondern wenn
ich es will."
„Sie mögen nur zu ihrer Invasion schreiten,
ich warte auf sie, ich bin sogar bereit,
irgendwo einen Landstreifen für die Lan-
dung der Truppen zur Verfügung zu stellen."
„Wir werden zu verhindern wissen, daß je
ein amerikanischer Truppentransporter die
europäische Küste erreicht." Geineder
G8
Noch ist kaum ein Jahr seit dem Zusammenbruch
der braunen Verbrecherherrschaft vorüber, und schon
ist vielfach „total" vergessen, was war. Dieses Ver-
gessen zu fördern und daraus Nutzen für ein ,Vier-
tes Reich" zu ziehen, ist Aufgabe der Werwölfchen
in Mitläufer - Schafpelzen, der zur Zeit beschäf-
tigungslosen, weil herz- und gemütskranken, ge-
wesenen Block-, Zellen- und Ortsgruppenleiteriche
nebst Megärensippschaft und fanatisch kämpfenden
Schulbuben. Sie alle verstehen meisterhaft, das
Volkstalent zum Vergessen des Bösen, Verbreche-
rischen, des Massenmordes, des Terrors der Gestapo
und Parteibanditen, der Beitragserpresser und Re-
korddenunzianten für ihre nächtigen Zukunftspläne
zu nutzen. Ein dichter brauner Schleier soll sich
auf alle die Schandtaten der Nazibrüder senken, auf
daß das Volk erkenne, wie brav SA., SS. und SD.
letzten Endes gewesen seien, welche Märtyrer die
Parteibonzen, die Aushängekomplicenhäuptlinge in
Nürnberg und vor allem Adolf, der Benzin-
verschwender und nachfriderizianische Weltverbes-
serer, seien, wie gut man es im Dritten Reich doch
gehabt hätte, und daß nur die bösen Antifaschisten,
die Juden und die übriggebliebenen KZ.-Insassen an
allem schuld seien. Es gibt leider genügend geistige
Kleinstrentner, die solche Mären aus dem braunen
Bilderbuch für Idioten und solche, die es werden
sollen, wortwörtlich glauben, in den Läden, auf der
Straße und sonstwo einträchtig auf die miserablen
Zeiten, die Amis und die Regierung zetern und ver-
gessen haben, was von 1933 bis 1945 in Deutsch-
land geschah. Eine schielende Frauenschaftlerin gießt
bedächtig Oel in dieses braune Feuerchen; eine vom
Hamstern kommende NSV.-Kassierin pflichtet ihr bei
und der ganze Chorus stimmt das Hohelied Adolfs
des Verbrannten .an, der es, ach, so gut mit dem
deutschen Volke gemeint habe. Die grauenhaften
Tatsachen aus den KZ.-Prozessen'werden als lächer-
liche Greuelmärchen bezeichnet, an die kein Mensch
mehr glaube. Den KZ.-lern begegnet man mit Abscheu
und Mißtrauen und entdeckt irgendwo in der Mörder-
grube seines verhärteten, gestählten Durchhalteher-
zens seinen instinktgemäßen Judenhaß. Grinsend stel-
len wispernde alte Weiber beiderlei Geschlechts den
nahen Krieg Amerika—Rußland in Aussicht, in dem
durch ein Wunder Deutschland gewinnen und siegen
werde; aus der Versenkung steige dann als neuer
Phönix Adolf, der Totgeglaubte, schare seine Ge-
treuen um sich und —■ na, prost, die Antifaschisten,
die Kommunisten, die Pazifisten, sie können sich
gratulieren. Diesmal wird ganze Arbeit geleistet!
Diesmal gibt's keine Würstel mehr und keine senti-
mentalen Konzentrationslager für die Umschulung
dieser Verräter. Deutschland wird erwachen, und die
zehnjährigen Lausbuben werden ihre Fahrtenmesser
wetzen und die letzten Juden damit über die arische
Kultur belehren. Adolf wird sich den europäischen
Kaisertitel zulegen; Rußland wird Provinz, England
ausradiert, Frankreich vernichtet, Italien Kolonie und
die übrigen belanglosen Staatchen einverleibt. Amerika
E. Willmann
FORTSCHRITT
„Ich sehe noch die Zeit kommen, in der ich
den Weltflieden mit dem bloßen Auge finde!"
wird atomisiert und der Mond erobert. Mars und
Venus haben ihre Beteiligung fernstrahlig zugesagt.
— Ha, da leuchten die verbohrten Sehlöcher der
mißratenen Provokationsmegären aus großer Zeit!
Da zieht ein überlegen - halsbrecherisches Grinsen
über das lehmgrobe Gesichtchen mit dem über-
lebensgroßen Bettvorleger und dem arischen Adams-
apfel. Da beginnt irgendjemand vergnügt das
Worschtkessellied zu pfeifen. Deutschland, erwache!
Heul! —
An uns Antifaschisten liegt es, dafür zu sorgen,
daß nichts vergessen wird, was die braunen Ver-
brecher dem deutschen Volke und der Welt angetan
haben, hineinzuschlagen in die Vipernknäuel nazi-
stischer Färbung, aufzurütteln, zu mahnen und Tat-
sachen immer wieder den Vergeßlichen einzuhämmern.
Das Unheil von gestern darf nicht von einem Unheil
von morgen gefolgt sein; die Anwärter auf fette
Sinekuren im Vierten Reich dürfen nicht ungestraft
hetzen, verleumden, schüren und lügen, auch dann
nicht, wenn ihre Entnazifizierung läuft und sie zeit-
gemäß zu blöken gelernt haben. Es darf sich nicht
wiederholen, daß das Volk den ,,total" Vernagelten
nachrennt und sich für Ruhm, Blechabzeichen und
Sondermeldungsfanfaren zu Mordheeren zusam-
menschweißen, bewaffnen und loshetzen läßt. Ver-
geßlichkeit ist die schärfste Wcrwolfwaffe. Es ist an
uns, sie den unentwegten Propagandisten des Fa-
schismus aus der Hand zu schlagen. J. Menter
AUS DEM „MÄRCHENBUCH DES
TAUSENDJÄHRIGEN REICHES"
3.5.1938: „Die Achse ist die Grundlage eines neuen
Europa geworden."
28. 5. 1938: (Besichtigung des Westwalls:) „Die West-
mächte werden zu keiner Zeit einen Angriff
auf diesen Wall von Stahl und Eisen wagen."
1. 9. 1939: „Und ich begebe mich jetzt an die Front."
„Das Reich ist gerüstet wie kein Staat auf
der Welt."
22. 6. 1941: „Das Schwert des Reiches schlägt zu! ... Die
vernichtendste Niederlage bricht über die
Sowjets herein."
1.1.1943: „Das Jahr 1943 wird die Vollendung des
größten Sieges aller Zeiten bringen."
„Stalingrad wird fallen so oder so, aber
nicht wenn Herr Stalin es will, sondern wenn
ich es will."
„Sie mögen nur zu ihrer Invasion schreiten,
ich warte auf sie, ich bin sogar bereit,
irgendwo einen Landstreifen für die Lan-
dung der Truppen zur Verfügung zu stellen."
„Wir werden zu verhindern wissen, daß je
ein amerikanischer Truppentransporter die
europäische Küste erreicht." Geineder
G8
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Das weisse Schaf" "Fortschritt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 6, S. 68.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg