BALDURS „KULTURELLE" JUGENDERZIEHUNG
J. Wisbeck
DAS GERÜCHT
,So zimperlich darfst du einmal bei der SS. nicht sein!"
Wißt ihr, liebe Leute, was ein „Gerücht" ist?
Es ist ein altes, geschwätziges Weib, das von Zim-
mer zu Zimmer, von Wohnung zu Wohnung, von
Haus zu Haus humpelt, und aus seinem verlogenen,
zahnlosen Maul werden tausend andere. So war es
auch damals im Falle des Ehepaares Haberl. Als
der Postbote an der Wohnungstüre läutete, um ein
handgroßes Päckchen abzugeben, wurde nicht ge-
öffnet, denn die Frau stand Schlange, während der
Mann ein Tauschgeschäft tätigte. So gab denn der
Briefträger das Päckchen in der Nebenwohnung bei
Fräulein Mayer ab. Dieses beschnüffelte die Sen-
dung von allen Seiten, drückte und tastete, doch
vermochte selbst die scharfe Brille nicht festzu-
stellen, daß sich Vogelfutter in der Schachtel befand,
dazu bestimmt, dem Kanarienvogel des Ehepaares
zur Nahrung zu dienen. Denn in der Stadt gab es
keine Hanfkörner. Nachdem Fräulein Mayer dem
Poststempel entnommen hatte, daß die Sendung aus
Hinterbirnbach stammte, verließ es seine Wohnung.
Im Stiegenhaus stieß Fräulein Mayer auf Frau
Kronseder des dritten Stockwerkes und berichtete
dieser von der Sendung. ,,So, aus Hinterbirnbach?"
schmunzelte diese, ,,da gibt's vui Schmalz, Speck und
Eier!" Mittags traf Frau Kronseder die Frau Zei-
serl vom zweiten Stockwerk, und nachmittags be-
gegnete diese der Frau Hunglinger vom 1. Stock.
Abends meinte Herr Hagelmeier vom Erdgeschoß zu
seiner Frau: „Die Haberl können gut leben. Wenn
man fünf Kilo Schmalz, zwei Schinken und fünf-
hundert Eier aus Hinterbirnbach bekommt, läßt sich's
mit der Lebensmittelkarte gut auskommen."
Wenige Tage später erschien ein unwirsch auf-
tretender Herr beim Ehepaar Haberl, gab sich als
Beamter zu erkennen und begann, die Wohnung
nach Hamsterware zu untersuchen. Er ließ sich alle
Behältnisse öffnen, doch fand sich keine Ware vor.
Durch den Mißerfolg noch etwas unwirscher als
vorher, verließ der Beamte die Wohnung und ver-
gaß dabei als frommer Mann nicht, vor einem an
der Wand hängenden Bild der heiligen Maria ein
Kreuz zu schlagen. Kaum waren seine Tritte auf
der Treppe verhallt, da nahm Herr Haberl das Bild
von der Wand. Es erschien darunter eine Nische,
die einen steinernen Topf, einen Korb und ein fettig
glänzendes Paket barg. Und nun erwies sich wieder
einmal so recht die Lügenhaftigkeit des „Gerüch-
tes". Denn es handelte sich nicht um fünf Kilo
Schmalz, sondern nur um vier, nicht um zwei
Schinken, sondern nur um einen, und nicht um
fünfhundert Eier, sondern nur um
vierhundertsechsundachtzig. Außer-
dem stammte die Ware nicht aus Hinter birnbach,
sondern Herr Haberl hatte sie aus Ober birnbach
bezogen. A. Wisbeck
H. M.-Brockmann
WEISS ODER SCHWARZ
KARL VALENTIN 1946
Frau Huber: Grüß Gott Frau Maier, was sagn denn
Sie zu der Neuigkeit?
Frau Maier: ANeiigkeit? Was denn? Was is denn los?
Frau Huber: Sie wissen's no gar net? Der Klapper-
storch war scho da!
Frau Maier: Der Klapperstorch?
Frau Huber: Na — Sie wissen's doch, von wem wir
ncilings gredt ham?
Frau Maier: Kann mi net mehr erinnern.
Frau Huber: No — von der Stockinger Elsa, dem
Lausdeandl, mit 17 Jahr.
Frau Maier: Ja, ja, jetzt fallts mir ein.
Frau Huber: Gestern hats a Buberl kriagt!
Frau Maier: Ja — wirklich — ja was is dös — Und
was sagn die Eltern von der Elsa?
Frau Huber: Jetzt is scho gschegn.
Frau Maier: Mit 17 Jahr!
Frau Huber: 17 is ja no gar net, nächsten Monat wird
s' erst 17!
Frau Maier: 's Kind?
Frau Huber: Na, na, sie! As Kind is ja erst einen
Tag alt! —• A nett's Kind aa no!
Frau Maier: Ham Sie's scho gsehn?
Frau Huber: Na — d'Litzbeckin, unser Nachbarin, hats
gsehn. A Mordstrum Kind solls sei —
acht Pfund solls sei — acht Pfund schwer
und . . . ganz schwarz Solls sei, tief-
schwarze Haar solls ham!
Frau Maier: Au weh, da siehg i schwarz — Ja und
da Vadda von dem Kind?
Frau Huber: Ja — i will da nix g'sagt ham, aber so-
viel i von da Gmeinwieserin ghört hab,
sind die Eltern ja selber schuld, denn da
Vadda von dem Kind, der Schwarze, soll
ja öfters in der Wohnung gsehn worden
sei, und wenn die Eltern schon so etwas
gestatten — na ja —, dann müssen sie
halt die Konsiquitänsen tragen!
Frau Maier: So — so — na ja — Eigentlich is ja
unsere bayrische Landesfarbe weiß-blau
und net weiß-schwarz.
Frau Huber: Ja, aber der Vadda von dem Kind kann
doch die Elsa niemals heiraten?
Frau Maier: Na, wenn er einen Charakter hat, dann
heirat er dös Mädl, das war doch seine
verdammte Pflicht!
Frau Huber: Heiraten — Ja dös is doch unmöglich,
Frau Maier, Stellens Ihna bloß vor, was
das für ein Aufsehen wäre, wenn das
Brautpaar ins Standesamt und in die
Kirche zur Trauung kommt!
Frau Maier: Wieso, da versteh ich Ihnen nicht recht,
Frau Huber? Warum soll das ein beson-
deres Aufsehen erregen?
Frau Huber: Na, erlauben Sie mir, a weiße Braut —
und a schwarzer Bräutigam!
Frau Maier: Ja moana denn Sie, daß sich der in
seinem Kaminkehrer-Anzug trauen laßt?
„Wenn ick ooch Evakuiertet bin, meine
Sonderzuteilung hol' ick mia doch!"
70
J. Wisbeck
DAS GERÜCHT
,So zimperlich darfst du einmal bei der SS. nicht sein!"
Wißt ihr, liebe Leute, was ein „Gerücht" ist?
Es ist ein altes, geschwätziges Weib, das von Zim-
mer zu Zimmer, von Wohnung zu Wohnung, von
Haus zu Haus humpelt, und aus seinem verlogenen,
zahnlosen Maul werden tausend andere. So war es
auch damals im Falle des Ehepaares Haberl. Als
der Postbote an der Wohnungstüre läutete, um ein
handgroßes Päckchen abzugeben, wurde nicht ge-
öffnet, denn die Frau stand Schlange, während der
Mann ein Tauschgeschäft tätigte. So gab denn der
Briefträger das Päckchen in der Nebenwohnung bei
Fräulein Mayer ab. Dieses beschnüffelte die Sen-
dung von allen Seiten, drückte und tastete, doch
vermochte selbst die scharfe Brille nicht festzu-
stellen, daß sich Vogelfutter in der Schachtel befand,
dazu bestimmt, dem Kanarienvogel des Ehepaares
zur Nahrung zu dienen. Denn in der Stadt gab es
keine Hanfkörner. Nachdem Fräulein Mayer dem
Poststempel entnommen hatte, daß die Sendung aus
Hinterbirnbach stammte, verließ es seine Wohnung.
Im Stiegenhaus stieß Fräulein Mayer auf Frau
Kronseder des dritten Stockwerkes und berichtete
dieser von der Sendung. ,,So, aus Hinterbirnbach?"
schmunzelte diese, ,,da gibt's vui Schmalz, Speck und
Eier!" Mittags traf Frau Kronseder die Frau Zei-
serl vom zweiten Stockwerk, und nachmittags be-
gegnete diese der Frau Hunglinger vom 1. Stock.
Abends meinte Herr Hagelmeier vom Erdgeschoß zu
seiner Frau: „Die Haberl können gut leben. Wenn
man fünf Kilo Schmalz, zwei Schinken und fünf-
hundert Eier aus Hinterbirnbach bekommt, läßt sich's
mit der Lebensmittelkarte gut auskommen."
Wenige Tage später erschien ein unwirsch auf-
tretender Herr beim Ehepaar Haberl, gab sich als
Beamter zu erkennen und begann, die Wohnung
nach Hamsterware zu untersuchen. Er ließ sich alle
Behältnisse öffnen, doch fand sich keine Ware vor.
Durch den Mißerfolg noch etwas unwirscher als
vorher, verließ der Beamte die Wohnung und ver-
gaß dabei als frommer Mann nicht, vor einem an
der Wand hängenden Bild der heiligen Maria ein
Kreuz zu schlagen. Kaum waren seine Tritte auf
der Treppe verhallt, da nahm Herr Haberl das Bild
von der Wand. Es erschien darunter eine Nische,
die einen steinernen Topf, einen Korb und ein fettig
glänzendes Paket barg. Und nun erwies sich wieder
einmal so recht die Lügenhaftigkeit des „Gerüch-
tes". Denn es handelte sich nicht um fünf Kilo
Schmalz, sondern nur um vier, nicht um zwei
Schinken, sondern nur um einen, und nicht um
fünfhundert Eier, sondern nur um
vierhundertsechsundachtzig. Außer-
dem stammte die Ware nicht aus Hinter birnbach,
sondern Herr Haberl hatte sie aus Ober birnbach
bezogen. A. Wisbeck
H. M.-Brockmann
WEISS ODER SCHWARZ
KARL VALENTIN 1946
Frau Huber: Grüß Gott Frau Maier, was sagn denn
Sie zu der Neuigkeit?
Frau Maier: ANeiigkeit? Was denn? Was is denn los?
Frau Huber: Sie wissen's no gar net? Der Klapper-
storch war scho da!
Frau Maier: Der Klapperstorch?
Frau Huber: Na — Sie wissen's doch, von wem wir
ncilings gredt ham?
Frau Maier: Kann mi net mehr erinnern.
Frau Huber: No — von der Stockinger Elsa, dem
Lausdeandl, mit 17 Jahr.
Frau Maier: Ja, ja, jetzt fallts mir ein.
Frau Huber: Gestern hats a Buberl kriagt!
Frau Maier: Ja — wirklich — ja was is dös — Und
was sagn die Eltern von der Elsa?
Frau Huber: Jetzt is scho gschegn.
Frau Maier: Mit 17 Jahr!
Frau Huber: 17 is ja no gar net, nächsten Monat wird
s' erst 17!
Frau Maier: 's Kind?
Frau Huber: Na, na, sie! As Kind is ja erst einen
Tag alt! —• A nett's Kind aa no!
Frau Maier: Ham Sie's scho gsehn?
Frau Huber: Na — d'Litzbeckin, unser Nachbarin, hats
gsehn. A Mordstrum Kind solls sei —
acht Pfund solls sei — acht Pfund schwer
und . . . ganz schwarz Solls sei, tief-
schwarze Haar solls ham!
Frau Maier: Au weh, da siehg i schwarz — Ja und
da Vadda von dem Kind?
Frau Huber: Ja — i will da nix g'sagt ham, aber so-
viel i von da Gmeinwieserin ghört hab,
sind die Eltern ja selber schuld, denn da
Vadda von dem Kind, der Schwarze, soll
ja öfters in der Wohnung gsehn worden
sei, und wenn die Eltern schon so etwas
gestatten — na ja —, dann müssen sie
halt die Konsiquitänsen tragen!
Frau Maier: So — so — na ja — Eigentlich is ja
unsere bayrische Landesfarbe weiß-blau
und net weiß-schwarz.
Frau Huber: Ja, aber der Vadda von dem Kind kann
doch die Elsa niemals heiraten?
Frau Maier: Na, wenn er einen Charakter hat, dann
heirat er dös Mädl, das war doch seine
verdammte Pflicht!
Frau Huber: Heiraten — Ja dös is doch unmöglich,
Frau Maier, Stellens Ihna bloß vor, was
das für ein Aufsehen wäre, wenn das
Brautpaar ins Standesamt und in die
Kirche zur Trauung kommt!
Frau Maier: Wieso, da versteh ich Ihnen nicht recht,
Frau Huber? Warum soll das ein beson-
deres Aufsehen erregen?
Frau Huber: Na, erlauben Sie mir, a weiße Braut —
und a schwarzer Bräutigam!
Frau Maier: Ja moana denn Sie, daß sich der in
seinem Kaminkehrer-Anzug trauen laßt?
„Wenn ick ooch Evakuiertet bin, meine
Sonderzuteilung hol' ick mia doch!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Baldurs 'kulturelle' Jugenderziehung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: 1) ",So zimperlich darfst du einmal bei der SS. nicht sein!"" 2) "„Wenn ick ooch Evakuierta bin, meine Sonderzuteilung hol' ick mia doch!""
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 6, S. 70.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg