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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0110
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FRANZ SCHÖNBERNER AN DEN „SIMPL1

Meine lieben Simpl-Leute!

Zunächst meinen Glückwunsch zu der ersten Nummer
des „Simpl", die durch amerikanische Freunde eben in
meine Hände gelangte. Es war mir eine Freude zu
sehen, daß der „Simpl" als ein jüngerer Bruder des
„Shnplizissimus", dessen alte Tradition wieder da auf-
zunehmen scheint, wo sie im März 1933 mit der letzten,
unter Th. Th. Heines und meinem Namen erscheinen-
den Nummer abbrach.

Das schöne Widmungsblatt für Th. Th. He ine bezeugt
am besteh, wes Geistes Kind der „Simpl" sein will.
Aber mit der „tieferen Bedeutung" paart sich auch hier
der Scherz, für den freilich, nach Schopenhauer, „in
diesem durchweg zweideutigem Leben kaum irgend
ein Blatt zu ernsthaft sein kann." Der Scherz, der wirk-
lich gute Scherz des Schicksals nämlich liegt darin, daß
Th. Th. Heine gerade in Stockholm bei bester Gesund-
heit seinen 79. Geburtstag feierte, als dieser würdige,
und ehrenvolle Nachruf für ihn erschien.
In seinem letzten Brief an mich, datiert vom 25.März
^946, gab er mir eine sehr lustige Beschreibung davon,
wie er, um sich vor Gratulanten zu retten, ,,'rotz der
bedeutenden Kälte und des vielen Schnees lieber einen
Ausflug in die Umgebung machte". Er setzt hinzu: „Ge-
burtstage hasse ich ganz besonders . . . Gott soll mich an
meinem achtzigsten schützen".

Wenn es wahr ist, daß Totgesagte nur um so länger
leben, dann hat der „Simpl" dem unverändert jugend-
lichen, noch keineswegs zum „Kunstgreis" gewordenen
Heine selbst — und erst recht den vielen Freunden und
Bewunderern dieses in jedem Fall unsterblichen Sati-
rikers — einen ganz besonderen Dienst erwiesen.
Es scheint fast, als ob Satiriker und Humoristen sogar
ein besonderes Vergnügen daran fänden, sich fälschlich
totsagen zu lassen. Jedenfalls will ich gleich gestehen,
daß ich selber kürzlich fast die gleiche Erfahrung ge-
macht habe wie der „Simpl", und zwar mit meinem
alten Freund August Wisbeck. Schon im Jahre 1936 war
mir ein Zeitungsausschnitt mit seiner Todesanzeige aus
München nach Frankreich gesandt worden, und später,
im Jahre 1943, bestätigte hier in New York ein gemein-
samer Bekannter diese Nachricht sogar noch mit man-
chen tragischen Einzelheiten. Ich schrieb damals gerade
eine englische Fassung meiner Erinnerungen, worin ich
natürlich dem alten Freund Wisbeck eine Art Grab-
denkmal setzte. Kaum war das Buch ausgedruckt, da
erreichte mich auf langen Umwegen das seit dreizehn
Jahren erste persönliche Lebenszeichen des Totgeglaub-
ten, der seine Lebendigkeit jetzt auch noch durch seine
lustigen Beiträge zum „Simpl" bestätigt. Ich kann
meinen Irrtum erst in einer eventuellen zweiten Auf-
lage meines Buches berichtigen. Der „Simpl" wird die
gute Nachricht von Th. Th, Heines „Fortleben nach
dem Tode" wahrscheinlich schon eher bekanntgeben.
(Was wir mit dem Beitrag „Tote stehen auf" in Heft $
bereits getan haben. Die Redaktion.)

Offenbar ist der Humor wirklich eine lebenerhaltende
Kraft, die selbst inmitten der erschütterndsten Tra-
gödien noch besser standhält als das fatale oder gar
mörderische und selbstmörderische Heldenpathos. Aber
wir wollen uns doch nicht zu fest auf die Unsterblich-
keit des Humors verlassen, dessen Göttlichkeit jeden-
falls keine Allmacht einschließt. Das Sprichwort, daß
Lächerlichkeit tötet, ist, wie die meisten Sprichworte, lei-
der unzutreffend, offenbar ganz besonders für Deutsch-
land; denn sonst hätte weder der Kaiser noch Hitler
und Genossen das jahrelange Trommelfeuer so vieler
guter Simplicissimus-Witze nur allzu erfolgreich über-
lebt. Jener Menschentypus, der als Faschist, Nazi,
Phalangist oder unter irgendeinem arderea harmlose-
ren Decknamen auftritt, ist schon durch seine völlige
Humorlosigkeit gegen die Waffe des Witzes gefeit. Sein
sturer und wirklich tierischer Ernst läßt sich auch nicht
durch die brillanteste Illustration der eigenen Komik
erschüttern. Die Freiheit lachender Selbsterkenntnis ist
ihm versagt. Ich glaube, wir müssen uns entschließen,
die Komik menschlicher Dummheit ernster zu nehmen.

Was unwiderstehlich lächerlich erscheint, ist oft zugleich
wirklich unwiderstehlich und tödlidi gefährlich. Ver-
glichen mit der zerstörerischen Kraft blinder mensch-
licher Dummheit, die jeden Augenblick zum Massen-
wahnsinn werden kann, ist selbst die Atombombe nur
eine harmlose Knallerbse.

Wir sollten gewiß niemals den schönen Mut verlieren,
auch der erkannten Gefahr lachend zu begegnen. Und
daß der „Simpl" mit seinem hoffentlich immer wachsen-
den Leserkreis die große moralische Tapferkeit hat,
auch jetzt, inmitten von Ruinen wieder lachen zu wol-
len, erfüllt mich mit aufrichtigem Respekt. Aber wir
wollen nicht vergessen, daß die leichten Waffen des
Witzes und der Satire allein noch nicht genügen. Wir
müssen noch vollständiger und vielseitiger gerüstet sein
in dem vielleicht unendlichen, doch niemals verloren zu
gebenden Kampf für eine vernünftigere, menschlichere
und darum humorbegabtere Welt. Ich glaube, das ist
der beste Wunsch, den ich, nach einem langen und ziem-
lich anstrengenden privaten Anschauungsunterricht,
dem „Simpl" mit auf den Weg geben könnte.

Franz Schönberner

DER SCHREIBTISCH

SEHNSUCHT
„Wenn jetzt einer mit Schokolade käme . . .!"

Ich komme öfters zu einem sehr berühmten Mann.
Er sitzt wohlverwahrt durch Pförtner und Vor-
zimmer hinter einem riesengroßen, braunen Schreib-
tisch. Der Schreibtisch ist immer ganz aufgeräumt,
wie die Schreibtische im Kino oder im Theater.
Ein Telefon, eine Uhr, ein Bild und eine Schale mit
vielen gespitzten Bleistiften. Manchmal liegt links
oder rechts noch eine rote oder blaue Mappe und in
der Mitte, auf der Glasplatte ein verschlossener
Brief. Mein erster Gedanke, wenn ich in das Zim-
mer komme, ist immer: Gut, daß meine Frau die-
sen Schreibtisch nicht sieht! "Wahrscheinlich ist das
Ganze aber nur ein Trick von berühmten Leuten,
um bei ihren Besuchern Minderwertigkeitsgefühle
zu erzeugen. Entweder haben sie noch einen zwei-
ten Schreibtisch, an dem sie wirklich arbeiten, oder
sie — nein, daran wollen wir nicht denken.
Wenn ich von diesen Besuchen nach Hause komme,
muß ich eine besonders geistesabwesende Art an
mir haben, die Kartoffel zu zerdrücken oder mit
dem Löffel in der Suppe Wellen zu erzeugen.
Jedenfalls merkt es meine Frau immer gleich, und
gewöhnlich fragt sie dann äußerst beunruhigt: Du
wirst doch nicht deinen Schreibtisch einräumen
wollen? Es hat gar keinen Zweck, etwas vor ihr ver-
bergen zu wollen, schon gar nicht so etwas Wich-
tiges. Andererseits weiß sie, daß es nicht viel Zweck
hat, gegen diesen Entschluß anzukämpfen. Sie trifft
nur kühl ihre Vorbereitungen, nimmt das Blumen-
tischchen weg, schickt das Kind zum Nachbarn und
versucht insgesamt eben zu retten, was zu retten ist.
Ich bin jetzt acht Jahre verheiratet und meine Frau
hat bereitwillig alle meine Ansichten über die Dar-
winsche Abstammungslehre, die Verwertung der
Atomenergie und die Wahlaussichten der Wirt-
schaftlichen Aufbauvereinigung akzeptiert. Aber
alle Bemühungen, eine gemeinsame Auffassung
über meinen Schreibtisch zu erzielen, müssen als
gescheitert betrachtet werden. Ich habe meinen
Schreibtisch absolut in der Hand. Ich weiß fast im-
mer, in welcher Richtung und manchmal sogar in
welcher Tiefe die gesuchte Lebensversicherungs-
quittung liegt. Wenn ein Feuerstein, ein Kalender
von 1931, ein Kerzenrest oder ein Drehbleistift
gesucht wird, in allen diesen Fällen können die
Suchaktionen durchaus auf den Schreibtisch be-
schränkt werden. Wo sind bei Ihnen alle die klei-
nen Schlüssel für Aktentaschen, Reiseschreibmaschi-
nen, Koffer, Geldkassetten, Miniaturtruhen und
Sicherheitsschlösser? Sie befinden sich bei mir in
einer gelben Schachtel in der dritten Schublade von
oben. Hätten Sie das Flerz, die, ererbten Briefe,
Locken und Bilder von Tante Anna zu vernichten?
Oder die Zigarrenkiste mit Briefmarken von On-
kel Anton? Und was soll mit dem unterschriftüber-
säten Bierunt'ersatz von der Schulabschlußfeier
geschehen? Oder mit dem Postscheckabschnitt und
dem vergilbten Beleg für das erste Honorar? Mit
minenlosen Drehbleistiften und dem Malkasten
Ihrer Tochter? Und Briefbogen, und Blocks, und
Umschlägen und Kohlepapier?

Wohin legen Sie die Briefe und Zeitungen und
Bücher, die Sie lesen oder beantworten oder be-
sprechen sollen? Auf den Schreibtisch natürlich, erst
links, dann rechts, dann in die Mitte und dann
wieder oben drauf. So entsteht im Lauf der Zeit
dann eine gewisse Schichtenbildung, die für Li-
teraturgeologen zweifellos interessante Aufschlüsse
bieten würde. Es ist System in der Sache, es be-
weist, daß ich ein ordnungsliebender Mensch bin.
Ich weiß z. B. genau, daß etwas rechts von der
Lampe, die wie ein Leuchtturm aus der Flut auf-
ragt, etwa 2 cm über dem Schreibtischspiegel eine
kleine graue Mappe liegt, mit einer dicken roten
Aufschrift: Sofort zu beantworten. Solche Mappen
lege ich an, wenn ich abgebrannt oder umgezogen
bin und noch nichts oder wenig da ist. Aber es läßt
sich kaum durchhalten, daß sie immer obenauf
liegt. Und später kann ich auch gar nicht mehr
schreiben, weil ich keinen Platz zum Schreiben mehr
habe. Und auf dem Tisch mit zurückgeschlagener
Decke und untergelegter Zeitung zu schreiben, wäre
doch lächerlich, wenn man einen Schreibtisch hat.
Vielleicht kriege ich von meiner Frau einmal zu
Weihnachten einen zweiten Schreibtisch. Auf den
kommt dann nur ein Bild, die Bleistifte und eine
rote Mappe. Oder vielleicht eine blaue. Ich muß
erst einmal abwarten, was besser zu seiner Farbe
passen wird. R0b. E. Lembke

BITTE UM ÜBERWEISUNG

Das passierte in London. Ein Leutnant der Britischen
Armee las das Amtsblatt, und er las es mit Genug-
tuung. Er hatte den Krieg als Leutnant mitgemacht
und jetzt wurde seine Beförderung zum Hauptmann
amtlich bekanntgegeben. Außerdem war die Beförde-
rung rückwirkend zum 1. April 1941 ausgesprochen,
eine freundliche Konzession des Kriegsministeriums.
Dann blickte er genauer hin. Das Datum lautete:
i.April 1041. Der Leutnant schrieb umgehend an den
Zahlmeister und verlangte die seinem neuen Rang ent-
sprechende Differenz rückwirkend bis 1041.
Er erhielt folgende Antwort: „Ihr Antrag wurde den
Königlichen Statuten gemäß befunden und Ihr Konto
dementsprechend mit ^9,999 Pfund Sterling akkredi-
tiert . . . Ihr Brief führt den schlüssigen Beweis, daß Sie
der einzige überlebende Offizier der Schlacht von Ha-
stings sind, bei der 20000 Pferde von einem Schätzungs-
wert von 2 Pfund pro Stück durch Fahrlässigkeit ver-
loren gingen. Den Königlichen Statuten entsprechend
sind sie demnach für die Zahlung von 40000 Pfund
verantwortlich. Ich habe demzufolge Ihr Konto mit
einem Netto-Debit von einem Pfund belastet."
In welchem andern Land kann der Amtsschimmel solche
gesunden Sprünge machen? Aus „News Week"

Erscheint vorläufig 14 täglich

Verlag: »DER SIMPL« |Freitag-Verlag), München 23, Werneck-
straßelöa —Verantwortlicher Hauptschriftleiter : W. E. Frei tag,
Stellv.: J. Gutbrod — Schriftleitung: München 23, Werneck-
straße 15a, Fernruf: 362072 — Sprechstunden: Dienstag, Donners-
tag und Samstag jeweila von 9—12 Uhr — Druck: Graph. Kunst-
anstaltenF. Bruckmann KG., München 2, Lothstraßel—Copyright
by Freitag-Verlag 1946 — Published under Military Government
Information Control Licence No. US-E-148

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sehnsucht"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Kohl, Steffi
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
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Der Simpl, 1.1946, Nr. 9, S. 110.

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