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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0114
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LETZTER BILDBERICHT DES DRITTEN REICHES H. Craemer

„D e r

Längst hatten deutsche Truppen die Ukraine erobert.
Mit erstaunten Augen waren die kleinen, zerfurchten
Menschen zwischen ihren Hütten gestanden und hatten
nicht gewußt, wohin mit der UcbcrfLille ihrer Herzen.
Und als der Ruf aus dem fernen, wunderbaren Lande
Deutschland kam, daß man Arbeiter dort brauche, daß
jeder willkommen sei, der nur seinen guten Willen und
zwei starke Arme mitbrächte, daß er es dort besser
haben sollte als daheim und vom reichlichen Lohne etwas
ersparen könne, um den Seinen den Rest ihres kärg-
lichen Lebens ein wenig angenehmer zu machen, da zogen
lausende in den lockenden, verheißungsvollen Westen,
der die nährende Heimat so großer und tapferer und
fröhlicher Soldaten war.

Und auch Iwan war unter ihnen, Iwan, der seine alte
Mutter nur darum allein im weiten Rußland zu lassen
vermochte, weil er blind den tönenden Versprechungen
der Werber vertraute, die ihm eine begüterte, glücklichere
Heimkehr in wenigen Jahren verhießen, wo er freier
Sohn eines stolzen, freien Volkes sein werde, Stütze,
Glück und Stolz des Alters seiner Mutter, reich an
Wissen und Erfahrung, die die Fremde schenkt, und ge-
achtet und sein Verdienst und seine tätige Mitarbeit an
der siegreichen Festigung des Gewonnenen.
So gingen ihm die ersten Monate in der lichten, fast
ländlichen Großstadt dämmernd hin wie seinen Kame-
raden, die mit ihm die endlose Reise auf staubigen
Straßen und stoßenden Schienen gemacht hatten, wo mit
jedem scheidenden Tage, der das winzige, vertraute Dörf-
chen mit dem kärglichen Birkenkranz weiter hinter den
flimmernden Horizont sinken ließ, wo mit jedem schei-
denden Tage die Sehnsucht ins Ungemessene wuchs und
das Heimweh in dunkclglühenden Liedern sich betäubte.
Er war ein gutmütiger, arbeitsamer Mensch, den sein
Werkmeister gem hatte, wie man einen Hund liebt, der
mit aller Kraft eines zu andrer Tätigkeit geschaffenen
Körpers den plumpen Karren seines Herrn zieht. Was
konnte er dafür, daß seine breiten Hände noch unbehol-
fen und wie zögernd auf den Griffen der Drehbank
lagen? Er würde es wohl lernen, für Mütterchen, die
daheim wartete und vertraute.

Es konnte wohl geschehen, daß geschicktere Kameraden
ihn hänselten, ihn um seiner täppischen Unbeholfenheit
in manchen Dingen verspotteten und ihren gutmütigen

I W AN — EINE BEGEBENHEIT

Weltgeist saß schweigend und wog die V ö

Spaß an ihm hatten. Lange ertrug er das still, wie ein
gottgewolltes Geschick, indessen die hilflose Ergeben-
heit der gequälten Kreatur in seinen Augen stand. Wollte
er endlich etwas entgegnen, ein schüchternes Wort zu. sei-
ner Verteidigung sagen, so versagte ihm die Stimme, er
stotterte mit zugeschnürter Kehle ein paar zusammen-
hanglose Worte mühsam hervor, während das drängende
Gefühl erlittenen Unrechts in ihm schwoll und einen
Ausweg suchte. Dann wandte er seine dunklen Augen
der Arbeit zu, und ind^m er, leise in sich selbst ver-
sinkend, von der lärmenden Umwelt sich löste, trieb er
sehnsuchtatmend in ein Meer pochenden Heimwehs nach
der Weite der Heimat und der brüchigen Stimme seiner
alten Mutter hinaus.

Einmal aber, als die nach einer äußeren Wirkung lüster-
nen Spötter ihn von allen Seiten bedrängten wie ein
Sprühregen schmerzender Stiche, als nicht nur ihre Worte
wie Steinwürfc seine Empfindsamkeit trafen, sondern
rauhe Fäuste ihn aus dem lindernden Traumland zurück-
stießen in die Wirklichkeit der Dinge, da sprengte die
lang gestaute Qual die zwängenden Schranken des Dul-
dens und mit einem dumpfen Laut fiel er ijber seine
Peiniger her.

Die Streitenden waren schnell genug getrennt. Aber einen,
den der erste Ansprung des Entfesselten getroffen hatte,
mußten sie hinaustragen, einen munteren, zierlichen Fran-
zosen, der erst nach Stunden aus einer tiefen, dröhnen-
den Ohnmacht erwachte.

Iwan ward zur Rechenschaft gezogen, und da man die
Söhne seines Volkes, mit dessen andern Teilen man im
Krieg stand, weniger für Menschen denn für Bestien zu
achten sich gewöhnt hatte, seine Gegner aber alle zu
den Vertretern achtbarer westlicher Zivilisation gehörten,
da endlich niemand in der großen Stadt sich fand, der
seine Sache geführt hätte, er selbst aber, vor innerer
Erregung stotternd, sich nicht zu rechtfertigen wußte, so
wurde ihm bedeutet, daß ein zweites Vorkommnis dieser
Art die ernstesten Folgen für ihn haben müsse. Ueber-
dies ward er, um den häßlichen Vorfall schneller ver-
gessen zu machen, an einen anderen Arbeitsplatz gestellt.
Sein neuer Werkmeister indessen, ein verbitterter, her-
rischer Vorgesetzter, dem man Mitteilung von dem Er-
eignis gemacht und ihn ermahnt hatte, ein wachsames
Auge auf den händelsüchtigen Neuling zu haben, fand in

k c r"

Iwan ein willkommenes Ziel, seiner mürrischen Launen.
Sei es nun, daß er selbst mit seinen Vorgesetzten nicht
auszukommen wußte, sei es, daß ihm eine verfahrene Ehe
daheim das Leben vergällte: So oft er an Iwans Arbeits-
platz vorbeikam, wußte er ihm ein verächtliches Wort,
einen entmutigenden Tadel zu sagen und die unbeholfene
Verwirrung des Angesprochenen als störrische Trägheit
und widerwillige Auflehnung zu mißdeuten.
Iwan, der in seiner Unschuld die Unzufriedenheit dieses
Menschen für ein Zeichen eigenen Versagens nahm, ge-
riet von Tag zu Tag tiefer in ein dumpfes Gefühl des
Ungenügens und der mangelnden Eignung zur neuen Ar-
beit, und als ihn der Meister am vierten oder fünften
Tage um einer mißratenen Arbeit, deren-klägliches Miß-
lingen ihm selbst Tränen des Kummers in die Augen
getrieben hatte, grob vor die Brust stieß, legte er stumm
die Feile nieder, blickte den Verwunderten hilflos und
Verzeihung heischend an und ging gesenkten Kopfes
durch die lange Reihe über ihre Arbeit gebeugter Rücken
davon. Am nächsten Morgen stand er, ein ergeben Bitten-
der, an seiner alten Drehbank.

Ein neues Verfahren ward eingeleitet. Die Richter, er-
müdet vom langen, dumpfen Arbeitstag, dessen freud-
loses und ungeduldiges Ende zu bilden Iwans unseliges
Geschick war, drangen auf einen raschen und endgültigen
Beschluß. Iwan, dessen hilfloses und zeitraubendes Stot-
tern ihnen noch in unleidlicher Erinnerung war, wurde
mit einer verächtlichen Gebärde das Wort abgeschnitten,
und ehe noch ein neuer Morgen die verständnisvolle und
aufschubwirkende Hilfe seiner inzwischen dafür bestellten
Landslcute in die Waagschale werfen konnte, endete sein
verwirrtes Leben als das eines Saboteurs und Anarchisten
unter dem Beil.

Weil aber in dem großen Kriege Arbeitskräfte nötiger
waren als das tägliche Brot des F'riedens, und weil seine
Richter, die Schuld und Unschuld mit billigen Maximen
zu wägen vor Gott sich berufen wähnten, die Schuld an
seinem Tode ihm selbst zusprachen, so wurde sein letzter
Wunsch, den kargen Lohn, den er sich erarbeitet hatte, mit
seinen wenigen Habseligkeiten seiner alten Mutter zukom-
men zu lassen, verworfen und die geringe Summe dem
Fonds zur Anwerbung ukrainischer Arbeiter zugeführt.
Indessen der Weltgeist schweigend saß, und die eine
Waagschale sinken sah. Haya

114
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Letzter Bildbericht des Dritten Reichs"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Craemer, Hans
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 10, S. 114.
 
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