DIE UNENTSCHÄDIGTEN
DER AUSSENSEITER
Fräulein Bauer, die flachbrüstige Sekretärin, war doch
noch zu einem Manne gekommen. Das Bild dieses Man-
nes stand in Silber gerahmt auf ihrem Schreibtische.
Manchmal war es von einer Blume geschmückt. Manch-
mal war es auch geküßt worden. Natürlich, wenn Fräu-
lein Bauer sich allein wußte. Wenn niemand im Zimmer
war, küßte sie das himmlische Bärtchen.
Seit einigen Tagen lächelte Fräulein Bauer nun auch wie
in stillem Glücke vor sich hin.
Und eines Morgens ging sie in die Registratur zu Gell-
ner. Bender sah einige Korrespondenzmappen durch.
Leitner saß auf dem Tisch, ließ die Beine baumeln und
rauchte eine Zigarette. Leitner roch nach Schnaps. Aber
die Fahne vor seinem Munde war eine patriotische
Fahne. Wäre es Direktor Stender eingefallen zu sagen:
„Herr Leitner, ich dulde es nicht, daß sie halbbetrunken
ins Geschäft kommen", Leitner hätte nur zu sagen brau-
chen: „Herr Stender, wir hatten Parteiabend gestern."
Stender hätte abgewunken und gesagt: „Das ist etwas
anderes, Leitner."
Fräulein Bauer kicherte. Man wurde nicht gleich auf sie
aufmerksam, und so kicherte sie noch eine Zeitlang fort.
Schließlich legte sie betont eine Blechdose auf den Tisch:
„Raten Sie einmal, Herr Gellner, was sich darin be-
findet?"
Gellner wollte nach der Schachtel greifen, Fräulein
Bauer aber schrie: „Nicht anrühren!"
Nun wollte auch Leitner die Dose an sich nehmen.
„Wenn Sie sich nicht anständig aufführen, Herr Leitner,
gehe ich wieder", verwies sie ihn mit rasch gesammeltem
Ernste.
„Also was drin ist", meinte Leitner, „Schuhwichse,
natürlich."
„Nein."
„Ein Parteiabzeichen?" fragte Gellner.
„Nein, Herr Gellner, das noch nicht."
„Ein früher Maikäfer?" ließ sich Bender vernehmen.
„Ach Sie!" Fräulein Bauer nahm die Schachtel in die
Hand und sagte fast feierlich: „Es ist etwas Geschicht-
liches, was ich hier habe."
„Das ist mir zu dumm, das verstehe ich nicht", knurrte
Leitner, und zündete sich eine neue Zigarette an. „Ich
gebe es auf zu raten."
Gellner straffte sich: „Ein Bild des Führers?"
„Sie sind schon etwas näher dran "
Bender schrie: „Ein Zigarettenstummel von Hitler?"
„Der Führer raucht nicht", sagte Leitner mit Schärfe.
„Nein, der raucht nicht", pflichtete Gellner bei.
„Ich will es Ihnen zeigen", sagte Fräulein Bauer und
öffnete sehr vorsichtig die Schachtel.
Alle blickten verständnislos auf die offene Dose.
„Sand!"
„Ja, Sand. Aber, kein gewöhnlicher Sand. Auf diesem
Sand ist des Führers Fuß gestanden. Der Abdruck des
Absatzes war ganz deutlich sichtbar. Ich habe den Sand
sorgfältig aufgelesen und in diese Dose getan. Nun bin
ich in unmittelbarster Berührung mit dem Führer."
Bender brach in sehallendes Gelächter aus. Als er
schließlich wieder zur Ruhe gekommen war, sah er die
starren Gesichter von Gellner und Leitner unbeweglich
wie Masken auf sich gerichtet.
Fräulein Bauer schlug den Arm vor das Gesicht und ver-
ließ weinend das Zimmer.
„Herr Bender, ich muß Sie auf das Ungebührliche Ihres
Tuns aufmerksam machen", sagte Gellner, der SA-Mann,
die Linke am Koppelschlosse, mit der Rechten eine her-
abgefallene Führerlocke sich aus der Stirne streichend.
W. Dktl
M. Radler
Raum ist in der kleinsten Hütte . . .!
„Jeder Bewohner Bayerns hat das Recht auf
eine angemessene Wohnung."
(Artikel 86 des Bayerischen Verfassungsentwurfes)
SAMMLERLEIDENSCHAFT
Um des vorwegzunehmen — ich bin kein Sammler. Will
auch bei der drohenden Geldabschöpfung mein Barver-
mögen keineswegs in Briefmarken anlegen. Ich habe
aber auch nichts gegen Sammler, wenn es wirklich
welche sind. Man muß nur etwas Nachsicht mit ihnen
haben, sie sind nämlich alle ein wenig besessen, ganz
gleich, ob die Gegenstände ihrer Leidenschaft nun
Schmetterlinge, Briefmarken oder — alte Schlittschuhe
sind.
Sammler kann man sich leicht zu Feinden machen. Wie
ich vor einigen Tagen. Eine alte Freundschaft ist zerbro-
chen. Und das kam so:
Ich entdeckte da kürzlich, als ich gerade die Fächer einer
längst abgelegten Brieftasche durchsah, ein Postwertzei-
chen, gottlob nicht mehr gültig. Mit jenem markanten
Kopf darauf, der mich in den letzten Jahren dazu
zwang, beim Aufkleben dieser Marke voller Wollust mit
der Faust draufzuschlagcn. Mit wirklicher Wollust, ehr-
lich gesagt. Zu mehr hat mein passiver Widerstand
nämlich nicht gereicht.
Als ich kurz darauf meinem Freund die Marke mit dem
aus Bürstenbärtchen und in die Stirn fallenden Haaren
bestehenden Kopf zeigte und wieder einmal mit der
Faust draufschlug. fuhr er, wie von der Tarantel ge-
stochen, auf und schrie: „Bist du wahnsinnig?" — Ich
stutzte. Mein Freund war doch nie Nazi. Sollte er jetzt
etwa. . . Edelweiß oder Werwolf? — „Mensch, die
Marke hat doch Wert heute!" schrie er weiter.
Ich atmete auf, er war also nur Sammler. Er bat mich
inständig, ihm die Marke'doch zu geben. Er wollte sie
mir gut bezahlen, und bot eine Summe, die den frühe-
ren, aufgedruckten Wert um ein Vielfaches übertraf. Ich
gab sie aber nicht her. Eigentlich nur aus Widerspruchs-
geist. Und er schrie erst furchtbar, ging dann und knallte
die Türe zu, wutschnaubend.
Die Welt ist doch seltsam. Da redet man von Entnazifi-
zierung, keiner will es gewesen sein, in Nürnberg plag-
ten sich über ein Dutzend hoher Naziführer im Schweiße
ihres Angesichts, die Schuld auf jenen Mann mit dem
Bürstenbärtchen zu schieben, der mit ihrer Hilfe die
Welt ins Unglück gestürzt hat, — und trotzdem ist es
gewissen Leuten erlaubt, Hitlerbildern nachzujagen und
die hödisten Preise dafür zu bezahlen. Nur, weil sie
Briefmarkensammler sind. Es gibt da also etwas Ähn-
liches wie Narrenfreiheit, — so eine Art Sammlerfrei-
heit! ... W. Schwarze
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DER AUSSENSEITER
Fräulein Bauer, die flachbrüstige Sekretärin, war doch
noch zu einem Manne gekommen. Das Bild dieses Man-
nes stand in Silber gerahmt auf ihrem Schreibtische.
Manchmal war es von einer Blume geschmückt. Manch-
mal war es auch geküßt worden. Natürlich, wenn Fräu-
lein Bauer sich allein wußte. Wenn niemand im Zimmer
war, küßte sie das himmlische Bärtchen.
Seit einigen Tagen lächelte Fräulein Bauer nun auch wie
in stillem Glücke vor sich hin.
Und eines Morgens ging sie in die Registratur zu Gell-
ner. Bender sah einige Korrespondenzmappen durch.
Leitner saß auf dem Tisch, ließ die Beine baumeln und
rauchte eine Zigarette. Leitner roch nach Schnaps. Aber
die Fahne vor seinem Munde war eine patriotische
Fahne. Wäre es Direktor Stender eingefallen zu sagen:
„Herr Leitner, ich dulde es nicht, daß sie halbbetrunken
ins Geschäft kommen", Leitner hätte nur zu sagen brau-
chen: „Herr Stender, wir hatten Parteiabend gestern."
Stender hätte abgewunken und gesagt: „Das ist etwas
anderes, Leitner."
Fräulein Bauer kicherte. Man wurde nicht gleich auf sie
aufmerksam, und so kicherte sie noch eine Zeitlang fort.
Schließlich legte sie betont eine Blechdose auf den Tisch:
„Raten Sie einmal, Herr Gellner, was sich darin be-
findet?"
Gellner wollte nach der Schachtel greifen, Fräulein
Bauer aber schrie: „Nicht anrühren!"
Nun wollte auch Leitner die Dose an sich nehmen.
„Wenn Sie sich nicht anständig aufführen, Herr Leitner,
gehe ich wieder", verwies sie ihn mit rasch gesammeltem
Ernste.
„Also was drin ist", meinte Leitner, „Schuhwichse,
natürlich."
„Nein."
„Ein Parteiabzeichen?" fragte Gellner.
„Nein, Herr Gellner, das noch nicht."
„Ein früher Maikäfer?" ließ sich Bender vernehmen.
„Ach Sie!" Fräulein Bauer nahm die Schachtel in die
Hand und sagte fast feierlich: „Es ist etwas Geschicht-
liches, was ich hier habe."
„Das ist mir zu dumm, das verstehe ich nicht", knurrte
Leitner, und zündete sich eine neue Zigarette an. „Ich
gebe es auf zu raten."
Gellner straffte sich: „Ein Bild des Führers?"
„Sie sind schon etwas näher dran "
Bender schrie: „Ein Zigarettenstummel von Hitler?"
„Der Führer raucht nicht", sagte Leitner mit Schärfe.
„Nein, der raucht nicht", pflichtete Gellner bei.
„Ich will es Ihnen zeigen", sagte Fräulein Bauer und
öffnete sehr vorsichtig die Schachtel.
Alle blickten verständnislos auf die offene Dose.
„Sand!"
„Ja, Sand. Aber, kein gewöhnlicher Sand. Auf diesem
Sand ist des Führers Fuß gestanden. Der Abdruck des
Absatzes war ganz deutlich sichtbar. Ich habe den Sand
sorgfältig aufgelesen und in diese Dose getan. Nun bin
ich in unmittelbarster Berührung mit dem Führer."
Bender brach in sehallendes Gelächter aus. Als er
schließlich wieder zur Ruhe gekommen war, sah er die
starren Gesichter von Gellner und Leitner unbeweglich
wie Masken auf sich gerichtet.
Fräulein Bauer schlug den Arm vor das Gesicht und ver-
ließ weinend das Zimmer.
„Herr Bender, ich muß Sie auf das Ungebührliche Ihres
Tuns aufmerksam machen", sagte Gellner, der SA-Mann,
die Linke am Koppelschlosse, mit der Rechten eine her-
abgefallene Führerlocke sich aus der Stirne streichend.
W. Dktl
M. Radler
Raum ist in der kleinsten Hütte . . .!
„Jeder Bewohner Bayerns hat das Recht auf
eine angemessene Wohnung."
(Artikel 86 des Bayerischen Verfassungsentwurfes)
SAMMLERLEIDENSCHAFT
Um des vorwegzunehmen — ich bin kein Sammler. Will
auch bei der drohenden Geldabschöpfung mein Barver-
mögen keineswegs in Briefmarken anlegen. Ich habe
aber auch nichts gegen Sammler, wenn es wirklich
welche sind. Man muß nur etwas Nachsicht mit ihnen
haben, sie sind nämlich alle ein wenig besessen, ganz
gleich, ob die Gegenstände ihrer Leidenschaft nun
Schmetterlinge, Briefmarken oder — alte Schlittschuhe
sind.
Sammler kann man sich leicht zu Feinden machen. Wie
ich vor einigen Tagen. Eine alte Freundschaft ist zerbro-
chen. Und das kam so:
Ich entdeckte da kürzlich, als ich gerade die Fächer einer
längst abgelegten Brieftasche durchsah, ein Postwertzei-
chen, gottlob nicht mehr gültig. Mit jenem markanten
Kopf darauf, der mich in den letzten Jahren dazu
zwang, beim Aufkleben dieser Marke voller Wollust mit
der Faust draufzuschlagcn. Mit wirklicher Wollust, ehr-
lich gesagt. Zu mehr hat mein passiver Widerstand
nämlich nicht gereicht.
Als ich kurz darauf meinem Freund die Marke mit dem
aus Bürstenbärtchen und in die Stirn fallenden Haaren
bestehenden Kopf zeigte und wieder einmal mit der
Faust draufschlug. fuhr er, wie von der Tarantel ge-
stochen, auf und schrie: „Bist du wahnsinnig?" — Ich
stutzte. Mein Freund war doch nie Nazi. Sollte er jetzt
etwa. . . Edelweiß oder Werwolf? — „Mensch, die
Marke hat doch Wert heute!" schrie er weiter.
Ich atmete auf, er war also nur Sammler. Er bat mich
inständig, ihm die Marke'doch zu geben. Er wollte sie
mir gut bezahlen, und bot eine Summe, die den frühe-
ren, aufgedruckten Wert um ein Vielfaches übertraf. Ich
gab sie aber nicht her. Eigentlich nur aus Widerspruchs-
geist. Und er schrie erst furchtbar, ging dann und knallte
die Türe zu, wutschnaubend.
Die Welt ist doch seltsam. Da redet man von Entnazifi-
zierung, keiner will es gewesen sein, in Nürnberg plag-
ten sich über ein Dutzend hoher Naziführer im Schweiße
ihres Angesichts, die Schuld auf jenen Mann mit dem
Bürstenbärtchen zu schieben, der mit ihrer Hilfe die
Welt ins Unglück gestürzt hat, — und trotzdem ist es
gewissen Leuten erlaubt, Hitlerbildern nachzujagen und
die hödisten Preise dafür zu bezahlen. Nur, weil sie
Briefmarkensammler sind. Es gibt da also etwas Ähn-
liches wie Narrenfreiheit, — so eine Art Sammlerfrei-
heit! ... W. Schwarze
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Die Unentschädigten ..." "Raum ist in der kleinsten Hütte ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 11, S. 130.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg