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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0146
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oskar maria graf: MEIN ERSTER WIES'N-BESUCH

Ein Jabr nach meiner Firmung habe ich mit meinem zwei
Jahre älteren Bruder Lenz zum Oktoberfest nach München
fahren dürfen. Sechs Mark hat man uns mitgegeben,
jedem gehörten drei. Damit uns aber in der Stadt drinnen
nichts zustoßen konnte, sollten wir meinen Firmpaten,
den Roßkopf, aufsuchen. Der Geizhals aber hätte uns ja
doch nicht machen lassen, was wir wollten, darum haben
wir uns nach unserer Ankunft in München selber durch-
gefragt und sind auch glücklich auf die bunte, belebte
Festwiese gekommen. Der Lenz hat das ganze Geld ge-
habt. Zuerst haben wir uns Bratwürste gekauft, jeder
drei Paar. Ich habe noch mehr wollen, aber der Lenz
war dagegen.

,,Mit meinen drei Mark kann ich machen, was ich will!"
habe ich zu streiten angefangen, und wenn er meint, er
kann mit mir umgehen wie mit einem Lausbuben, dann
soll er mir mein Geld geben, dann geh' ich allein. Da ist
der Lenz grob geworden und hat gesagt, er muß auf mich
aufpassen, und wie er das macht, geht mich gar nichts an.
Mein Nörgeln hingegen hat ihm auch nicht gefallen, und
da ist er wieder freundlicher geworden.
Vor uns, auf dem Podium einer großen Zeltbude, hat es
furchtbar geläutet. Viele Leute sind zusammengelaufen,
und ein Herr im Smoking und einer zerschwitzten weißen
Hemdbrust, neben dein ein fetter, riesiger Neger und eine
ganz und gar verschleierte Dame gestanden ist, hat mit
seiher lauten, schmalzigen Stimme gerufen: „Einen Mo-
ment, meine Damen und Herren! Einen Augenblick, meine
Herrschaften! Kommen Sie zu uns! Die Vorstellung fängt
gleich an! . . . Hier sehen Sie die Wunder der Welt, die
größten Wunder der Menschheit! Hier — Bimbo, der
stärkste Mann der Welt! Läßt sich zwanzig Zentner auf
die Brust legen und stemmt sie elegant wie einen Gummi-
ball in die Höhe! Sie sehen das nur bei uns, mach' ich
Sie d'rauf aufmerksam! Die Gelegenheit kehrt nie wieder
für Sie! Bimbo, der Urwaldriese! Das Phänomenalste an
Kraft! Jongliert Riepengewichte und tanzt einen echten
Urwaldtanz! ... Ihr ganzes Leben lang werden Sie das
nicht mehr vergessen, meine Herrschaften!.. Und hier—"
er deutete dabei auf die verschleierte Dame — ,,hier Miß
Wahago, das Rätsel aus Arabien! Sieht in Ihre Zukunft.,.
In Nulikommafünf ist sie in einen hYpnotischen Starr-
krampf versetzt, verschlingt Nadeln wie Butterbrot, läßt
sich mit scharf geschliffenen Schwertern durchs Herz
stechen und mit glühenden Zangen zwicken und bleibt
vollkommen unempfindlich! .. . Anerkannte Spezialitäten,
weltberühmte ärztliche Kapazitäten — hier, bitte, das
Gutachten von Professor Brown aus New York! — be-
scheinigen das unerklärliche Wunder! . . . Wahago zeigt
Ihnen ihren blütenweißen Leib vor und nach der Hypnose.
Aber das ist noch nicht alles — Miß Wahago
ist die genialste Meisterin im Hellsehen und
Wahrsagen! Wollen Sie, meine Damen, Ihr
Schicksal wissen? Haben Sie, meine Herren, ein
wichtiges Geschäft vor? Haben Sie Pech gehabt
in der Liebe oder im Leben? Wollen Sie vor
einer Gefahr, die Sie nicht ahnen, gewarnt
werden? Kommen Sie, Herrschaften! Herein-
spaziert! Hereinspaziert! Miß Wahago denkt
für Sie, sieht Ihre Zukunft, beschützt Sie
und bringt Ihnen Glück! . . . Hereinspaziert,
meine Herrschaften, die Vorstellung beginnt
sofort! . . . Und was kostet Ihnen das alles?
Ein Vermögen? Nein! Nicht einen Wochenlohn,
nicht zehn Mark, nicht fünf, nicht eine Mark
kostet Ihnen diese wichtige Sache — Kopf für
Kopf zahlt zwanzig Pfennig! Zwanzig
deutsche Reichspfennig, meine Herrschaften . ."
Die Leute drängten sich ganz dick in das Zelt.
„Wart' ein bißl, i komm' gleich wieder
heraus", hat der Lenz zu mir gesagt und
ist, eh' ich richtig aufschauen hab' kön-
nen, verschwunden gewesen. Das hat
mich ganz giftig geärgert. Aber zu
machen war da auch nichts. Ich wollte
meinen Bruder nicht verlieren und bin
also stehen geblieben.
Es läßt sich denken, wie ich mit dem
Lenz gestritten habe, als er wieder her-
ausgekommen ist. Um mich zu versöh-
nen, ist er mit mir in das Riesenzelt von
der „Thomas-Brauerei" gegangen und
wir haben uns eine Maß Bier geholt.
Nach einiger Zeit haben wir auch einen
Platz unter den vielen Leuten an den
langen Tischen gefunden. Jeder von uns
hat getrunken, und dann haben wir neu-
gierig herumgeschaut. Auf einmal aber,
wie wir wieder trinken haben wollen, ist
unser Maßkrug weggewesen. Uns gegen-
über ist ein Mann gesessen mit ganz
glasigen Augen und hat uns angeschaut
wie ein Stier.

„Du", habe ich zum Lenz gesagt, „ich glaub', der hat
unseren Maßkrug! Zuvor hat er noch kein Bier gehabt,
jetzt auf einmal hat er eins." Der Lenz ist immer sehr
kuragiert gewesen, hat den Mann angeschaut und gesagt:
„Geben' Sie uns unseren Krug wieder! Wir wissen's schon,
daß Sie ihn gestohlen haben!"

„Was?" hat der Mensch geschrieen: „Was sagst du, du
Lausbub, du windiger? Was sagst'?"
„Unser Bier haben Sie uns gestohlen!" hat der Lenz noch
frecher gesagt. Da aber ist der Mann ganz wild geworden.
„Was, ihr Lausbuben! Das ist denn doch schon die
höhere Frechheit!" hat er aufstehend geplärrt und —
patsch — hat er herübergelangt und dem Lenz eine
Watschen gegeben: „Ueberhaupts gehören solche Kinder
gar nicht da herein! Macht's, daß ihr weiterkommt, sonst
hol' ich die Polizei!" Da sind wir auf und davon.
Als wir so im Weitergehen über den Dieb vom „Tho-
masbräu" geredet haben, ist von der Bude nebenan ein
sehr freundlicher Herr auf uns zugegangen und hat ge-
sagt: „Das sind aber einmal zwei nette junge Herren! . .
Wollen Sie sich nicht photographieren lassen?" Wir
sind so ein schönes Paar, hat er gemeint, daß es ein
wunderbares Bild gibt.

„Und gewiß vom Land, die Herren?" hat der Herr noch
einnehmender gesagt und erklärt: „So eine Photographie
ist ein ewiges Andenken, die Herren!" Er hat uns am
Arm gefaßt und in seine Bude geführt. Da ist ein wun-
derschönes, aus Holz geschnittenes Automobil gewesen
und eine Kulisse mit einer sonnigen Gebirgsstraße.
„Meine Herrn, vielleicht so?.. Flott vor dem Auto-
mobil?" hat der Herr uns angeboten: „Bitte... Jaja,
das macht sich großartig. . . Also wie meinen jetzt die
Herren? Das Bild können Sie gleich mitnehmen. Eine
Mark kostet eins. Ein unvergeßliches Andenken, sag' ich
Ihnen! Wieviel wünschen die Herren?"
„Zwei! Für jeden eins!" hat der Lenz gesagt. Der Herr
hat uns in die richtige Stellung gebracht und war sehr
schmeichelhaft. Der Lenz hat seinen einen Arm auf das
Automobil gelegt, und die andere Hand hat er mir ge-
geben. Dabei haben wir uns recht feierlich angeschaut.
„Sehr schön! Jetzt, bitte!" hat der Herr gesagt und ist zu
seinem Photographenapparat gelaufen, hat durchgeschaut
und hat wiederum alles recht ausgezeichnet befunden.
„Jetzt, bitte, einen Moment so bleiben, meine Herren.
Nicht rühren!" sagt er und hat geknipst. Währenddem
ist eine Dame hinter einem Vorhang hervorgekommen,
die war noch freundlicher.

„Grüß Gott, die flotten Herrn!" hat sie lächelnd ge-
sagt, und der Photograph, welcher eine Platte aus sei-
nem Apparat gezogen hat, meint: „So, bitte, meine

das rätsel

Herren! Numero eins ist fertig." — „Aber die Herren
lassen sich natürlich noch einmal aufnehmen!" hat die
Dame gesagt und gleich das Automobil weggeschoben:
„Die Herren machen gewiß öfter Gebirgspartien?"
„Nein", hat der Lenz gesagt: „Nein, wir sind vom
Bäcker Graf in Berg." „Soso, also sowieso vom Gebirg'?
Da machen wir ein besonders hübsches Bild", sagt die
Dame und hat uns vor die Kulisse mit der sonnigen
Bergstraße geführt. Ein Wegweiser ist dagewesen mit
der Aufschrift: „Zur Zugspitze".

Das hat uns sehr imponiert. Die Dame hat jedem von
uns einen Bergstock in die Hand gegeben und einen
grünen Hut mit Federn.

„Vielleicht so", hat uns die Dame belehrt: „Einer der
Herrn schwingt den Hut ein wenig. Und jetzt, ganz
zwanglos, meine Herren. Ein bißl lachen, der jüngere
Herr." Der Lenz hat ganz steif seinen Hut geschwungen
und das Maul aufgemacht, wie wenn er jodeln täte. Ich
habe wie gefroren gelacht, aber es ist mir nicht recht
gelungen,

„Danke! Daqke sehr, die Herren!" hat der Herr gesagt.
„Die Herren können sich jetzt bewegen. Die Bilder sind
gleich fertig." Wir haben aufgeschnauft und sind sehr
froh gewesen, daß alles so gut gegangen ist.
„Vier Bilder im ganzen, nicht wahr, die Herren?" fragt
uns die Dame. „Nein, bloß zwei! Von jedem eins!" hat
ihr. der Lenz widersprochen und gemeint, wir haben bloß
noch vier Mark, aber heimfahren müssen wir auch noch,
das kostet für uns zwei eine Mark vierzig.
Da aber hat der freundliche Herr auf einmal ein ganz
anderes Gesicht gemacht und ziemlich grob angefangen:
„Was? Ich hab' doch gesagt, das Bild kostet eine Mark!
Von jeder Aufnahme zwei Stück ist schon das mindeste!
Das gibts denn doch nicht! Bestellung ist Bestellung!"
Wir sind arg kleinlaut dagestanden und wiederum hat
der Lenz gesagt, so viel können wir nicht bezahlen, heim
müssen wir auch noch. Die Dame war auch wie ver-
wandelt und hat gekeift: „Sie haben doch gewußt, was
es kostet! Hm, einfach bodenlos! Frechheit!!" Wir sind
noch verdatterter geworden.

„Vier Bilder also, basta! Zwei Mark vierzig für alles!"
sagt da der Herr Photograph. Er und seine Dame sind
hinter einen Vorhang und haben uns warten lassen. Der
Lenz hat mir schon zugewispert, wir sollten einfach
davonlaufen, aber da ist der Herr schon mit einem
weißen Kuvert vor uns gestanden und hat barsch ge-
sagt: „Das Geld, bitte! So, und jetzt macht, daß ihr
weiterkommt, aber schleunigst!" Der Lenz hat bezahlt
und wir sind ganz beschämt und traurig aus der Bude
gegangen. Aber, hat der Lenz gemeint, abgehandelt haben
wir ihm doch etwas, dem groben Kerl. Neu-
gierig haben wir gleich die Bilder angeschaut.
Sie waren auf dünnen Blechplatten und sind
sehr dunkel gewesen, aber zu erkennen war es
schon: Wir vor dem Automobil und als lustige
Bergsteiger unter der Tafel „Zur Zugspitze".
„Da wird die Mutter schauen", hat sich der
Lenz getröstet: „Mein Lieber, so eine Photo-
graphie hat keiner im ganzen Dorf."
„Ja, jetzt haben wir aber auch kein Geld
mehr", sagte ich, und wiederum hat der Lenz
gesagt, wenn er nicht so gehandelt hätte, dann
schon, aber jetzt langt es gerade noch für
zwei Limonad' und für die Eisenbahnfahrt.
Das hat mich sehr verdrossen, denn einen
Kapselrevolver hätte ich noch sehr gerne
mögen. Wir haben wieder gestritten, haben
auch die zwei Limonad' getrunken und sind
nach langem Herumfragen endlich am Bahn-
hof angekommen. Im Zug haben wir die
Photographien wieder angeschaut, aber
da sind sie schon ganz schwarz gewesen
und man hat gar nichts mehr darauf
erkehnen können.

„Ich hätt' mich nicht photographieren
lassen!" habe ich gebenzt. Es ist eine
Zeitlang so hin und her gegangen zwi-
schen uns, und wahrscheinlich, weil er
doch ein schlechtes Gewissen gehabt hat,
ist der Lenz daraufgekommen und hat
mir erzählt, wie es bei der Miß Wahago
gewesen ist. Ganz glänzende Augen hat
er bekommen dabei, gemeint hat er, ich
darf es niemandem sagen, aber die Miß
Wahago hat sich fast ganz ausgezogen
in einem kleinen Verschlag, wo nur
Herren hineindürfen haben, und überall
war sie tätowiert, aber — das andere
hat man auch alles gesehen.
„Wenn wir wieder zum Oktoberfest fah-
ren, nimm ich dich auch mit hinein zu
der Wahago", hat er mir versprochen.
Das hat mich wieder versöhnt.

Fr. Bilek

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Rätsel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bilek, Franziska
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 12, 146.

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