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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0152
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r

EINE FÜHRUNG DURCH DIE

Meine Damen nnd Herren! Wir bitten um Ihre gefällige
Aufmerksamkeit, denn Sie bekommen heute eine Ausstellung
dei bayrischen Verfassungsentwurfes zu sehen. Wir befin-
den uns hier zunächst in der Deutschen Rcichschrenhalle.

Sie sieht noch recht nackt aus und nur dort auf der
weiß-blauen Fahne thront einsam der Art Ii

h Bayern ist ein Freistaat.

2. Die Landesfarben sind weiß und blau.

3. Das Landeswappen witd durch Gesetz bestimmt.

Das darunterliegende Wappen ist ein Entwurf, der je-
doch den Gegenstand ganz richtig zu treffen scheint.

Daneben finden Sie Art. 11 (4):

Die Selbstverwaltung in der Gemeinde dient dem
Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach
oben.

Um Ihnen diesen Aufbau etwas näher zu erklären, wol-
len Sie mir bitte durch diese Tür folgen.

Wir befinden uns nunmehr im sog. „Schwarzen Kabinett".

Wenn sich Ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben,
so wollen Sie sich bitte diesen altarähnlichcn Tisch an-
sehen. Die Gegenstände auf ihm und in diesem Raum
stellen diejenigen Artikel dar, die für die CSU und die
Kirchen bestimmt sind. Nehmen wir zunächst das
pompöse Prunkstück dort auf dem Samtkissen. Es ist
der Art. 131 (2), dessen Wortlaut der „Gartenlaube"
Jhrg. 1890 entnommen zu sein scheint:

Oberste Büdungszicls sind
Ehrfurcht votGott.Aclitung
vor religiöser Ueherzeu-
gung und vor der Würde
des AlenscJicii,

Selbstbeherrschung, Ver-
antwortungsgefühl und
Verantwortungsfreudigkeit,

Hilfsbereitschaft und Auf-
geschlossenheit für alles
Wahre, Gute und Schöne.

Wenn wir auch nicht erklären können, was der Name
des Höchsten in der Verfassung zu suchen hat, 60 ge-
bührt ihm wohl — auch im Zusammenhang mit Bildungs-
zielen — der erste Platz. Die wenigen Demokraten unter
den verehrten Herrschaften werden sich gewiß freuen, daß
die „Achtung vor der Würde des Menschen" noch an
dritter Stelle wenigstens Erwähnung findet.

Dieses etwas unbequeme Betpult ist das neue bayrisch-
demokratische Schulbankmodcll 1946 mit der Nummer
135 (1):

Die öffentlichen Volksschulen
sind Bekenntnis- oder Gemein-
schaftsschulen. Die Wahl der
Schulart steht den Erziehungs-
berechtigten frei. Gemeinschafts-
schulen sind jedoch nur an Orten
mit bekenntnismäßig gemischtet
Bevölkerung auf Antrag der Er-
ziehungsberechtigten zu errichten.

Zu einer Gemeinschaftsschule gehören also eine bekennt-
nismäßig gemischte Ortschaft und ein Antrag der Er-
ziehungsberechtigten, deren Zahl recht groß sein muß,
damit sich die Errichtung einer solchen Schule überhaupt
lohnt. Bleiben praktischerweise nur die Bekenntnisschulen
übrig.

Auch befindet sich an der Schulbank noch eine Hand-
schelle, Art. 127:

Das eigene Recht der Religionsgemeinschaften und
staatlich anerkannten weltanschaulichen Gemein-
schaften auf einen angemessenen Einfluß bei der
Erziehung der Kinder ihres Bekenntnisses oder
ihrer Weltanschauung wird unbeschadet des Er-
ziehungsrechtes der Eltern gewährleistet.

Das Tintenfaß trägt die schöne Auf-
schrift Art. 107 (1):

Die Glaubens- und Gewissensfrei-
heit ist gewährleistet.

Es handelt sich hier offenbar um ein Versehen, es sei
denn, der Schüler würde nicht unbedingt in dem Glauben
seiner Bekenntnisschule erzogen.

Die verrostete Maschine dort an der Wand stammt aus
der Zeit der Inquisition und wurde unter Nr. 144 (2)
nachträglich in die Verfassung mit aufgenommen:

Jede öffentliche Verächtlichmachung der Religion,
ihrer Einrichtungen, der Geistlichen und Ordens-
leute in ihrer Eigenschaft ah Reügionsdiener ist
veibotcn und strafbar.

Um alle demokratischen Bedenken des Publikums zu
zerstreuen, hoffen wir, daß dieser Artikel für Geistliche
und Ordensleutc in ihrer Eigenschaft als Mensch oder
Politiker nidit zutreffen muß.

Durch diese offene Verbindungstür kommen wir direkt
zu dem Raum, der den Denkwürdigkeiten des Landtages ge-
widmet ist. Dort am Hauptportal finden Sie Art. 22 (2):

Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhand-
lungen in den öffentlichen Sitzungen des Land-
tages oder seiner Ausschüsse bleiben von jeder
Verantwortlichkeit frei, es sei denn, daß es
sich um Wiedergabe von Ehrver-
letzungen handelt.

Der normale Text entspricht dem der Weimarer Ver-
fassung für den Reichstag. Die gesperrt gedruckten Sätze
sind bayrische „Zuwaag". Der Zusatz verlangt nichts
weniger als daß die Oeffentlichkeit von der wohlmöglich
„schmutzigen Wäsche" irgendeines Landtagsabgeordneten
nichts erfährt, um ihn das nä^hstemal wieder zu wählen.
(Es wäre auch undemokratisch!)

Der Artikel dort auf dem Abgcord-
netensessel trägt die Nr. 27:

Kein Mitglied des Landtags darf zu
irgendeiner Zeit wegen seiner Ab-
stimmung gctidiilich oder dienstlich
verfolgt oder sonst außerhalb der
Versammlung zur Verantwortung ge-
zogen werden.

i

Er stellt die Verstümmelung des Weimarer Art. 36 dar.
Die Amputation erfolgte hinter „Abstimmung", wo es
weiter hieß: „...oder wegen der in Ausübung seines
Berufes getanen Acußerungcn." Diese Operation scheint
notwendig gewesen zu sein, um sich noch eine Handhabe
gegen unbequeme Landtagsmitglicdcr zu bewahren. Eine
allerdings nur ähnliche Möglichkeit eröffnet der Art. 28 (3):

Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied des Land-
tages und jede Haft oder sonstige Beschränkung
seiner persönlichen Freiheit wird auf Verlangen
des Landtages für die Dauer der Tagung aufge-
hoben. Ein solches Verlangen kann jedoch nidit
gestellt - werden, wenn der Abgeordnete eines un-
politischen Verbrechens bezichtigt wird. Ob dieser
Fall vorliegt, entscheidet der Landtag.

Diese nette Einschränkung erlaubt, ein Verbrechen als
„politisch" oder „unpolitisch" abzustempeln, je nachdem
um welches Mitglied es sich handelt. Die verehrten Herr-
schaften werden zugeben müssen, daß diese Acnderungen
ebenso praktisch wie weise sind. — Und nun darf ich
Sie durch diese Tür bitten.

152
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine Führung durch die Bayerische Verfassung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Der Simpl, 1.1946, Nr. 13, S. 152.

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