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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0162
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POLITIK

AUS DEM „BAYERISCHEN LESEBÜCHERL" VON OSKAR MARIA GRAF

l

1918, beim Ausbruch der Revolution, war bei uns in
Atzelsberg der Schmauseder Bürgermeister, heute ist's
der Neriinger. Im Grunde genommen ist das ganz gleich-
gültig, wer und wann einer bei uns der Gemeindevorstand
ist. So ein Amt läuft für den, der es laut Wahl über-
nommen hat, meistenteils nur so nebenher und die Tätig-
keit bleibt immer dieselbe. Das übliche ministerielle
Verordnungsblatt für die Landgemeinden liest man nicht
und die Zuschriften vom Bezirksamt hängt man in den
Gemeindekasten. 1918 stand unter den Schriftstücken,
die da aushingen, der Name Schmauseders, heute steht
„Ncrlinger Christian, Bürgermeister" darunter. Und da-
neben prangt der blaue Gemeindestempel. Das ist alles.
Hineinschauen in den Gemeindekasten, das tut höchsten-
falls einmal ein Fremder.

Aber nicht, daß man etwa glaubt, bei uns habe man
kein Interesse für Politik! Das ist unrichtig.
1918 zum Beispiel, nachdem die ersten Zeitungsbotschaf-
ten von der Revolution aus der Stadt kamen, saßen der
Loringer, der Rengcrlhammer, der Schmauseder und der
Neriinger einmal in der Postwirtschaft vom Simon Reb-_
lcchr.er beisammen und redeten allerhand.
,,Jctz hobn s' ünsern König aa zum Teifi g'haut....
Jetz hobn ma Revalution," leitete der Loringer gewisser-
maßen dje Debatte ein.

,,Is' aa scho hübsch oit (alt) g'wen . . . Hätt's a so nimma
lang g'macht," meinte der Neriinger in Bezug auf den
König.

,,Jaja. .. jetz hobn ma Revalution .... Revalution,
hot er g'sogt," murmelte der Rengerlhammer mechanisch.
,,Is a so nimma zum Saufa g'wen, dös Saubier. . . .",
brummte der Loringer und schüttelte nachdenklich seinen
Maßkrug.

„Mit. dö Preiß'n soit er si hoit net eiloss'n hobn, ünsa
König," warf der Schmauseder hin.
„Do is bloß d'Königin schuid g'wen .... Dö hot so-
wiaso d'Hos'n o'ghabt," ließ sich der Reblechncr ver-
nehmen.

„Ja mei! .... Wos wuist aa mit dö Weiba o'fanga . . .!"

meinte der Loringer. „Host as 3moi, na hobn's aa überoi

d'Votz'n drinn'. . . ."

,.Eb'n . .. .," murmelten die anderen.

„Herrgott, den Lohn vom König .. . .? Wer den jetz

kriagt ....?" sagte der Rengerlhammer und man sah

ihm an, daß er darüber nachdachte.

„Den? Den tuat si scho oana richti auf d'Seit'n...
Mir sehng ja do nix davo . ... " erwiderte der Neriinger
und alle nickten.

„Mit lautern Politisiern und mit lautern Politisiern hobn
si si jetz z'kriagt," sagte der Wirt.
„Woaß der Teifi, wos jetz nacha dö nei'n Herrn wieda
für Muck'n hobn," warf der Schmauseder hin.

„Uns konn's ja gleich bleib'n ..... aba dö Sauwirt-

schaft derf scho amoi aufhör'n!" brummte der Loringer.
„Richti ausramma soit ma hoit," hinwiederum der Wirt.
„Mannsbuida g'hörn her," rief der Rengerlhammer.
„Do Streiterei muaß aufhör'n! .... Richti ncig'haut

•g'hörert....." räsonierte der Schmauseder.

„Uns konn's ja gleich blcibn .. . Mir hobn ja doch
nix davo' . . .." schloß der Loringer. — — —
Am andern Tag kamen vom Bezirksamt die großlettc-
rigen Aufrufe der Eisner-Regierung. Wie immer hing sie
der Schmauseder, gestempelt und unterschrieben, in den
Gtmcindekasten....

II.

1923, nach dem Hitler-Putsch. Ein Gespräch zwischen
dem Kurbel" Christian, der eben aus der Stadt gekom-
men ist, dem derzeitigen Bürgermeister Neriinger, dem
Loringer und dem Ring Silvan vor Neriingers Haus.
Es entwickelt sich folgender Diskurs:
Kurbel bleibt stehen, lächelt: „Der Spitakel a da Stodt
drinn' wieda!"

„Macha's scho wieda amoi a Revalution?"
Kurbel: „Und d ö Haufa Leid (Leute) auf da Straß'n . . .!"
„Geb'n koa Ruah, dö damisch'n Hund', dö damisch'n . .!"
Kurbel wiederum: „D'Jud'n wuin's naushaun und an
König mächtn's wieda... Du kimmst direkt net von
Fleck drinna, sovui Leid san's."

Der Loringer stereotyp: „Mit lautern Politisiern und
mit lautern Politisiern z'kriagn's si' si' oiwai wieda . ."
Kurbel: „Grod ois wia auf da Oktobawies'n gehts zua
drinna ... A so an Haufa Leid, ha! A so an Haufa. .!"
Nerlingcr: „Ja, no! Dös loßt si' denka ... Dö Prinz'n
und dö früahran Minista, dö mächt'n hoit eahnane oit'n
Stell'n wieda."

Kurbel abermals: „Thm! Direkt d'Trambahn konn nimma
fahr'n

„Ausg'raamt g'härert richtig, nacha waar glei a Ruah!"
Kurbel: „Und dös G'schroa in oan fürt."
„Ja no, z'toan hobn's hoit den ganz'n Tog nix und do
foin (fallen) cahna na dö saudumma G'schicht'n ei'. . ."
Alle: „Eb'n, eb'n ..." Sie nicken und schauen einige
Augenblicke in die Luft.

Der-Loringer: „Mir hob'n d'Jud'n seiner Lebtog no nix

to ____"

Neriinger: „Ja no, es san hoit Jud'n."

„Der Saustoi muaß aufhör'n!" der Silvan.

Kurbel: „Ja also dö Leid! Dö Haufa Leid!"

Der Silvan: „D'Jud'n und an Hitla und an Ludendorff

und dö ganz Bagaych soit ma zun Teifi hau'n! Na waar's

glei aus ....!"

Eine kleine Pause. Alle schnupfen.

Der Ncrlinger nach einer Weile: „Soso! ... Na macha's
jetz wieda Revalution ....?"

K. H. Böcher

Aus Art. 96: ,,. .. Der Beamte hat sich jederzeit zum demokratisch-konstitutionellen Staat zu
bekennen und zu ihm innerhalb und außerhalb des Dienstes zu stehen."

„Uns geht's ja nix o' . . . Wcr'n scho wieda aufhör'n,
dö narrisch'n Hengl, dö narrisch'n."
Der Kurbel schüttelt in einem fort nachdenklich den
Kopf: „Hm, ma mächt's net glaabn, wos a so a Stodt
für an Haufa Leid faßt ... Hm-hm, direkt aus is's mit
aran soichan Haufa ....."

WAHLBEGEBENHEITEN VON EINST

Gestern traf ich meine Milchfrau. Ein äußerst interes-
siertes Weiberl ist sie. Wir kommen auf die Politik und
selbstverständlich auf die erst kürzlich stattgefuhdene
Landtagswahl zu sprechen.

„No, wos habcn's denn nachher g'wählt, Frau Bichler,
hm? .,. Etwa gar. an Sozi?" frag- ich neugierig.
Und gemütlich erzählt mir die Milchfrau: „Ja — Sie,
i woaß 's fei gar net, wos i eigentlich g'wählt hob' . ..
An Wahltag js d' Frau Helmersberger und d' Zcnzl vom
G'müasg'schäft dog'wesn und hobn mir a Kuvertl gebn
und nachher san mir alle drei ins Wahllokal 'numg'laffa
und do hob' i mei Kuvertl hergebn ... I kunnt's Eahna
wirkli' net sog'n, wos i eigcntli' g'wählt hob'..."
*

Die Efingerfanny, aus Rheinmoos gebürtig, hat noch nie
nichts mit dem Gericht und der Politik zu tun gehabt.
Sie ist jetzt das zwölfte Jahr bei der Frau Apotheker
Heinrieder an der Ecke Leopold- und Georgcnstraße im
Dienst. Jeden Tag geht sie in die Frühmesse und da
haben die Weiber zu ihr gesagt: „Fanny, diesmal müs-
sen S' fein zur Wahl gehen, ganz gewiß." Die Fanny
wär nicht hin, aber die Frau Apotheker Heinrieder hat
es ihr auch gesagt, daß das heuer Pflicht ist. Die Fanny
ging zum Wahllokal und da bestürmten sie die ver-
schiedenen Zettelausteiler. Jeder steckte ihr einen Zet-
tel zu. Ganz und gar verwirrt wurde die Fanny und
fragte jedesmal: „Ja — ja — —? Nachher soll ich
also den auch noch abgcb'n, meinen S'. ..?" und der
Mensch da sagte also drauf: „Ja, den ..."
Jeden Zettel nahm die Fanny. Sie ging ins Lokal und
kam heraus.

„Na, was haben S' denn jetzt gewählt, hm?" fragte sie
der vorlaute Sozi gleich vorne an.^
„Ja — g'wählt? ... Ja, der Herr hot mir an Zettel
gebn und der da hinten und der dortige auch und dös
Fräulein da und Sie.... und dö hab ich halt alle ab-
geben drinnen", antwortete die Fanny schlicht darauf.
Sie war immer eine friedfertige Person, die ganzen
Jahre, die Fanny. „Wer jedem etwas gibt, macht es
[edem recht" — konnte sie denn anders handeln als
bayrisches Landeskind, dem wo der Frieden über alles geht.

VON UNGEFÄHR

In einer Zeit der „Notunterkünfte, des Nahrungsersatzcs,
der Bchelfsartikcl" etc. muß ein Verfassungsentwurf weder
von erster Qualität, noch endgültig sein.

*

Die Forderung an den Staat, auf die hauptsächlichsten
Steuern zu verzichten, könnte dort kaum mehr Lärm ver-
ursachen, als im Augenblick um die Verleihung der ein-
fachsten Menschenrechte bereits herrscht.

*

Verfassungen sollen dem Schutze des Volkes dienen.
Eine Verfassimg, die nicht aus dem Volke kommt, erweckt
leicht den Eindruck, als diene sie vor allem zum Schutze
des Staates. „,

So wie <äie Dinge liegen, könnte die Bürokratie mit unter
die Religionsgemeinschaften gezählt werden.

*

Das Volk tut seinen Willen kund. Das einzige, was es
da heute kund tun kann, wird von den Parteien gratis
oder gegen niedere Gebühr verliehen.

FREIHEIT, DIE ICH MEINE...

Art. 10 1.

Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der
Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was anderen
nicht schadet.

Warum nicht gleich:

Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der
Gesetze, der guten Sitten, der Ehrfurcht vor religiösen
Einrichtungen, der' Toleranz der Bürokratie und der Richt-
linien der Parteien alles zu tun, was anderen nicht scha-
det, das Ansehen der Regierung nicht untergräbt und dem
Mitmenschen weder Geld kostet, noch ihn beleidigt. !ib-

Verlag „DER SIMPL" (Freitag-Verlag), München 23. Werneck-
straße 15a — Verantwortlicher Hauptschriftleiter: Willi Ernst
Freitag, Stellv.: J. Gutbrod — Schriftleitung: München 23,
Wernecl;straße 15a, Fernruf 36 20 72 — Sprechstunden: Dienstag
und Donnerstag jeweils von 9 bis 12 Uhr — Druck: Süddeutscher
Verlag, München 2, Sendlinger Straße 80 — Copyright by Freitag-
Verlag 1946 — Published under Military Government Information
Control License No. US-E-148.

1G2
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Aus Art. 96"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Aus Art. 96: ,,. .. Der Beamte hat sich jederzeit zum demokratisch-konstitutionellen Staat zu bekennen und zu ihm innerhalb und außerhalb des Dienstes zu stehen.""

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Böcher, K. H.
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

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Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 13, S. 162.
 
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