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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0166
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BÖSE GEISTER

M. v. Gosen

S WENN DIE GÖTTER MÜDE WERDEN . . .

Wer heute in unserem gußeisernen Zeitalter noch zu phi-
losophieren wagt, ist ein Narr. Da aber die einst gött-
liche Schöpfung den Charakter eines Narrenhauses an-
nimmt, sei es dennoch gewagt, über einigen Gedanken-
gängen zu brüten, die ein resignierter Gott heute emp-
finden könnte. Es zeigt sich nämlich immer mehr, daß
sieben Tage Schöpfung zu wenig waren — es fehlt an
allen Ecken und Enden! Andrerseits hätte die Schöpfung
beim Saurier aufhören müssen. Der Mensch, dieser Erz-
narr, war Gottes größte Niete!

Geistig ein fossiler Saurier geblieben, raubt, mordet und
plündert er nun an die fünftausend Jahre. Die delphi-
schen Tempelworte: „Erkenne dich selbst!" waren völlig
umsonst, wie jedes leise, zum Geist geflüsterte Wort. Mit
Tempelsprüchen ist nichts mehr zu machen. Darum hat
Bert Brecht dem zwanzigsten Jahrhundert seinen Drei-
groschen-Song gewidmet: „Zuerst kommt das Fressen,
dann die Moral!" In dieser moralisch unterernährten
Weltsekunde leben wir augenblicklich.

Nun blicken also die Götter an einem freien Samstag-
nachmittag manchmal belämmert auf diese ihre Schöp-
fung hernieder. Aber sie wären keine Götter, wenn sie
nicht doch immer wieder einen letzten Versuch riskieren
würden. Sie wenden sich bisweilen an den nur noch ru-
dimentär vorhandenen Geistfunken, an den „gesunden
Menschenverstand". Sie versuchen es, wie eingangs er-
wähnt, mit Philosophie.

Mit der Philosophie des Abstandnehmens (aus der welt-
weiten Sicht der Götter — „par distance" zu leben!)
vom Ichwahn, vom Massenwahn, vom Nationalitäten-
wahn, vom Rassenwahn, vom geistigen Zonenwahn ■—
kurz: Sie appellieren noch ein letztes Mal an die ge-
wissen Imponderabilien, die den Menschen vom Raub-
tier unterscheiden.

Beim Zeus! — Es wäre mit dieser Philosophie noch
etwas anzufangen! Aber sie hat einen Haken: Der
Mensch kann nicht mehr denken — wenigstens nicht
mehr selbständig. Er denkt nur noch genormt, kollektiv,
autoritär gesteuert. Und die politischen Steuermänner
können diese göttliche Philosophie nicht gebrauchen für
ihre Zwecke . . . Daran krankt es!

Die Götter überlegen hin und her. Her und hin. Es gäbe
drei Möglichkeiten:

a) Den Menschen das Hirn wieder zu nehmen, denn
diese amorphe Teigware erwies sich im Laufe der
Jahrtausende nicht nur als völlig überflüssig, ja sogar
als höchst schädlich! Freilich, diese Methode der kul-
turpolitischen Genesung wäre atavistisch. Die Götter
aber sind für Fortschritt.

b) Den Menschen zwar das Hirn zu belassen, es aber
auf einen Kollektivbrei abzustempeln. Das wäre das
Zeitalter des Kollektivismus, des Massendenkens, des
Massenmenschen. Es gäbe keine besonderen Höhen

und Tiefen mehr, es gäbe nur noch Tiefen. Darin ver-
sackte allmählich das Denken und liefe sich tot. Sobald
einer aus der Reihe tanzt, wird er von seinen Artgenossen
erschlagen. Also Liquidation des Geistes. Die Götter kön-
nen davon Abstand nehmen, denn in dieser Hirnein-
schmelzungsperiode sind wir mitten drin. Die Inder nennen
es „Kali Yuga" : Eisernes Zeitalter (im Hinblick auf die
gußeisernen Schädel, die eisernen Entschlossenheiten usw.).
Es dauert 25000 Jahre. 1946 Jahre sind schon vorüber!

c) Letzte Möglichkeit: Eine neue Rasse zu schaffen: Den
Menschen ohne Hirn oder den animalischen Robot. Ein-
geweihte nennen es das „Goldene Zeitalter". Mit Recht.
Denn es gibt dann keine Erfinder mehr, keine Politiker,
keine Parteien, keinen Sicherheitsrat, keine Kennkarten,
Registrierungen, Fingerabdrücke. Volkszählungen, Natio-
nalitäten samt Hymnen, keine Fragebögen — nur mehr
grasende Geschöpfe Gottes. Dies wäre in der Tat der
menschliche J dealzustand nach den Erfahrungen von ca.
5000 Jahren Menschheitsgeschichte.

WANN?

Die ivir dem freien

Atem allein und nur dem Frieden

verschworen sind und feind

sind allen Raffern, allen Schleichern

und aller Schreier und Zerstörer Treiben,

so breit sie sich auch Helden nennen:

O Dank, o Zuflucht, daß es uns beschieden

ivar, in den ungeheuren Reihen

der Hingemordeten nicht hingestreckt

zu sein. O Leben, laß uns recht erkennen
die hohe Pflicht, zu bleiben,
wie wir tvaren und nie versöhnt
mit denen, die sich dreist bereichern,

solang ein Herz noch weint

schuldlos im Elend. Horcht: Es tönt

vom grünen Tisch die Maske Menschlichkeit

so gierig hohl, so sternenschlafeweit. —

Wann, Menschheit, endlich wann bist <lu

erweckt ? Hans Leip

Noch haben sich die Götter nicht entschieden. Sie über-
legen weiter hin und her. Her und hin. Und immer wie-
der fällt ihr grübelnder Blick durch die interplanetaren
Zonen über Milchstraßensysteme und geistige Nebel-
zentren hinweg auf jene rotierende göttliche Spucke im
Weltall, die sich größenwahnsinnig Erdball nennt. Die
Läuse, die darauf herumkrabbeln, sind nämlich jetzt so
weit entwickelt, daß sie allmählich anfangen, Gott zu
lästern! Dieses Stadium ist nun kritisch.
Gott möchte einmal herzhaft fluchen. Er darf nicht.
Denn jeder Gedanke Gottes ist schöpferisch. Ein ein-
ziges Mal — anno 1933 — entfloh ihm der Seufzer:
„Verdammte Idioten!" Das Ergebnis sehen wir heute . . .
Diese totalitären Läuse also haben sich mittlerweile —
während Gott einmal anderweitig im Weltall zu tun
hatte — vom Neandertaler zum Bikinimenschen ent-
wickelt, technisch gesprochen. Moralisch betrachtet ver-
läuft die Entwicklungslinie vom Feigenblatt zum Peni-
cillin. Geistig genommen — naja, Schwamm darüber —
man müßte ordinär werden.

Der gebißfletschende Neandertaler war noch roh, unge-
schlacht. Der Bikinimensch schlägt nicht mehr mit der
Steinaxt Schädel ein — er vergast, hungert aus, atomi-
siert gleich ganze Provinzen. Unter den Millionen Um-
gelegten und Zerstäubten werden sich dann die zwei bis
drei Drahtzieher schon befinden. Dies also ist ein wahr-
hafter Fortschritt. Die Götter beugen sich ohnmächtig
(denn Fortschritten gegenüber sind auch die Götter
machtlos!).

Amor zum Beispiel, der kleine antike Drüsenjäger, muß
heute nicht nur Pfeile in seinem Köcher mitschleppen,
sondern auch Penicillinpackungen!

Aphrodite ist entsetzt über die Fünfzehnjährigen, die
wohl Kinder, aber keine Mütter und noch weniger Väter
für ihre Kinder haben.

Zeus' Gedonner klingt kläglich wie ein mar. er Hühner-
furz. Wackelt doch schon der halbe Olymp, wenn die
Läuse da unten wieder einmal Krieg spielen.
Gar nicht zu reden von Neptun, dem neulich Schuppen,
Schwanz und Dreizack beim Bikiniatoll in die Strato-
sphäre flogen.

Circe, genannt „Blondie", verkauft ihre schal geworde-
nen Reize nur noch gegen '„Camel", Kaffeebohnen oder
Schokolade.

Merkur, zum Gott der Fragebogenfälscher herabgesun-
ken, handelt jetzt am Schwarzmarkt. Es ist ein Verfall
auf der ganzen Linie. „Wie oben, so unten" — oder soll
es heißen: „Wie unten, so oben"?!

Das einzige, was die Götter noch freut, ist die Verblen-
dung der Bikinicr, dieser Narren im Geiste. Da kitzeln
zum Beispiel diese wild gewordenen Läuse den kalten,
bleichen Mann im Mond und die gleißende Venus mit
Radarstrahlen — welch technischer Fortschritt! Dabei
haben sie anderswo keine Hosenknöpfe, keinen Nagel,

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Böse Geister"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Gosen, Markus von
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Universitätsbibliothek Heidelberg
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Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 14, S. 166.
 
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