keine Zündhölzer und Schuhbänder. Da knallen sie ein
Südseeatoll in den Himmel und sägen dabei schweiß-
triefend vor Angst den letzten Ast ab, auf dem sie alle
hocken. Da reden die einen von Verbrüderung, von Hu-
manität, Pazifismus, Demokratie — die andern teilen
die Erdkruste in Zonen, riegeln die Grenzen ab, hacken
einander wie Geier die Augen aus. Es gibt Worte voller
Sphärenmusik wie Bruderschaft, Volksgemeinschaft, ge-
meinsame Interessen der Arbeitenden, SED — aber ia
ihren geifernden Gesichtern glüht Fanatismus, Bruder-
mord. Sie marschieren, appellieren an den Verstand, den
sie längst verloren — einer gegen alle, alle gegen einen,
alle gegen alle. Ihre Parteien sind getarnte Schädelzer-
trümmerungs-Organisationen, und — falls die Militär-
polizei einmal Brotzeit macht — spielen sie sogleich Bür-
gerkrieg. Die einen brüllen „Nieder mit den Waffen!",
die anderen rufen auf zum Bürgerkrieg. Es wird auf-
und abgerüstet und immer mehr verwandeln die Läuse
ihren Erdball in eine einzige, riesenhafte Wurfbude.
Auch sonst feiert die Vernunft Orgien. Einst verhökerte
Columbus europäischen Kulturschutt und Glasperlen an
die Farbigen. Heute staunen die Neger über afrikani-
schen Bockmist und Glasperlen in den Schaufenstern
mitteleuropäischer Kunstgewerbeläden. Es gibt noch
immer keine Menschen, sondern Braune, Rote, Schwarze,
Gesprenkelte, Parteilose. Mitläufer, Davonläufer, auf-
rechte Denunzianten, heldische Feiglinge, belastete Ent-
lastete, schwarzhandelnde Seelenverkäufer, prostituierte
Jungfrauen, brotlose Pazifisten, amtlich angestellte Mili-
taristen — es gibt Kellerbewohner und Ruinenratten,
12-Zimmerwohnungen ohne Flüchtlinge, beschlagnahmte
Hundehütten, Lebensmittelgroßhändler mit Villen (Bau-
jahr 46), Packpapierzigarren zu 3,50, Exporthäuser und
dem Verkauf ausweichende „Ausweichlager", Schau-
felnde und Schiebende, Ramschläden, studierende
Schlipsträger und vom Schlips Befreite. Einige brüllen
Hoch, Heil, Nieder, andere schreiben anonym, es gibt
Belastete, Entlastete und neuerdings Belastete, Rehabi-
litierte, Resignierte und zu endlosem Kotzen Ange-
widerte.
Wer möchte sich da noch wundern, wenn selbst die Göt-
ter müde werden ob diesem, bis zu ihrem Himmel hin-
aufstinkenden kulturellen Schutthaufen?! Mehr und
mehr sehen sie die Hoffnungslosigkeit, diesen modernen
„Bikini"-Menschen wieder auf die kulturelle Höhe des
Neandertalers zurückzuführen.
So bleibt ihnen denn nichts anderes zu ihrer kosmischen
Entlastung übrig, als den Bikiniern auf dem Erdball
jenes befreiende bayerische Zitat zuzubrüllen, das schon
dem letzten irdischen Berlichinger bis in die Seele hinein
wohl tat:
____11"
>) • •
Was in den kommenden Jahrzehnten aus uns wird, wenn
die Götter so müde sind, kann sich jeder selber aus-
malen!! .. . H.A. Löhlein
Interzonenhandel
Sie kam mir etwas gedrückt vor, etwas geziert, unfrei.
„Na, wie geht's denn Ihrer Tochter, der Elli?" frage ich
sie schließlich.
,.Och, ganz gut."
„Wo ist sie denn jetzt?"
„Och, in Berlin."
„In Berlin? Was macht sie denn da?"
„Och, ist mit einem Ausländer durchgebrannt."
„Mit einem Ausländer durchgebrannt? Ja, und die bela-
den Kinder?"
„Och, hatse zurückgelassen."
„Hatse zurückgelassen? Was sagt denn der Elli ihr
Mann dazu?"
„Och, Mäxchen? Mäxchen meinte zu mir: Ich fahre jetzt
nach Berlin, und in spätestens drei Tagen hab' ichse zur
Räsong gebracht!"
„Ja, hat er denn eine Einreise-Erlaubnis bekommen?"
„Och nö, über die grüne Grenze natürlich."
„Das ist ja furchtbar spannend! Und wie ging's denn
weiter? Hat er die Elli zurückgebracht?"
„Och, die Elli hatem 'n paar Päckchen Ami-Zigaretten
geschenkt und dann hater ihr gedroht: In sechs Wochen
komm' ich wieder!"
168
Südseeatoll in den Himmel und sägen dabei schweiß-
triefend vor Angst den letzten Ast ab, auf dem sie alle
hocken. Da reden die einen von Verbrüderung, von Hu-
manität, Pazifismus, Demokratie — die andern teilen
die Erdkruste in Zonen, riegeln die Grenzen ab, hacken
einander wie Geier die Augen aus. Es gibt Worte voller
Sphärenmusik wie Bruderschaft, Volksgemeinschaft, ge-
meinsame Interessen der Arbeitenden, SED — aber ia
ihren geifernden Gesichtern glüht Fanatismus, Bruder-
mord. Sie marschieren, appellieren an den Verstand, den
sie längst verloren — einer gegen alle, alle gegen einen,
alle gegen alle. Ihre Parteien sind getarnte Schädelzer-
trümmerungs-Organisationen, und — falls die Militär-
polizei einmal Brotzeit macht — spielen sie sogleich Bür-
gerkrieg. Die einen brüllen „Nieder mit den Waffen!",
die anderen rufen auf zum Bürgerkrieg. Es wird auf-
und abgerüstet und immer mehr verwandeln die Läuse
ihren Erdball in eine einzige, riesenhafte Wurfbude.
Auch sonst feiert die Vernunft Orgien. Einst verhökerte
Columbus europäischen Kulturschutt und Glasperlen an
die Farbigen. Heute staunen die Neger über afrikani-
schen Bockmist und Glasperlen in den Schaufenstern
mitteleuropäischer Kunstgewerbeläden. Es gibt noch
immer keine Menschen, sondern Braune, Rote, Schwarze,
Gesprenkelte, Parteilose. Mitläufer, Davonläufer, auf-
rechte Denunzianten, heldische Feiglinge, belastete Ent-
lastete, schwarzhandelnde Seelenverkäufer, prostituierte
Jungfrauen, brotlose Pazifisten, amtlich angestellte Mili-
taristen — es gibt Kellerbewohner und Ruinenratten,
12-Zimmerwohnungen ohne Flüchtlinge, beschlagnahmte
Hundehütten, Lebensmittelgroßhändler mit Villen (Bau-
jahr 46), Packpapierzigarren zu 3,50, Exporthäuser und
dem Verkauf ausweichende „Ausweichlager", Schau-
felnde und Schiebende, Ramschläden, studierende
Schlipsträger und vom Schlips Befreite. Einige brüllen
Hoch, Heil, Nieder, andere schreiben anonym, es gibt
Belastete, Entlastete und neuerdings Belastete, Rehabi-
litierte, Resignierte und zu endlosem Kotzen Ange-
widerte.
Wer möchte sich da noch wundern, wenn selbst die Göt-
ter müde werden ob diesem, bis zu ihrem Himmel hin-
aufstinkenden kulturellen Schutthaufen?! Mehr und
mehr sehen sie die Hoffnungslosigkeit, diesen modernen
„Bikini"-Menschen wieder auf die kulturelle Höhe des
Neandertalers zurückzuführen.
So bleibt ihnen denn nichts anderes zu ihrer kosmischen
Entlastung übrig, als den Bikiniern auf dem Erdball
jenes befreiende bayerische Zitat zuzubrüllen, das schon
dem letzten irdischen Berlichinger bis in die Seele hinein
wohl tat:
____11"
>) • •
Was in den kommenden Jahrzehnten aus uns wird, wenn
die Götter so müde sind, kann sich jeder selber aus-
malen!! .. . H.A. Löhlein
Interzonenhandel
Sie kam mir etwas gedrückt vor, etwas geziert, unfrei.
„Na, wie geht's denn Ihrer Tochter, der Elli?" frage ich
sie schließlich.
,.Och, ganz gut."
„Wo ist sie denn jetzt?"
„Och, in Berlin."
„In Berlin? Was macht sie denn da?"
„Och, ist mit einem Ausländer durchgebrannt."
„Mit einem Ausländer durchgebrannt? Ja, und die bela-
den Kinder?"
„Och, hatse zurückgelassen."
„Hatse zurückgelassen? Was sagt denn der Elli ihr
Mann dazu?"
„Och, Mäxchen? Mäxchen meinte zu mir: Ich fahre jetzt
nach Berlin, und in spätestens drei Tagen hab' ichse zur
Räsong gebracht!"
„Ja, hat er denn eine Einreise-Erlaubnis bekommen?"
„Och nö, über die grüne Grenze natürlich."
„Das ist ja furchtbar spannend! Und wie ging's denn
weiter? Hat er die Elli zurückgebracht?"
„Och, die Elli hatem 'n paar Päckchen Ami-Zigaretten
geschenkt und dann hater ihr gedroht: In sechs Wochen
komm' ich wieder!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Kleine Hitler warten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Signatur: HEHU
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 14, S. 168.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg