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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0170
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IM ATELIER VON ARNOLD BÖCKLIN

EIN FREMDER KOMMT

Nun ist .es nicht mehr weit. Nun kommt bald dieses
Wirtshaus „Zum Einhorn", wo er die Grüße bestellen
wird. Einmal bleibt er noch stehen und wischt das Schnee-
wasser aus dem vollen, braunen Bart. Er ist groß und
breitschultrig. Er wird einen Kognak trinken und dem
Wjjt die Grüße von Valentin bestellen. Dann wird er
wieder gehen.

Die Gaststube ist leer, eine PerroleumlarrSpe brennt unter
der geschwärzten, rissigen Decke Er hängt Hut und
Mar';l an den Hiken und setzt sich an den gescheuer-
ten Tisch am Fenster. So sieht er die Eisdecke des Sees
noch und einige späte Schlittschuhläufer. Eine Tür geht
auf, und ein gebejgter, alter Mann tritt ein. Er trägt ein
schwarzes Käppchen und ein rotes Halstuch über dem
Wams. Es isr der Wirt. Der Fremde bestellt einen Ko-
gnak, und einen zwe't-n, w.nn er sich erlauben dürfe,
es sei sehr kalt heute.

,.Das stimmt", sagt der Wirt heiser und betrachtet den
Gast noch einmal von der Seite. Dann bringt er die
Flasche und zwei Gläser, setzt sich an den Tisch und
schenkt ein. Die Kuckucksuhr schnarrt, das Türchen
springt auf, der Kuckuck zeigt sich und rufi siebenmal
in den Wirtshauswald.

„Mein Name tut nichts zur Sache", sagt der Fremde und
schaut auf das dicke Schnapsglas, „ich soll Ihnen näm-
lich Grüße von Valentin bestellen."
Die Uhr tickt an der dunklen Wand, ein Tropfen pickt
ins Wasser am Schanktisch, es ist so still wie mitten in
der Nacht. Jetzt hat er wohl Zeit gehabt, die Nachricht
von seinem Sohn aufzunehmen, denkt der Fremde und
blickt auf. Drohend und erschrocken starrt der Wirt in
das schwarze Fenster.

„Er hat wohl wenig geschrieben?" sagt der Fremde. Aber
der Wirt hört noch nichts.

„Zum Wohl!" sagt der Fremde und führt das Glas zum
Mund.

„Wie lange ist er derm schon.fort?" fragt der Fremde.
Der Wirt öffnet den Mund, sdiweigt, dann wischt er
mit der krummen Hand über den Tisch und sagt:
„Zwanzig Jahre."

„Er hat wohl selten geschrieben?" fragt der Fremde.
„Niemals", bellt der Wirt, dann hustet er .stöhnend.
„Lebt seine Mutter noch?" fragt der Fremde und nimmt
die Flasche und gießt die Gläser voll bis zum Rand.
„Nein", krächzt der Wirt. '

Nun schweigen sie beide. Der Fremde denkt, daß er
bald gehen wird. Sie haben vier Kognak getrunken und
einige Worte gewechselt, die Grüße von Valentin hat er
bestellt. Er läßt den Wirt noch einmal einschenken, nun
sind es sechs. Zum Wohl.

„Und warum ist er fortgegangen, damals?" fragt der
Fremde und spürt, wie sich die Spannung erhöht.
„Weil er nichts war", bellt der Wirt, „weil er ein Nichts-
tuer war, ein Lump. Er hat mir Geld gestohlen und ist
ausgerückt, der Lump."

„War es viel?" fragt der Fremde und rückt die Brille
zurecht. „Viel für midi war es, tausend Mark. Tausend,
in Gold." „Ich habe acht Kognak", sagt der Fremde und
legt ein Geldstück auf den gescheuerten Tisch.
„Besten Dank", sagt der Wirt und steckt es ein. Dann
bedankt er sich nochmals, für den Kognak, den der
Mann spendiert hat.

„Tausend Mark", sagt der Fremde und dreht sein lee-
res Glas, „ich soll sie Ihnen zurückgeben Von Valentin,
mit den Zinsen."

Die Kuckucksuhr schnarrt, das Türchen springt auf, der
Kuckuck zeigt sich, achtmal ruft er in den trüben Wirts-

hauswald. Der Fremde nimmt die Brieftasche heraus,
klappt sie auf und legt drei dünne Bündel Banknoten
auf den Tisch.

„Dreitausend", sagt er und klappt die Brieftasche zu.
Der Wirt ist verstummt. Er sitzt auf dem Stuhl, gebückt,
und hält den Atem an. Das Geld liegt auf dem Tisch,
jetzt blinzelt der Wirt. Mehr mödne der Fremde nicht
sehen. Er steht auf, zieht den Mantel an und setzt den
Hut auf. Er hat jetzt nur noch .Guten Abend* zu sagen,
dann kann er gehen.

„Guten Abend", sagt er und öffnet die Tür. Der Wirt
hört nidits, denn er ist schon ganz allein mit den Er-
innerungen, seine Sdiultern zucken. Der Fremde tritt
hinaus und schließt die Tür. Dunkel und Kälte nimmt er
draußen wahr und den hellen Sdineeweg. Die Sterne
sind verdeckt. Er schreitet ruhrg aus. Schwer und leicht
ist es ihm und es bedrückt ihn nicht, daß er nun kein
Geld mehr hat, nur ein paar Mark für den nädistenTag.
„Die Rückkehr des verlorenen Sohnes", denkt Valentin
im Gehen, „nun beginnt sie erst, denn er hat mir noch
nicht verziehen."

Seine Sdiritte sind kaum zu hören in der Winternadit.

Ernst Weymouth

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Im Atelier von Arnold Böcklin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Nückel, Otto
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 14, S. 170.

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