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DIE AMNESTIEGEWINNLER
Die ältere Generation hat sich besonders zu unserer
Zeit dank ihrer Lebenserfahrungen als zäh erwiesen. Die
Zähigkeit bestand vor allen Dingen in Beständigkeit
und Ausdauer und keineswegs im Kleben an Posten,
Vororteilen und Pensionen. Wir können absolut nichts
dafür, wenn sich trotzdem ein großer Teil unserer Er-
zieher heute in einer politisch unbequemen Lage befindet.
Die letzten Jahre haben uns immerhin gelehrt, daß man
nicht vorsichtig genug sein kann in der Auswahl seiner
Erzieher und Vorbilder, selbst wenn man keine Wahl
hat. Die Skepsis bleibt.
Inzwischen boten sich andere an. Sie schienen viel Ver-
ständnis zu zeigen, sprachen sie- uns doch von einer
Verantwortung frei, die wir auf Grund unseres Alters
und unserer Erziehung nicht gehabt haben können. Sie
waren darauf sehr stolz, füllten mit ihrem Sieg der
Menschlichkeit die Tageszeitungen und stellten das Prin -
zip der „zarten Hand" der Jugend gegenüber auf, deren
Zartheit bisher nur in der Entnazifizierung einiger
unserer ehemaligen Erzieher übertroffen wurde. Sie
waren voll Mitleid für uns. Mitleid liegt aber schwer
im Magen, wenn man sonst nichts darin hat; auch füllt
es ihn nicht. Wir wissen jedoch, daß sie zum Teil
Schweres mitmachen mußten und versuchten, sie ZU ver-
stehen. Da fiel das Wort „Amnestiegewinnler".
Wenn ein Minister seine „Sonderaufgabe" darin siehr,
uns in dieser Form zu qualifizieren, so kann es sich kaum
um eine private Meinung handeln, Zumindestens hört
sie damit auf, privat zu sein. — Ihr wollt Euch von
uns nichts sagen lassen und schaut verächtlich auf unsere
20—26 Jahre. Begreiflich: Ein Kriegsgewinnler z. B.
kann solange nicht verächtlich sein, als er etwas zu geben
hat. Ein Amnestiegewinnler ist aber verächtlich, weil er
(dank Eurer Großzügigkeit!) Euch etwas nehmen
könnte. Noch müssen wir zuschauen, doch nach Euch
kommen wir, die Amnestiegewinnler.
—studikus—
Gewissens- und Gedankenbisse
Die Waffe des Geistes ist das Florett,
die Waffe der Dummheit — der Bumerang.
Weil große Seelen dulden,
duldet mancher Kleingeist gern.
Schwächlinge „kommen zu sich",
wenn sie zu andern gehen. W. H. K.
DER AMTLICHE BROTKORB
H. Bever
,Immer langsam, liebe Freunde! Erst sind
noch einige kleine Formalitäten zu erledigen!"
DIE UNTADELIGEN
Ihren Vorläufer schuf Gott in seinem Zorne. Das war,
als er Erzengel Gabriel mit einem flammenden Schwert
versah und ihm das Amt gab, Adam und Eva aus dem
Paradiese zu treiben. Dann pflanzten sie sich sehr schnell
fort, die Untadeligen. Den alten Griedicn blieben sie
auch nicht erspart, und im alten Rom hatte Nero deren
nicht wenige.
Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahr-
hundert vermehrten sich diese Untadeligen zusehends.
Das größte Kontingent brachte ein J-litlcr auf die Beine.
Unter und zu seinem Schutz wuchs die Menge der Un-
tadeligen in astronomische Zahlen.
Gewisse Umstände aller Art haben inzwischen so man-
chen von seinem Posten gerufen. Zur „Freude" der übri-
gen Menschheit, die sich mit keinem Untadeligen mes-
sen kann, sind jedoch genug übrig geblieben.
Es gibt Gekennzeichnete, Ungekennzeichnete und Ge-
tarnte. Die Gekennzeichneten tragen mit Stolz Mützen
und Röcke oft recht origineller Art. Die Ungekennzeich-
neten sehen ungelüftet und wie graue Regentage, die
Getarnten recht verschieden aus. Da sie sich beruflich
oft unter das Volk mischen müssen, kommen sie zwangs-
läufig dazu, manchmal „Mensch unter Menschen" zu
sein.
Wo die Untadeligen zu finden sind? Am ehesten hinter
irgend etwas: Einer Klappe, einem Schalterfenster, einer
Tür, einem Schreibtisch, nicht selten hinter Akten. Un-
sichtbar über ihren Häuptern schwebt der Spruch:
„Fremdling, wenn Du hier eintrittst, laß alle Hoffnung
fahren." Man muß im Verkehr mit den Untadeligen
seine Zunge sehr im Zaume halten, weil sie eine beson-
dere Fähigkeit haben — dies ist die auffälligste —, eine
Beleidigung zu konstruieren. Dabei spielt die Rangstufe
gar keine Rolle.
Selbst bei den Winzigsten von ihnen hängt es von der
persönlichen Einstellung ab, ob sie deinen Beruf, den
geistigen Gehalt, die soziale Stellung respektieren oder
nicht. Der kategorische Imperativ: „Warten Sie!" macht
jeden weiteren Einwand überflüssig! Die Frau im Kind-
bettfieber, das Versäumnis eines Zuges zur Erreichung
einer unaufschiebbaren Konferenz, oder gar die Fest-
stellung, daß das Einkaufen lebenswichtiger Dinge in-
folge Schließung der Geschäfte nicht mehr möglich wird,
und ähnliches mehr, läßt sie unberührt. Wer hätte es
nicht schon erlebt, daß das letzte von sechs ausgefüllten
Formularen unterzeichnet, gestempelt, registriert und nur
zum Abholen bereit, zum Greifen nahe auf dem Tische
prangt und doch erst ausgefolgt wird, wenn es zu spät
ist, weil die Nummernfolge, statt das Individuelle des
Individuums, das Entscheidende bleibt.
Ein Leben lang begegnen wir den Untadeligen auf
Schritt und Tritt. Die Geister, die St. Bürokratius rief
und mit unserem schwerverdienten Gelde bezahlen läßt,
werden wir erst los, wenn der vorletzte, der Matrikel-
führcr, unseren Totenschein ausgestellt hat. Der letzte
und untadeligste unter ihnen bleibt der Totengräber."
Seiner Sympathie sind wir gewiß, weil wir nicht mehr
widersprechen oder gar „beleidigen" können!
Als Scheintote würden wir außer uns selbst, endlich des
Untadeligen Mitgefühl erwecken. Aber nachher — es
ist gar nicht auszudenken — wäre wieder alles beim
alten. Eroha
IN Ff&MBUHG :
>^DEUTSCIIE RECHTSPARTEI
Eine SeMfadt, die ist lustig,
eine Seestadt, die ist schon,
denn da kann man bald schon wieder
mit Parteiabzeichen gehn.
Unser Staatsschiff, das noch leck ist
von der großen Havarie,
wird nach St eue r b o r d gesteuert.
(Links zu lenken, lern' wir nie !>
In der Mondnacht auf der Alster
glänzt die „Deutsche 'Rechtspartei'*.
Ite- und andre Aktionäre
werfen Anker hier. Ahoi.'
Eine nationale H öge
rauscht von Hamburg bis nach Kie',
und die Mannschaft und der Käpl'n
tragen nur noch heut' Ziril.'
Und an dem gebro'-h'nen Mäste
weht die Flagge schwarz-weiß-rot,
und man lotst uns langsam. aber
sicher in die nächste Not' ....
Man mißbraucht die „große Freiheit"
drüben an der Reeperbahn,
und am „Tor zur Welt" fängt, wieder
eine neue Tor-heit an!
Uns gefällt sie nicht, die Holle
eines dummen RuderKnechfs.
Deutsche Voll- und Leichtmatrosen :
S. O. S. — Der Feind steht rechts.'
Heinz Hartwig.
DIE AMNESTIEGEWINNLER
Die ältere Generation hat sich besonders zu unserer
Zeit dank ihrer Lebenserfahrungen als zäh erwiesen. Die
Zähigkeit bestand vor allen Dingen in Beständigkeit
und Ausdauer und keineswegs im Kleben an Posten,
Vororteilen und Pensionen. Wir können absolut nichts
dafür, wenn sich trotzdem ein großer Teil unserer Er-
zieher heute in einer politisch unbequemen Lage befindet.
Die letzten Jahre haben uns immerhin gelehrt, daß man
nicht vorsichtig genug sein kann in der Auswahl seiner
Erzieher und Vorbilder, selbst wenn man keine Wahl
hat. Die Skepsis bleibt.
Inzwischen boten sich andere an. Sie schienen viel Ver-
ständnis zu zeigen, sprachen sie- uns doch von einer
Verantwortung frei, die wir auf Grund unseres Alters
und unserer Erziehung nicht gehabt haben können. Sie
waren darauf sehr stolz, füllten mit ihrem Sieg der
Menschlichkeit die Tageszeitungen und stellten das Prin -
zip der „zarten Hand" der Jugend gegenüber auf, deren
Zartheit bisher nur in der Entnazifizierung einiger
unserer ehemaligen Erzieher übertroffen wurde. Sie
waren voll Mitleid für uns. Mitleid liegt aber schwer
im Magen, wenn man sonst nichts darin hat; auch füllt
es ihn nicht. Wir wissen jedoch, daß sie zum Teil
Schweres mitmachen mußten und versuchten, sie ZU ver-
stehen. Da fiel das Wort „Amnestiegewinnler".
Wenn ein Minister seine „Sonderaufgabe" darin siehr,
uns in dieser Form zu qualifizieren, so kann es sich kaum
um eine private Meinung handeln, Zumindestens hört
sie damit auf, privat zu sein. — Ihr wollt Euch von
uns nichts sagen lassen und schaut verächtlich auf unsere
20—26 Jahre. Begreiflich: Ein Kriegsgewinnler z. B.
kann solange nicht verächtlich sein, als er etwas zu geben
hat. Ein Amnestiegewinnler ist aber verächtlich, weil er
(dank Eurer Großzügigkeit!) Euch etwas nehmen
könnte. Noch müssen wir zuschauen, doch nach Euch
kommen wir, die Amnestiegewinnler.
—studikus—
Gewissens- und Gedankenbisse
Die Waffe des Geistes ist das Florett,
die Waffe der Dummheit — der Bumerang.
Weil große Seelen dulden,
duldet mancher Kleingeist gern.
Schwächlinge „kommen zu sich",
wenn sie zu andern gehen. W. H. K.
DER AMTLICHE BROTKORB
H. Bever
,Immer langsam, liebe Freunde! Erst sind
noch einige kleine Formalitäten zu erledigen!"
DIE UNTADELIGEN
Ihren Vorläufer schuf Gott in seinem Zorne. Das war,
als er Erzengel Gabriel mit einem flammenden Schwert
versah und ihm das Amt gab, Adam und Eva aus dem
Paradiese zu treiben. Dann pflanzten sie sich sehr schnell
fort, die Untadeligen. Den alten Griedicn blieben sie
auch nicht erspart, und im alten Rom hatte Nero deren
nicht wenige.
Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahr-
hundert vermehrten sich diese Untadeligen zusehends.
Das größte Kontingent brachte ein J-litlcr auf die Beine.
Unter und zu seinem Schutz wuchs die Menge der Un-
tadeligen in astronomische Zahlen.
Gewisse Umstände aller Art haben inzwischen so man-
chen von seinem Posten gerufen. Zur „Freude" der übri-
gen Menschheit, die sich mit keinem Untadeligen mes-
sen kann, sind jedoch genug übrig geblieben.
Es gibt Gekennzeichnete, Ungekennzeichnete und Ge-
tarnte. Die Gekennzeichneten tragen mit Stolz Mützen
und Röcke oft recht origineller Art. Die Ungekennzeich-
neten sehen ungelüftet und wie graue Regentage, die
Getarnten recht verschieden aus. Da sie sich beruflich
oft unter das Volk mischen müssen, kommen sie zwangs-
läufig dazu, manchmal „Mensch unter Menschen" zu
sein.
Wo die Untadeligen zu finden sind? Am ehesten hinter
irgend etwas: Einer Klappe, einem Schalterfenster, einer
Tür, einem Schreibtisch, nicht selten hinter Akten. Un-
sichtbar über ihren Häuptern schwebt der Spruch:
„Fremdling, wenn Du hier eintrittst, laß alle Hoffnung
fahren." Man muß im Verkehr mit den Untadeligen
seine Zunge sehr im Zaume halten, weil sie eine beson-
dere Fähigkeit haben — dies ist die auffälligste —, eine
Beleidigung zu konstruieren. Dabei spielt die Rangstufe
gar keine Rolle.
Selbst bei den Winzigsten von ihnen hängt es von der
persönlichen Einstellung ab, ob sie deinen Beruf, den
geistigen Gehalt, die soziale Stellung respektieren oder
nicht. Der kategorische Imperativ: „Warten Sie!" macht
jeden weiteren Einwand überflüssig! Die Frau im Kind-
bettfieber, das Versäumnis eines Zuges zur Erreichung
einer unaufschiebbaren Konferenz, oder gar die Fest-
stellung, daß das Einkaufen lebenswichtiger Dinge in-
folge Schließung der Geschäfte nicht mehr möglich wird,
und ähnliches mehr, läßt sie unberührt. Wer hätte es
nicht schon erlebt, daß das letzte von sechs ausgefüllten
Formularen unterzeichnet, gestempelt, registriert und nur
zum Abholen bereit, zum Greifen nahe auf dem Tische
prangt und doch erst ausgefolgt wird, wenn es zu spät
ist, weil die Nummernfolge, statt das Individuelle des
Individuums, das Entscheidende bleibt.
Ein Leben lang begegnen wir den Untadeligen auf
Schritt und Tritt. Die Geister, die St. Bürokratius rief
und mit unserem schwerverdienten Gelde bezahlen läßt,
werden wir erst los, wenn der vorletzte, der Matrikel-
führcr, unseren Totenschein ausgestellt hat. Der letzte
und untadeligste unter ihnen bleibt der Totengräber."
Seiner Sympathie sind wir gewiß, weil wir nicht mehr
widersprechen oder gar „beleidigen" können!
Als Scheintote würden wir außer uns selbst, endlich des
Untadeligen Mitgefühl erwecken. Aber nachher — es
ist gar nicht auszudenken — wäre wieder alles beim
alten. Eroha
IN Ff&MBUHG :
>^DEUTSCIIE RECHTSPARTEI
Eine SeMfadt, die ist lustig,
eine Seestadt, die ist schon,
denn da kann man bald schon wieder
mit Parteiabzeichen gehn.
Unser Staatsschiff, das noch leck ist
von der großen Havarie,
wird nach St eue r b o r d gesteuert.
(Links zu lenken, lern' wir nie !>
In der Mondnacht auf der Alster
glänzt die „Deutsche 'Rechtspartei'*.
Ite- und andre Aktionäre
werfen Anker hier. Ahoi.'
Eine nationale H öge
rauscht von Hamburg bis nach Kie',
und die Mannschaft und der Käpl'n
tragen nur noch heut' Ziril.'
Und an dem gebro'-h'nen Mäste
weht die Flagge schwarz-weiß-rot,
und man lotst uns langsam. aber
sicher in die nächste Not' ....
Man mißbraucht die „große Freiheit"
drüben an der Reeperbahn,
und am „Tor zur Welt" fängt, wieder
eine neue Tor-heit an!
Uns gefällt sie nicht, die Holle
eines dummen RuderKnechfs.
Deutsche Voll- und Leichtmatrosen :
S. O. S. — Der Feind steht rechts.'
Heinz Hartwig.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der amtliche Brotkorb"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Signatur: H. Bever
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 14, S. 172.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg