W ELT - TH
Unsere Zukunft liegt hinter den Sternen
A. Lichter
VOM SCHENKEN
Seit Jahren steht es in allen Zeitungen und
in allen Blättern für die Frau: nicht auf das
„Was", sondern allein auf das „Wie" des
Schenkens kommt es an! Wer wahrhaft reinen
Heraens ist, wird nie auf den Gedanken
kommen, daß diese jährlich anschwellenden
Lobpreisungen des „Wie" ihre tieferen Ur-
sachen im immer völligeren Schwinden jeg-
lichen „Wases" hätten! Mitnichten. Das „Wie
an sich" ist die Entdeckung unserer erfinde-
rischen Generation, das behutsame, zarte, in-
nige, sternchenpapierne, tannenzweiglein-
geschmückte „Wie"! Wickle mit der kunst-
gewerblichen Ansteckblume aus bunten Flicken
deine Seele ins zarte Seidenpapier, so wirst du
mehr Freude machen als durch den bis da er-
sehnten neuen Wintermantel! Wähle mit
ganzem Herzen das zum Stil deiner Ange-
beteten passende Lesezeichen und überreiche
es vielsagend-sinnig und beziehungsreich, so
wird sie lächelnd auf Goethes Werke dafür
verzichten! Auch der einfache eiserne Kerzen-
halter erfreut, wenn sich in ihm nur deine
sorgende Liebe spiegelt, und ein selbstgenähter
Tintenwischer, lustig verpackt, findet bestimmt
mehr jubelnden Anklang als ein in nüchterner
Fabrikhülle steckender Füllfederhalter. Wer
wird bei einem Feuerzeug noch nach dem
fehlenden Feuerstein fragen, wenn es mit
einem reizenden Gedichtlein überreicht wird.
Wer würde nicht einen zärtlich in Tannengrün
E. Kriesch
ENTMILITARISIERUNG
versteckten Brieföffner einem derb an den
Finger geschobenen Brillantring vorziehen?
Zudem aber locken noch tausend Geschenke
der Liebe, von kunstfertigen Meistern mate-
rialgerecht aus Möbelholz, Eisen und Gra-
natenhülsen gearbeitet, in allen Schaufenstern:
das Kunstgewerbe geht mit gezückten Aschen-
bechern und erhaben geschnitzten Holztellern
gegen den leeren Gabentisch vor, die Keramik
verscheucht die Alltagssorgen mit glasierten
Sprüchen, das „Wie" des Schenkens galop-
piert in Poesie und Prosa durch das winzige
Angebot nützlicher Gäben. Nun also, laßt das
lästige „Was" zurück, schenkt allein das
„Wie", sucht nach Verpackungsmaterial und
Seele, wickelt ein und wickelt aus, knotet eure
letzten Schuhbändel ztim goldfädchenhaften
Halt eurer Päckchen zusammen und macht
Freude, reinste Freude.
Und dann — nur so zum Spaß und als Probe
aufs Exempel, gleichwie als Gegensatz der ir-
dischen zur himmlischen Liebe —, probiert es
einmal andersrum: knallt euren verstörten
Lieben eine pudelnackte, zwölfpfündige Gans
vor die Füße, wickelt vor ihren entrüsteten
Augen aus fettem Zeitungspapier einen Schin-
ken oder schüttet ihnen stumm und grämlich
einige Pfunde Butter in den Schoß, dann erst
mögt ihr an ihrer Abkehr und Empörung sehen,
wie wenig solch seelenlose Art des Schenkens
Freude zu geben vermag und wie unmöglich
es ist, Sternchenpapier und Goldbändchen
durch Gänsegrieben und Schinkenspeck zu er-
setzen! Vim
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Unsere Zukunft liegt hinter den Sternen
A. Lichter
VOM SCHENKEN
Seit Jahren steht es in allen Zeitungen und
in allen Blättern für die Frau: nicht auf das
„Was", sondern allein auf das „Wie" des
Schenkens kommt es an! Wer wahrhaft reinen
Heraens ist, wird nie auf den Gedanken
kommen, daß diese jährlich anschwellenden
Lobpreisungen des „Wie" ihre tieferen Ur-
sachen im immer völligeren Schwinden jeg-
lichen „Wases" hätten! Mitnichten. Das „Wie
an sich" ist die Entdeckung unserer erfinde-
rischen Generation, das behutsame, zarte, in-
nige, sternchenpapierne, tannenzweiglein-
geschmückte „Wie"! Wickle mit der kunst-
gewerblichen Ansteckblume aus bunten Flicken
deine Seele ins zarte Seidenpapier, so wirst du
mehr Freude machen als durch den bis da er-
sehnten neuen Wintermantel! Wähle mit
ganzem Herzen das zum Stil deiner Ange-
beteten passende Lesezeichen und überreiche
es vielsagend-sinnig und beziehungsreich, so
wird sie lächelnd auf Goethes Werke dafür
verzichten! Auch der einfache eiserne Kerzen-
halter erfreut, wenn sich in ihm nur deine
sorgende Liebe spiegelt, und ein selbstgenähter
Tintenwischer, lustig verpackt, findet bestimmt
mehr jubelnden Anklang als ein in nüchterner
Fabrikhülle steckender Füllfederhalter. Wer
wird bei einem Feuerzeug noch nach dem
fehlenden Feuerstein fragen, wenn es mit
einem reizenden Gedichtlein überreicht wird.
Wer würde nicht einen zärtlich in Tannengrün
E. Kriesch
ENTMILITARISIERUNG
versteckten Brieföffner einem derb an den
Finger geschobenen Brillantring vorziehen?
Zudem aber locken noch tausend Geschenke
der Liebe, von kunstfertigen Meistern mate-
rialgerecht aus Möbelholz, Eisen und Gra-
natenhülsen gearbeitet, in allen Schaufenstern:
das Kunstgewerbe geht mit gezückten Aschen-
bechern und erhaben geschnitzten Holztellern
gegen den leeren Gabentisch vor, die Keramik
verscheucht die Alltagssorgen mit glasierten
Sprüchen, das „Wie" des Schenkens galop-
piert in Poesie und Prosa durch das winzige
Angebot nützlicher Gäben. Nun also, laßt das
lästige „Was" zurück, schenkt allein das
„Wie", sucht nach Verpackungsmaterial und
Seele, wickelt ein und wickelt aus, knotet eure
letzten Schuhbändel ztim goldfädchenhaften
Halt eurer Päckchen zusammen und macht
Freude, reinste Freude.
Und dann — nur so zum Spaß und als Probe
aufs Exempel, gleichwie als Gegensatz der ir-
dischen zur himmlischen Liebe —, probiert es
einmal andersrum: knallt euren verstörten
Lieben eine pudelnackte, zwölfpfündige Gans
vor die Füße, wickelt vor ihren entrüsteten
Augen aus fettem Zeitungspapier einen Schin-
ken oder schüttet ihnen stumm und grämlich
einige Pfunde Butter in den Schoß, dann erst
mögt ihr an ihrer Abkehr und Empörung sehen,
wie wenig solch seelenlose Art des Schenkens
Freude zu geben vermag und wie unmöglich
es ist, Sternchenpapier und Goldbändchen
durch Gänsegrieben und Schinkenspeck zu er-
setzen! Vim
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Welt-Theater" "Entmilitarisierung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 16, S. 192.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg